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Schweinfurt
Leseranwalt: Wieso eine Frage in der Überschrift im Artikel zu Demokratie-Demonstrationen fragwürdig ist
Welche Politiker gehen zur Demo, welche kommen nicht? Die Presse hat eine Kontrollfunktion. Aber Titel sollen keine Schlagseite haben, Leseranwalt Anton Sahlender.
Das Bündnis 'Schweinfurt ist bunt' rief auf und mehrere tausend Bürgerinnen und Bürger beteiligten sich am 27. Januar an der Demo gegen rechts, für Demokratie und Menschenrechte. Die Redaktion fragte danach Politiker, warum sie nicht dabei waren.
Foto: Anand Anders | Das Bündnis "Schweinfurt ist bunt" rief auf und mehrere tausend Bürgerinnen und Bürger beteiligten sich am 27. Januar an der Demo gegen rechts, für Demokratie und Menschenrechte.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 21.06.2024 18:00 Uhr

Politiker müssen es hinnehmen, dass die Presse ihnen besonders auf die Finger schaut. Doch journalistische Fairness darf trotz der gebotenen Nachhaltigkeit nicht verloren gehen. Zu weit gegangen wurde dabei für das Ehepaar R. in einem Artikel im Schweinfurter Lokalteil zu den Demonstrationen für Demokratie und Menschenrechte. Sein Titel zielte in der Ausgabe von 8. März direkt auf eine Landtagsabgeordnete: "Demos: Warum war Gießübel nicht dabei?"

Fragen, die der Kontrollfunktion der Presse entsprechen

Gleichermaßen wie zu Martina Gießübel war am 31. Januar die Leserschaft der Zeitung zum Oberbürgermeister Schweinfurts, Sebastian Remelé in einer Überschrift gefragt worden: "Wo war Oberbürgermeister Sebastian Remelé?". Beide Titel entsprechen durchaus der Kontrollfunktion der Presse. Folglich erklärt die Redaktion: Man wolle wissen, warum gewählte Politiker nicht mit 6500 Gleichgesinnten bei der zweitgrößten politischen Demo der Schweinfurter Stadtgeschichte dabei gewesen sind. Wörtlich: "Wenn die Demokratie gefährdet ist, dann müssen Demokraten zusammen stehen."

Die Überschrift fragt, was der Text beantwortet

Diese redaktionelle Erklärung werden nicht nur Journalisten unterstreichen. Schließlich sollen für Demokratie und Menschenrechte gerade Politiker voran gehen. Und doch ist auch die Kritik der Familie R. nachzuvollziehen. Wird der Leserschaft in der Überschrift doch eine Frage vorgesetzt, die danach der Text beantwortet: Abgeordnete und Oberbürgermeister haben andere Termine vorgezogen. Zu Gründen ihrer Abwesenheit mag jeder stehen wie er will. In Zweifel gezogen werden kann darüber jedenfalls keine demokratische Gesinnung.

Vorwürfe sollten hinter Diskursen zurückstehen

Aber was soll die Frage überhaupt? Fett gedruckt, den Inhalt verleugnend, steht sie wie ein Vorwurf über dem Artikel. Sie gibt ihm eine Schlagseite mit. Der Text bietet doch Antworten. Ist über hehres journalistisches Kontrollstreben etwa etwas Fairness auf der Strecke geblieben? Sind doch Diskurse die stabilen Bausteine für Demokratie. Sie vermögen auch im Meinungskampf zusammenzuführen. Das verpflichtet Journalisten. Sie müssen sich auch Streitfragen verantwortungsvoll annehmen und ihnen ein Forum bieten. Vorwürfe sollten da zurückstehen.

Ein Gefühl, als sollten Personen ins Abseits gestellt werden

Es sind die Fragen in den genannten Überschriften, die gleich ein Gefühl verbreiten können, als sollten damit Personen ins Abseits gestellt werden. "Für uns (keiner Partei zugehörigen und nicht rechtsradikal eingestellten Leser) wird mit diesem Artikel zumindest unterstellt, eine andere Gesinnung als die Demonstrierenden zu haben", schreibt Familie R. in ihrer an den Leseranwalt gerichteten Kritik.

Aber genau das darf auch niemand für sich aus dem Beitrag empfangen. Auch nicht die bei den Demos Daheimgebliebenen. Auch sie sollten sich nicht aus dem Kreis der Demokraten ausgeschlossen fühlen. Menschen, die dabei waren, die sind wohl aus freiem Willen, Eigeninitiative und gesellschaftlicher Mitverantwortung auf die Straße gegangen. Und das sollte so bleiben. Wünschenswert ist das auch für gewählte und nicht gewählte Politiker.

Kritischen Diskurs schon in Überschriften sichtbar machen

Es ist nicht im Sinne einer funktionierenden Demokratie, würde deren aktive Bewahrung durch Hunderttausende durch medialen Druck erzeugt. Eigeninitiative und Verantwortung muss auch bei Politikerinnen oder Politikern, die aktuell gefehlt haben, dafür stehen, wenn sie künftig auf die Straße gehen. Über Gründe ihrer bisherigen Abwesenheit musste ein kritischer Diskurs herbeigeführt werden. Statt journalistisch fragwürdiger Fragen wäre es freilich zu bevorzugen gewesen, wäre der auch in Überschriften gleich sichtbar geworden.

Anmerkung als Autor dieser Zeilen: Ich war auch bislang bei keiner Demonstration auf der Straße dabei. Ich begrüße aber sehr, dass es sie gegeben hat und wohl mit mir wieder geben wird.

Anton Sahlender, Leseranwalt

Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Lesen Sie dazu auch vom Leseranwalt:

14. März 24: "Wieso ein Titel zu falschen Annahmen führen kann und es beim Correctiv-Urteil um Deutungshoheit geht"

22.Feb. 24: "Falsche Zweifel an Correctiv und an Demokratie-Demonstrationen"

25. Jan. 24: "Links oder Rechts? Warum bei Demonstrationen für die Demokratie konkrete Sprache so wichtig ist"

7. Okt. 23: "Warum ein Zeitungsleser digital einen Beitrag nicht kommentieren konnte"

13. April 23: "Wie die Interaktion mit Lesern in der Zeitung verbessert werden kann"

24. Nov. 22: "Warum der ganze Zorn aus einem geharnischten Leserbrief gestrichen wurde"

3. März 22: "Warum fragende Überschriften nicht für Klein-Erna entstehen"

21. Jan. 21: "Anreize zum Öffnen der eigenen Filterblase"

 
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