Wehmütig fährt Emil Trautenbach über die Marmorplatte des alten Schaltschranks im Maschinenraum des ehemaligen Bad Kissinger Schlachthofs. Trautenbach war bis 2002 technischer Leiter der Anlage – der Letzte, jetzt arbeitet er im Bauamt der Stadt Bad Kissingen. Seit neun Jahren steht der Schlachthof leer. Tönerne chinesische Krieger füllten ihn für die Zeit einer Ausstellung. Drums dröhnten bei Partys. „Aber es sind nur wenige Veranstaltungen. Die Halle ist einfach schlecht beheizbar“, sagt Trautenbach. Außerdem stört der Lärm die Anwohner.
Als Bad Kissingens Ochsenkathedrale stand der Bau drei Monate im Internet zum Verkauf. Aber noch gibt es keinen Käufer für das 19 500 Quadratmeter große Grundstück mit Lagern, zwei Wohnhäusern und dem imposanten Schlachthaus, gebaut wie eine Basilika. Einst sollte es die Bedeutung des mondänen Staatsbades demonstrieren.
In der Festschrift zur Eröffnung im Herbst 1925 schwärmte Architekt J. Hennings aus Stuttgart von seiner künstlerischen Freiheit, der Stadtrat habe nur verlangt, dass sich der Bau der gut zehn Jahre älteren Wandelhalle würdig anpassen sollte. Was der Stuttgarter Schlachthofspezialist entwarf, konnte sich bei den Kurgästen aus aller Welt sehen lassen. Für Besucher hatte Hennings zwei Galerien entlang des Mittelschiffs geplant, von denen aus die Kurgäste einen guten Blick auf des blutige Handwerk hatten. Sie sollten sehen, dass der Schlachthof Vorbild für die „Stadthygiene der Gegenwart“ war.
Edel türkisblau ist die Halle gefliest. Die Säulenkapitelle der Galerien, die Widderschädel darunter, die Statue des Metzgerheiligen Lukas unterhalb der pompösen Treppenanlage und die Obelisken auf der Balustrade – das gibt dem Raum etwas von einem Ballsaal oder einer Kirche, wären die Eisenschienen nicht, an denen Rinder- und Schweinehälften in die Halle fuhren, in der sie verladen wurden.
Ein „ragendes Zeichen (...) nicht niederzuringender deutscher Wirtschaftskraft“ solle der Bau sein, schwärmt der erste Bad Kissinger Oberbürgermeister, Max Pollwein, in der Festschrift zur Eröffnung. Trautenbach deutet zum Relief über dem Eingangsportal. Es zeigt einen hemdsärmligen Mann, der Tatkraft ausstrahlt, mit Kissinger Wappen und Widderschädel. Das soll vermutlich Pollwein sein.
Nicht allen gefiel des Bürgermeisters Hang zum Monumentalen. Fast zwei Millionen Reichsmark hatte der Bau verschlungen. Pollwein freute sich, dass die Anlage den Ruf Kissingens als internationale Badestadt förderte, aber er gab auch zu, dass Bau und Ausstattung „teilweise als zu glanzvoll bezeichnet“ worden seien.
Supermodern war die Technik. Wer von der Galerie in den Maschinenraum schaute, war beeindruckt von der Kühlanlage der Firma Linde. Der Verein für Historische Kälte- und Klimatechnik setzt sich heute dafür ein, sie als Industriedenkmal zu erhalten. Riesige Schwungräder und alte Kompressoren faszinieren heute noch. Sie machen gewaltige Maschinenkraft augenfällig.
Trautenbach führt in die gelbgekachelten Schlachträume mit den Schienen, an denen die Tierhälften aufgereiht hingen. Im Keller zeigt der Mann vom Bauamt, wie der Schornstein verzogen ist, damit er schließlich genau im First durch das Hallendach tritt. Die Konsequenz: Der Kaminkehrer brauchte einmal im Jahr mit seinen Helfern mehrere Tage zum Reinigen. Für Metzger und Schornsteinfeger sollen das immer lustige Tage gewesen sein, denn so ein außergewöhnliches Ereignis musste bei Bier und Schlachtschüssel gefeiert werden, erzählt Emil Trautenbach.
ONLINE-TIPP
Mehr Informationen und Bilder von der Bad Kissinger Ochsenkathedrale sowie alle bisher erschienenen Artikel unter www.mainpost.de/bauwerke
Ochsenkathedrale
Der ehemalige Schlachthof von Bad Kissingen steht in der Würzburger Straße 4. Die Gebäude stehen unter Denkmalschutz und sind renovierungsbedürftig. Malte Tiedemann, Wirtschaftsförderer der Stadt, sucht einen Interessenten für das Haus. Das sakral anmutende Schlachthaus ist nicht einfach zu nutzen. Informationen gibt Malte Tiedemann unter Tel. (09 71) 807 10 12.