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LESERANWALT
Leseranwalt sagt Ade und wünscht: "Vertrauen Sie dieser Zeitung, aber bleiben Sie kritisch"
Wer Schwächen eingesteht, zeigt Stärke
Anton Sahlender empfiehlt zum Abschied als Leseranwalt: Vertrauen Sie dieser Zeitung - und Claudia Schuhmann! Sie wird die Nachfolgerin des Leseranwalts.  
Foto: Daniel Peter | Anton Sahlender empfiehlt zum Abschied als Leseranwalt: Vertrauen Sie dieser Zeitung - und Claudia Schuhmann! Sie wird die Nachfolgerin des Leseranwalts.  
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 13.09.2024 18:00 Uhr

Teenager der "Generation Z", der in den Jahren 1995 bis 2010 geboren Menschen, haben die Pubertät mit der digitalen Medienwelt in der Tasche durchlebt. Stundenlang haben sie gescrollt: durch glücklich strahlende Posts von Freunden, Bekannten und Influencern. Schon Jonathan Heidts Buchtitel lässt Folgen ahnen: "Generation Angst". Ob es bei Teenagern mit Tageszeitungen unterm Arm diesen Buchtitel nicht geben würde, weiß ich nicht.

Aber der Gedanke ist auch von vorgestern.

In Teenager-Taschen habe ich mich mit meinen 1000 Beiträgen in 20 Jahren seit 2004 als Leseranwalt sicher kaum hineingeschrieben. Das gilt, obwohl das Zeitungsmarketing den Tageszeitungen Lichtblicke für die Nutzung durch Jugendliche aufzeigt. Gerne hätte ich es aber zu Teenagern geschafft. Dazu hat mir aber wohl mehr als nur glückliches Strahlen in Posts gefehlt.

Die "Nachkriegsgeneration" gibt es nicht mehr

Die erschienenen Kolumnen sind online übrigens über Stichworte bis ins Jahr 2008 zurück abrufbar. Doch alle, die, ich erreichen konnte, waren wie ich mit ihrer Pubertät wohl ein gutes Stück vor der Z-Generation unterwegs. Das ist keine in Zeitungen blätternde "Nachkriegsgeneration" mehr. Diesen lange nostalgisch gepflegten Begriff, voller Mahnung und Hoffnung, über den schon viel geschrieben wurde, führt die Realität ad absurdum. So wie es die Geschichte dem Frieden bisher immer besorgt hat. Danach war immer davor. Das hat stets Generationen mit Angst hervorgebracht.

Es gibt keine Schubladen und Schablonen für Generationen

Die Tragik, wie sie im Niedergang des Begriffes "Nachkriegszeit" gesehen werden darf, tritt in Nachrichten ja nun minütlich hervor. Sie ist gegenwärtig. Medien versuchen sie fast in Echtzeit auf zahllosen Wegen in alle Generationen zu befördern. Weil die aber nicht gleichgemacht und zielgruppengerecht in Schubladen sortiert werden können, wie es Medien gerne tun, ist das schwer. 

Es gibt keine Schablonen. Individualität und Vielfalt reichen von A bis Z., von vorgestern bis morgen. Deshalb unterscheiden sich oft auch die Botschaften, die mit den selben Nachrichten bei Menschen ankommen.

Seriöse Informationsmedien kennzeichnen demokratische Staatswesen

Diese Unterschiedlichkeit lässt es nicht zu, alle Menschen gleichermaßen zu erreichen. Diesem Ziel näher bringen aber auch Vielfalt und Diversität. Wer die anbietet, dem versprechen Studien, dass er dadurch Vertrauen schafft und stabilisiert. Das wiederum kann Menschen bei seriösen Informationsmedien festhalten.

Das ist gut. Denn die, geschützt durch Pressefreiheit, kennzeichnen demokratische Staatswesen. Dort, wo totalitäre Regierungen sie haben verschwinden lassen, verschwanden mit ihr die Freiheit der Presse und der Meinung. Eine idealtypische Grundannahme lautet, dass Demokratien auf Bürgerinnen und Bürger angewiesen sind, die auf der Basis von zuverlässigen Informationen fundierte politische Entscheidungen treffen. 

Der freiheitliche Staat basiert eben auf konstruktiver Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Geschehen. Notwendige Diskurse leben vom Faktenwissen. Mit dessen wahrhaftiger Vermittlung überlässt das Grundgesetz den Medien eine gewaltige Aufgabe. Die können sie besser erledigen, wenn sie Nachrichten-Kompetenz auch im Publikum schaffen.

Das heißt, Redaktionen machen ihre Arbeit und mitunter auch die Umstände, unter denen sie geleistet wird, durchschaubar. Wenn Journalistinnen und Journalisten dabei selbst als kritikfähige Menschen sichtbar werden, indem sie journalistische Schwächen eingestehen, zeigen sie Stärke.

Zu wenig Förderung für Medien-Ombudsleute: kein gutes Zeugnis für Medienhäuser

Derartige Selbstreflexion, auch über eigene Leitlinien, moralische Ansprüche und Standards, bieten Medien leider zu selten. Sie aber nach außen zu zeigen, zu reflektieren und in den Redaktionen fördern, das möchten Medien-Ombudsleute. Solche Förderer gibt es, gemessen an der Vielzahl publizistischer Medien, nur ganz wenige. Dafür stelle ich den Medienhäusern im Lande kein gutes Zeugnis aus. Da zeigen sie leider Schwäche. Ein Journalistenpreis soll ihnen helfen. Der MedienSpiegel zeichnet alljährlich Transparenz, Selbstreflexion und Kritikfähigkeit aus.

Was für Medien-Ombudsleute, also auch für den Leseranwalt dieser Zeitung, so alles zur journalistischen Transparenz zählt.
Foto: Powerpoint Sahlender | Was für Medien-Ombudsleute, also auch für den Leseranwalt dieser Zeitung, so alles zur journalistischen Transparenz zählt.

Die Zahl der Medien zu vermehren, die ihrer Leserschaft eine solche Ombudsstelle anbieten, das hat sich die Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V. (VDMO) zum Ziel gesetzt. Denn alle sollten sie eine freiwillige Verpflichtung darin sehen, dem Publikum transparent zu machen, wie Journalistinnen und Journalisten mit den Privilegien und Freiheiten umgehen, die ihr durch die Pressefreiheit im Grundgesetz anvertraut sind.  

Die Ombudsstelle bleibt: Eine Entscheidung, die ich für wichtig halte

In dieser meiner letzten kritischen Anmerkung als Leseranwalt steckt der Wunsch, dass sich das Zeugnis für die Medien auch in deren eigenem Sinne verbessert. Gerne hilft dabei die VDMO mit Erfahrungen ihrer Mitglieder.

Und diese Redaktion? Orientiert am Pressekodex, am Presserecht und über Artikel 5 hinaus am Grundgesetz, wird sie weiterhin allen Generationen die Medien-Ombudsstelle erhalten. Für diese Entscheidung der Chefredaktion bin ich dankbar. Sie ist nicht selbstverständlich, aber ein wichtiges Zeichen nach außen und in die Redaktion hinein. 

Zuguterletzt: Zeichen für Stärke zu setzen, darum habe ich mich aus nun aus Überzeugung zwei Jahrzehnte, sozusagen eine Leseranwalt-Generation, ernsthaft bemüht. Beurteilen Sie selbst, wie das bei Ihnen angekommen ist. Verzeihen Sie mir, wenn meine Schwächen zuweilen stärker waren.    

Leseranwältin Claudia Schuhmann hilft, kritisch zu bleiben

Liebe Leute, nun verabschiede ich mich aber als Leseranwalt von Ihnen. Weil diese Redaktion und die Demokratie sie brauchen, verbleibe ich mit einem Wunsch an alle Generationen: Stehen Sie zu dieser Zeitung.

Ich tue das seit mehr als einem halben Jahrhundert. Wie ich, können auch Sie ihrem Inhalt vertrauen. Doch Vorsicht: Kritisch und aufmerksam müssen sie unbedingt bleiben, jedoch auch offen für andere seriöse Quellen. Claudia Schuhmann, die Sie fortan als Leseranwältin in der Redaktion vertritt, wird Ihnen helfen.

Als Leseranwalt Ade sagt

Anton Sahlender

Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Erinnerungen und Reflexionen aus Leseranwalt-Kolumnen:

Feb.2010: "Wachhunde der Demokratie mit Verfassungsrang"

Feb. 2012: "Meine Wahrheit, deine Wahrheit und die Wahrheit, die Journalisten nicht gepachtet haben"

Okt. 2021: "Warum es ein Vorzug ist, wenn es einen Leseranwalt gibt"

Mai 2022: "Warum Leserinnen und Leser in eigener Sache für Zeitungen werden sollten"

März 2023: "Wie ein krasse Schlagzeile am Kitt der Gesellschaft kratzt"

Nov. 2023: "Über Redakteure und die Abhängigkeit des Staates von journalistischer Glaubwürdigkeit"

und: "Empathie vermisst nach belastenden Schlagzeilen über Stadtrat"

Dez. 2023: "Digitale Angebote sollten auch Leserinnen und Leser mit Zeitung in der Hand beruhigen"

April 2024: "Pervers und völlig verzichtbar? - Warum die Nachrichtenauswahl in der Zeitung oft diskutabel ist"

Mai 2024: "Wie der Wächterpreis für drei Journalisten an das Grundgesetz erinnert"

Juli 2024: "Diese Zeitung muss besser werden, das gilt schon immer"

 
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Kommentare
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  • Frank Stößel
    Lieber Toni, Du passt wahrlich in keine Schublade, weder menschlich noch fachlich, weil du einmalig bist. Deine ausgezeichnete Arbeit als Leseranwalt und Ombudsmann hat deine Redaktion und das Medienhaus Main-Post so stark überzeugt, dass sie nun von Frau Schumann weiter geführt werden darf. Das ist großartig auch für Eure Leserschaft. Herzlichen Glückwunsch Dir und Deiner Nachfolgerin und alles Gute weiterhin als Leseranwalt a.D. in Gold.
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