Das Gebäude ist von einem Bauzaun umgeben, Fenster und Eingänge sind überwuchert, die Größe vergangener Tage lässt sich trotz des Verfalls noch erahnen. Die Frage, wie es in leerstehenden alten Gebäuden aussieht, scheint derzeit viele zu beschäftigen. Regelmäßig schlagen im Polizeibericht Fälle auf, bei denen Menschen versuchen in alte Sanatorien einzudringen. Sei es des Nervenkitzels oder der Fotos wegen. Die Redaktion hat mit der Polizei und der Stadt Bad Kissingen über das Thema gesprochen.
Dahinter steckt laut Jochen Emmerling von der Bad Kissinger Polizei eine bundesweit vernetzte Szene. "Deren Mitglieder tauschen sich in Foren im Internet aus, wie toll die Gebäude sind und nehmen dann für ihre Fotos lange Fahrten in Kauf." Selbst aus einem europäischen Nachbarland reisten jüngst einige Abenteurer an, um in ein altes Gebäude in Bad Kissingen einzudringen. "Man sieht daran, dass das deren Hobby ist", meint Emmerling. Oft sind es laut dem Polizisten junge Leute, die sich Zutritt zu den "Lost-Places" (verlorene Orte) verschaffen wollen.
Lost Places in Bad Kissingen: Polizei warnt vor Absturzgefahr
Ein ungefährlicher Zeitvertreib ist das Hobby allerdings nicht. "Es kommt immer aufs Gebäude an. Es gibt gewisse Gefahren." Denn Fans kommen häufig in der Nacht. "Die Gebäude sind bautechnisch nicht mehr auf einem aktuellen Stand. Es gibt Schäden an den Decken, Geländer sind lose oder fehlen ganz. Die Gefahr abzustürzen ist real." Denn im Taschenlampenlicht lässt sich nicht jede Gefahrenstelle erkennen.
Auch zerbrochenes Glas von eingeschlagenen Fenstern oder Scherben auf dem Boden bergen Verletzungspotenzial. "Wenn sie merken, dass die Polizei kommt, flüchten die Täter oft. Die Außenanlagen sind meist nicht gepflegt, das Risiko, sich bei der Flucht zu verletzen, ist deutlich höher, als irgendwo anders", sagt Emmerling.
"Die Stadt Bad Kissingen hat Betretungsverbote erlassen", teilt Thomas Hack , zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kreisstadt, mit. "Diese gelten so lange, bis die Stadt sie wieder aufhebt. Sie sind bußgeldbewehrt."
Stadt Bad Kissingen hat auf die Eindringlinge reagiert
Elf Personen hat die Polizei laut Hack bei den betroffenen Gebäuden bereits dingfest gemacht. Dabei handelte es sich um zwei Fälle: eine Gruppe mit zehn Personen und einen einzelnen Lost-Places Fan. Die Stadt erließ Verwarnungen und Bußgeldbescheide.
Das Problem: Laut Emmerling gibt es eine hohe Dunkelziffer bei dem illegalen Hobby: "Bis wir dort sind, ist oft niemand mehr vor Ort." Die Einsatzzahl sei durch die Flucht höher als die tatsächliche Zahl an Fällen, in denen ermittelt wird.
Bei der Kissinger Polizei schlugen in den vergangenen drei Jahren 137 Fälle auf, bei denen Menschen in leerstehende Gebäude eindrangen. "Fast immer gab es eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch ", sagt Emmerling. In den letzten Wochen kamen noch die Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz hinzu, weil es sich um Gruppen gehandelt hat. "Außerdem waren Sachbeschädigungen und Anzeigen wegen Diebstahl dabei." Denn manchen Lost-Places-Fans reicht es nicht, nur vor Ort gewesen zu sein oder ein Foto gemacht zu haben. "Es ist immer mal der Fall, dass jemand dann ein Andenken mitnehmen möchte."
Besuch von Lost-Places: Verschiedene Straftaten
Den Abenteurern kommen die Polizei-Beamten nicht durch Zufall auf die Schliche. "Die Gebäude sind teils mit Videokameras überwacht." Treffen die Beamten bei einer Kontrolle Menschen an, die sich dort unerlaubt aufhalten, droht diesen eine Anzeige wegen Hausfriedensbruches . Häufig würden Anwohner die Eindringlinge bemerken und die Polizei informieren.
"Das wird dann auch zur Anzeige gebracht, oftmals ist noch Sachbeschädigung vom Eindringen ins Gebäude mit dabei", sagt Emmerling. Das Strafmaß ist Sache der Staatsanwaltschaft, heißt es von der Bad Kissinger Polizei . "Das hängt dann von Vorstrafen ab und ob jemand schon mal in dem Bereich tätig gewesen ist." Mit einer Geldbuße sei definitiv zu rechnen. Allerdings sei auch eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr im Bereich des möglichen. Letzteres sei laut Emmerling jedoch nicht der Regelfall.
2020 gab es bislang 29 Fälle, 2019 waren es 37 Fälle und 2018 sogar 71 Fälle.