Wo anfangen? Vielleicht mit einem Pauschalurteil: An dieser Inszenierung stimmt einfach alles. Martina Veh hat Mozarts „Cosi fan tutte“ für das Mainfranken Theater in Szene gesetzt, herausgekommen sind drei Stunden pures Vergnügen, beglücktes Staunen, selbstvergessenes Schwelgen, verblüfftes Lachen und – nicht zuletzt: nachdenkliches Bangen.
Man kann diese höchst unwahrscheinliche Geschichte von zwei Müßiggängern, die nichts besseres zu tun haben, als mit einem Zyniker eine höchst sittenwidrige, frauenverachtende und vor allem selbstschädigende Wette über die Treue ihrer Verlobten einzugehen, man kann diese kolossale Gemeinheit tatsächlich so glaubhaft umsetzen, dass sie zur einigermaßen beunruhigenden Parabel auf unser aller Leichtfertigkeit im Umgang mit allem wird, was uns heilig sein sollte.
Plädoyer für die Kraft des Theaters
Wenn man an die Kraft der Musik glaubt und an die Kraft des Theaters. Dann nämlich entsteht dieser Zauber, der ganz ohne Mummenschanz auskommt.
Doris Dörrie hatte Guglielmo und Ferrando 2001 an der Berliner Staatsoper noch von adretten Piloten in schlurfige Hippies transformiert, Christl Wein (Kostüme) braucht hier für die Verwandlung der Verlobten in vorgebliche Albaner (oder Türken?) aus der Fremde nur weiße anstatt rote beziehungsweise gelbe T-Shirts und Converse-Turnschuhe.
Und das funktioniert: Es muss nur das Farbleitsystem Fiordiligi + Guglielmo = Gelb und Dorabella + Ferrando = Rot (eine Äußerlichkeit, wie sich herausstellt) durchbrochen werden, und schon sind alle Vertrautheiten beseitigt.
Interessanterweise sind auch Bühne und Videozuspielungen des Duos fettFilm (Momme Hinrichs und Torge Moller) eindeutiges Plädoyer für die Kraft des Theaters. All der kunstvolle Einsatz der Drehbühne mit ihren heb-, schwenk- und kippbaren Elementen, all die interaktiven Projektionen vom belebten Standbild bis zur Graffiti-Simulation, all die optischen Gags, die Zeichentrickeinlagen, die geometrischen Tüfteleien führen immer wieder zu den Figuren und ihren Seelen- und Gewissensnöten zurück. Schaffen Räume für Träume, Räume der Weite aber auch Räume der Enge und der Ausweglosigkeit.
Denn die Herrschaften leben in, auf und mit Schachteln. Die halten ihnen jegliche Außenwelt vom Hals, machen sie allerdings auch zu – im wahrsten Sinne – ziemlich beschränkten Figuren. Mehr Anspielung auf das Entstehungsjahr 1789 braucht es nicht.
Schon zur Ouvertüre huschen die Personen als Scherenschnitte über einen taumelnden Würfel, später werden sie immer wieder Wände verschieben oder durchbrechen müssen. Das ist symbolisch einleuchtend und unterhaltsam dazu.
All das ist ideale Spielwiese für ein sängerisch wie schauspielerisch großartiges Ensemble. Selten erlebt man ein derartig homogenes Cosi-Sextett – mit Silke Evers und Marzia Marzo, die als Fiordiligi und Dorabella eine Art Urbild schwesterlicher Harmonie aber auch Konkurrenz und Missgunst zeichnen. Mit einem leicht einfältigen Ferrando (Roberto Ortiz) und einem sehr charismatischen Guglielmo (Daniel Fiolka). Mit einem Teufelsbraten von Despina (Akiho Tsujii) und einem Don Alfonso (Taiyu Uchiyama), der eher jugendlicher Zocker als altersbitterer Philosoph ist.
Sie alle offenbaren dank unzähliger witziger oder anrührender Regieeinfälle pausenlos bemerkenswerte komödiantische, charakterliche und sogar akrobatische Qualitäten – vom Singen mit Löffel im Mund oder mit dem Kopf im Dekolleté der Liebsten, im Liegestütz oder auf schiefer Ebene bis hin zur Kaltblütigkeit, die man braucht, wenn eine Bühnenrückwand auf einen herabfällt, einen aber verfehlt, weil die Fensteröffnungen passgenau sitzen.
Diese „Cosi“-Version ist auch musikalisch pures Glück
Die Neuzugänge Marzia Marzo und Akiho Tsujii hatten schon beim Galaabend „Auftakt!“ begeistert, hier erweisen sie sich als ausgesprochen vielversprechende Verstärkung des Ensembles. Denn diese „Cosi“-Version ist auch musikalisch pures Glück. Enrico Calesso leitet ein Philharmonisches Orchester, das einerseits die vielen Doppelbödigkeiten dieser unglaublich detailreichen Partitur hörbar macht, andererseits die Sänger auf einem ebenso transparenten wie stabilen Geflecht liebevoller Sensibilität trägt.
Die große Frage: Wie geht es aus?
Und dann die große Frage, die sich bei Mozart immer stellt: Wie geht es aus? Wie soll das alles noch irgendwie zu einem versöhnlichen Ende kommen? Musik und Libretto suggerieren Vergebung und Läuterung, nachdem der Schwindel aufgedeckt, Despina und Alfonso behelfsweise als Sündenböcke benannt sind. Aber so einfach ist es natürlich nicht.
Niemand ist in dieser unnötigen und vorsätzlich fahrlässigen Charade unverletzt geblieben. Nachdem also bei der Beinahe-Hochzeit mit Endlosschleiern vor Abendmahlskulisse (auch hier zeigt sich der Chor einmal mehr in all seiner dramaturgischen Verlässlichkeit) die Teller geflogen sind, herrscht Ratlosigkeit. Manche Lehren des Lebens bestehen eben einfach nur aus Schmerz.
Die weiteren Vorstellungen: 12., 24., 29. Oktober; 3., 11., 17., 25. November; 9., 13., 21., 26. Dezember; 13., 17., 27. Januar, 19.30 Uhr. 22. Oktober 15 Uhr. Karten: Tel. (09 31) 39 08 124