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Würzburg
Computerwelten auf der Bühne der Bayreuther Festspiele - wieviel digitale Realität verträgt die Oper?
Die Premiere der Bayreuther Festspiele wird heuer mit Augmented Reality (AR) über die Bühne gehen. Das sagen Regisseurinnen und Regisseure dazu, die in Würzburg tätig sind.
Für ihre Inszenierung der Mozartoper 'Così fan tutte' in der Saison 2017/2018 arbeitete Regisseurin Martina Veh mit Projektionen des Videokünstler-Duos fettFilm.
Foto: Thomas Obermeier | Für ihre Inszenierung der Mozartoper "Così fan tutte" in der Saison 2017/2018 arbeitete Regisseurin Martina Veh mit Projektionen des Videokünstler-Duos fettFilm.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 12.10.2023 03:15 Uhr

Die uralte Kunstform der Oper und Augmented Reality? Geht das zusammen? Der amerikanische Regisseur Jay Scheib, Computerspiel-Fan und Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), verantwortet in diesem Jahr die Neuinszenierung von Richard Wagners "Parsifal" bei den Bayreuther Festspielen, die am 25. Juli beginnen. Dabei wird er Augmented Reality (AR) einsetzen, also dem realen einen virtuellen Raum hinzufügen. Es wird viel über das Projekt diskutiert, vor allem, seit sich herausstellte, dass aus Kostengründen nur ein Teil des Publikums Augmented-Reality-Brillen bekommen kann.

Die Redaktion hat Regisseurinnen und Regisseure, die in den letzten Jahren in Würzburg Opern inszeniert haben, nach ihrer Meinung befragt: Liegt der Reiz des (Musik-)Theaters nicht darin, eine Illusion mit den – analogen – Mitteln des Theaters zu erzeugen? Oder muss auch das Theater sich allen technischen Möglichkeiten öffnen? Hier sind ihre Statements:

Nina Russis Inzenierung der Oper 'Die Sache Makropulos' lebt ganz von der Personenführung und den klassischen Mitteln des Theaters.
Foto: Thomas Obermeier | Nina Russis Inzenierung der Oper "Die Sache Makropulos" lebt ganz von der Personenführung und den klassischen Mitteln des Theaters.

Nina Russi: "Ich glaube an eine Illusion ohne digitalen Filter"

Die Schweizerin, Jahrgang 1984, hat am Mainfranken Theater "Die Sache Makropulos" inszeniert (letzte Vorstellung am 28. Juli):

Ich habe mich bisher nicht mit Augmented Reality in der Oper befasst - und habe es momentan auch nicht vor, da ich persönlich an eine Illusion glaube, welche das ganze Publikum ohne digitalen Filter erfasst und einen solchen auch nicht braucht. Gleichzeitig bin ich der Auffassung, dass man technische Erweiterungen des Genres nicht à priori schlechtreden soll, bevor man nicht selber eine Umsetzung erlebt hat.

Da die Premiere in Bayreuth ja erst Ende des Monats stattfindet, mag ich darüber zum jetzigen Zeitpunkt nicht urteilen oder vorurteilen. Bevor ich nicht am eigenen Leib eines Besseren oder Schlechteren belehrt werde, vertraue ich Regiekolleginnen und -kollegen und gehe davon aus, dass sie mit guten Gründen und Gedanken solche neuen Mittel ausprobieren.

Projektionen, wie hier in Andreas Wiedermanns 'Zauberflöten'-Inszenierung, sind auch in der Oper längst Alltag.
Foto: Nik Schölzel | Projektionen, wie hier in Andreas Wiedermanns "Zauberflöten"-Inszenierung, sind auch in der Oper längst Alltag.

Andreas Wiedermann: "Im Fall Wagner kann ich mir den Einsatz neuester Medien recht gut vorstellen"

Der Niederbayer, Jahrgang 1978, hat am Mainfranken Theater "Comedian Harmonists", "Die Zauberflöte" und "Garten der Lüste" inszeniert:

Ich halte den Begriff der "AR" für irreführend. Es gibt keine "erweiterte Realität", sondern höchstens andere Mittel der Illusion. Im Fall Wagner, der in seiner mäandrierenden Musik ja ohnehin an einer Art musikalischem Bewusstseinsstrom gearbeitet hat, kann ich mir den Einsatz neuer und neuester Medien recht gut vorstellen. Wenn wie im "Parsifal" "zum Raum die Zeit" wird, kann natürlich auch die Verschränkung verschiedenster analoger und digitaler Bewusstseinsräume eingesetzt werden.

Meine größte Sorge ist allerdings die technische Umsetzbarkeit. Die vagen Versuche, die ich bis dato gesehen habe, scheiterten an budgetären Gegebenheiten, an der Kitschigkeit der digital generierten Bildwelten oder einfach daran, dass die digitale Welt außer etwas Dekoration nichts Nennenswertes zum Bühnengeschehen beigetragen hat. Und wenn ich im Vorfeld bereits lese, dass aus finanziellen Gründen nur ein Teil des Publikums Brillen aufsetzen kann, scheint der Einsatz dieses Mittels ja nicht von allergrößter Bedeutung sein zu können... Man muss die Aufführung natürlich sehen, um das beurteilen zu können. Bleiben wir gespannt - und offen.

Tomo Sugao (mit Maske) im Corona-Jahr 2021 bei den Dreharbeiten zur Kino-Oper 'Der arme Matrose'. 
Foto: Steffen Boseckert | Tomo Sugao (mit Maske) im Corona-Jahr 2021 bei den Dreharbeiten zur Kino-Oper "Der arme Matrose". 

Tomo Sugao: "Wagner selbst war ja Erneuerer vieler Sachen"

Der Regisseur, geboren 1979 in Sapporo, Japan, hat am Mainfranken Theater "Die Hugenotten", "Nixon in China", "Der arme Matrose", "Götterdämmerung" und "Anatevka"  inszeniert:

Oper hat im Laufe der Geschichte viel technische Innovation erlebt und mitgestaltet. Wagner selbst war ja Erneuerer vieler Sachen, von der Beleuchtung bis hin zu Instrumenten, die er selbst erfunden hat. Mikrofone sind für viele Komponisten heute selbstverständlicher Bestandteil ihrer Arbeit, ob Wagner, wenn er diese Möglichkeit gehabt hätte, sie ignoriert hätte?

Viele Theater haben mittlerweile Kolleginnen und Kollegen für Video - in eigener Abteilung oder als Teil der Ton- oder Licht-Abteilung. Ich würde sagen, dass diese Technologie inzwischen einen festen Platz hat in Bewusstsein von Theatermachern und Zuschauern. Ähnlicherweise hat AR auch (möglicherweise) eine Chance. Noch sind ist die finanzielle Hürde hoch, aber selbst das ist eine Frage der Zeit (und der technischen Entwicklung.)

Ob diese eine Produktion in Bayreuth gleich eine entscheidende Aussage trifft, bleibt abzuwarten. Muss sie ja auch nicht. Möglicherweise folgen einige andere Versuche (und Scheitern), woraus noch mehr interessante Resultate folgen könnten.

Regisseur Matthew Ferraro bei den Proben zu 'Lucia di Lammermoor'.
Foto: Thomas Obermeier | Regisseur Matthew Ferraro bei den Proben zu "Lucia di Lammermoor".

Matthew Ferraro: "Ich glaube, dass es Wagner, Beethoven und Mozart gutgehen wird, egal, was man mit ihnen macht"

Der Amerikaner, Jahrgang 1978, hat am Mainfranken Theater "Die sizilianische Vesper", "Evita" und "Lucia di Lammermoor" inszeniert:

Als Künstler bin ich sehr für Experimente. Ich habe mir viele neue Theatertechnologien zu eigen gemacht und halte sie für meine Arbeit für unverzichtbar - bewegliche Lichter, Projektoren, 3D-Modellierungssoftware oder Tonverstärkung. Ich glaube auch, dass es Wagner und Beethoven und Mozart gutgehen wird, egal, was man mit ihnen macht.

Andererseits glaube ich, dass Theaterkünstler mit den Streaming-Diensten in einem existenziellen Kampf um das Publikum stehen. Alles, was das Theater zu einem Ort macht, der dem Zuhause ähnelt, wo man auf den Bildschirm schaut, im Gegensatz zu einem Raum, wo man gleichzeitig mit anderen Menschen dasselbe sieht, schmälert unsere Macht und die Nachfrage nach unseren Dienstleistungen.  Ich denke, wenn man die ganze Zeit etwas im Gesicht hat, wird es die Vorstellung zu einer eher einsamen, isolierten Erfahrung machen. Wenn es andererseits dazu führt, dass die Leute über die Oper diskutieren, dann ist das wahrscheinlich ein positives Ergebnis.

Ich persönlich habe die Möglichkeiten, Theater ohne digitale Augmentation zu machen, noch nicht ausgeschöpft. Dieser Regisseur vielleicht schon. Schön für ihn! Ich habe irgendwo gelesen, dass wir mindestens eine Generation brauchen, um herauszufinden, wie wir neue Technologien am besten nutzen können. Hoffen wir, dass das Live-Theater lange genug überlebt.

Regisseurin Martina Veh  2018 am Mainfranken Theater bei den Proben zu 'La Bohème'.
Foto: Thomas Obermeier | Regisseurin Martina Veh  2018 am Mainfranken Theater bei den Proben zu "La Bohème".

Martina Veh: "Die einzige Kategorie, die zählt, ist, ob es den Zuschauer zu fesseln vermag"

Die Regisseurin, geboren 1971 in Starnberg, hat in Würzburg "Così fan tutte" und "La Bohème" inszeniert:

 Was ist der Sinn unserer Kunst? Wir sollten Narren sein! Im besten Sinne! Hofnarren, zuständig für die genaue Beobachtung der Gegenwart und zuständig für die Erschaffung von alternativen Realitäten. Unser Begriff von "Realität" ändert sich ja soeben durch die KI-Technologie.

Vergessen wir nicht: Der Grüne Hügel ist entstanden, um einem Experiment Raum zu geben. Ausgang offen, ohne Scheitern keine Entwicklung! In der bildenden Kunst und der Medienkunst blicken wir schon auf drei Jahrzehnte Erfahrungen mit Mixed-Reality im VR- und AR-Bereich zurück, leider hinkt das Theater in der Anwendung immer Jahrzehnte hinterher. Heute spricht keiner mehr über den Einsatz von Videokunst in Bühneninszenierungen. Die einzige Kategorie, die zählt, ist, ob es den Zuschauer zu fesseln vermag und ihm neue Gedankenfelder aufzeigen kann, mühelos.

Durch meine Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit fettFilm, Spezialisten für Videokunst, kann ich nur sagen, wie unendlich reizvoll die Aufgabe ist, gemeinsam neue Welten zu erkunden, immer im Dienst am Inhalt und Thema des Stücks, nahe am Menschen und dessen Glanz und Abgrund.

 
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