Nachrichten oder Berichte, die für überflüssig gehalten werden und nicht in die Tageszeitung gehören, werden oft beklagt. Der begrenzte Platz auf Druckseiten gebietet es besonders, täglich eine Auswahl zu treffen. Die ist subjektiv und gefällt nicht allen. Gerade stört sich Leser B.D. mit starken Worten ("perverser Text") an zwei Meldungen aus der Main-Post vom 15. März: "Sex auf Kirchenaltar: Prozess dauert länger" unter der Rubrik "Bayern kompakt" sowie "Sexuelle Belästigung: Prozess gegen Marc Terenzi gegen Auflagen eingestellt" unter "Namen und Nachrichten".
Der Leser fragt: Wieso und für wen?
Herr B.D. fürchtet, mit den beiden Zeitungsmeldungen fördere die Redaktion weitere "kranke Hirne", die noch eins draufsetzen wollen, um in die Schlagzeilen kommen. Er fragt, wieso die Texte veröffentlicht wurden und wen sie interessieren. Diese Fragen sind berechtigt. Sie stehen immer im Vordergrund, auch in der Redaktion.
Sicher ist: Die beiden angesprochenen Nachrichten finden ihre Abnehmer. Ich weiß nicht welche. Aber deren Motive können durchaus ernsthaft und nicht von Sensationslust getragen sein. Leider lässt sich nie ausschließen, dass sich anfällige Personen zur Nachahmung animieren lassen könnten.
Redakteure sind nicht dem Versuch erlegen, sich zu ergötzen
Weil es Leser geben kann, die mit solchen Nachrichten Probleme haben, dürfen Journalisten nicht einfach ihre Finger davon lassen. Das verbietet ihr Berufsbild, das sich auch aus dem Grundgesetz ergibt. Entscheidend ist, wie sie mit Themen und Ereignissen in ihren Darstellungsformen umgehen.
Vorliegend sind beide Fälle von 15. März als Nachrichten ausreichend nüchtern dargeboten. Redakteure sind nicht dem Versuch erlegen, sich daran zu ergötzen. Bei Terenzi sorgt auch sein Promi-Faktor aus dem Dschungelcamp dafür, dass die Einstellung des Verfahrens gegen ihn wegen sexueller Belästigung als Folgebericht unerlässlich gewesen ist. Über den unerledigten Fall, bei dem es um noch mehr als um die Verletzung eines Kirchenaltars in Bayern geht, wird wohl weiterhin aus dem Gericht zu berichten sein.
Mosaiksteinchen, um die Gesellschaft als Ganzes zu verstehen
Der Auftrag der Medien schließt die Verbreitung solcher Ereignisse ein. Die Nachricht muss dabei distanziert gehalten sein, wie in den vorliegenden Fällen. Aber als Mosaiksteinchen tragen auch unerfreuliche Informationen aus Justiz und Gesellschaft dazu bei, die Gesellschaft als Ganzes zu verstehen. Sie sind insofern Wissensvermittlung und unterstützen die Meinungsbildung.
Dafür steht das Bundesverfassungsgericht mit Entscheidungen. Weltverständnis, das wissen längst alle, wird nicht mehr nur von Zeitungen geprägt. Das erhöht die Verantwortung aller für den Fortbestand der Demokratie.
Die Meldungen hätten ebenso gut ganz wegbleiben können
Nicht nur in großen Zusammenhängen gesehen hätten beide sehr sachlichen "Sex-Meldungen" ebenso gut ganz wegbleiben können. Sie wären in der Region kaum vermisst worden. Doch dann hätten an ihrer Stelle andere Beiträge ebenfalls in kleine abstoßende Ecken des Daseins blicken lassen, leider selten in bessere.
Die Auswahl ist im großen Schatten von Politik, Wirtschaft und Weltgeschehen für Journalisten noch reichlich. Die Süddeutsche Zeitung hat anschaulich dargestellt, wie Nachrichten nicht nur in die Zeitung gelangen. Denn auch für Online-Beiträge bedarf es einer Auswahl.
Die Zusammenstellung einer Zeitung ist subjektiv geprägt. Sie erfolgt zwar auf der Basis von Bewertungen der Nachrichten über Faktoren wie Relevanz, Tragweite und auch thematischer oder geografischer Nähe. Das führt stellenweise zu Übereinstimmungen zwischen den Zeitungen. Doch Kriterien lassen Entscheidungsspielräume. Deren Nutzung natürlich auch von der Perspektive der Journalisten abhängt. Unter den unzähligen kleinen Ereignissen ohnehin, weil deren Dimension vielfach keine Veröffentlichung notwendig macht. Deshalb weiß man im Ergebnis: andere Redaktion, andere Nachrichten-Mischung. Leugnen lässt sich nicht: Am 15. März wäre es auch ohne die Nachrichten gegangen, die B.D. ablehnt.
Auch die Botschaften, die Leser empfangen, sind subjektiv
Subjektiv und individuell sind nach der Veröffentlichung die Botschaften geprägt, die Leserinnen und Lesern aus den gebotenen Nachrichten empfangen. Deshalb gibt es nicht "die Medienwirkung". Vielleicht würde ich mich gerade einem anderen kritischen Leser als Herrn B.D. widmen, wären die Nachrichten anders ausgewählt worden. Egal: Grundsätzlich muss Lesern zugetraut werden, Nachrichten korrekt bewerten zu können. Dazu sollten zwar schon Schulen eine Basis geschaffen haben. Eine starke Verpflichtung bleibt aber bei den Journalisten. Sie müssen mit einer Transparenz in ihren Leistungen, die über den Nachweis von Unabhängigkeit hinausgeht, dazu beitragen, dass möglichst wenig missverstanden werden kann.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zu Perspektiven der Nachrichten-Auswahl in Medien:
28. März 24: "Ein kleiner, blauer Hinweis auf ein "Essay" in der Zeitung inspiriert zu mehr Medien-Transparenz"
9. März 23: "Wie Medien zu blinden Flecken unserer Wahrnehmung beitragen"
27. Mai 21: "Wie digitale Daten bei der Auswahl von Nachrichten helfen"
4. Juni 20: "Die Nachrichtenauswahl ist immer diskussionswürdig"
14. Aug. 19: "Was nicht berichtet wurde"
5. Mai 13: "Sie können auch selbst heraussuchen, was in dieser Zeitung wirklich unwichtig ist"
29. Sept. 09: "Wichtige Nachrichten, die in der Zeitung niemand vermissen würde"