zurück
Würzburg
Mainfranken Theater: "Götterdämmerung" nachts im Museum
Wer nicht aus der Vergangenheit lernt, geht unter. Tomo Sugaos Inszenierung der monumentalen Wagner-Oper ist verblüffend schlüssig. Und voller Überraschungen.
Der gefällte Held: Paul McNamarra als Siegfried.
Foto: THOMAS OBERMEIER | Der gefällte Held: Paul McNamarra als Siegfried.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:45 Uhr

Ein Museum nach dem Untergang, nach einer Plünderung vielleicht. Die Vitrinen umgestürzt und leer, die Zeugnisse der Geschichte vernichtet. Es gibt nichts mehr zu bewahren, die Vergangenheit ist vorbei. So endet Tomo Sugaos Inszenierung von Richard Wagners "Götterdämmerung", die am Sonntag im Mainfranken Theater vor ausverkauftem Haus eine umjubelte (und von einigen mutmaßlich traditionalistischen Buhs durchsetzte) Premiere feierte.

Ob "Tristan", "Parsifal", "Lohengrin" oder "Ring des Nibelungen": Fast immer gibt es bei Wagner eine Vorgeschichte. Die wird zwar meist im Laufe des Stücks nacherzählt, es hilft dennoch, sich vorab einzulesen. Was aber, wenn dem Stück drei Teile vorangehen, in denen all das angelegt wurde, was sich nun, nach vielen Stunden des Kampfes, der Intrigen, des Bangens, Liebens und Mordens zu einem unausweichlichen Ende fügt?

Bilderbuch-Bösewicht: Hagen (Guido Jentjens) im Kreise der Gibichungen.
Foto: THOMAS OBERMEIER | Bilderbuch-Bösewicht: Hagen (Guido Jentjens) im Kreise der Gibichungen.

Was also, wenn "Götterdämmerung" ohne die drei vorangehenden Dramen des "Ring" gespielt wird? Tomo Sugao hat eine verblüffend schlüssige Lösung gefunden, die er im Programmheft unter der vielversprechenden Überschrift "Nachts im Museum" erklärt: "Der Nibelungen-Mythos, den Wagner in den drei vorausgehenden Stücken der ,Ring'-Tetralogie erzählt hätte, bleibt bei der ,Götterdämmerung' als Solo-Aufführung nur eine Behauptung. Eine Behauptung, die Hagen von seinem Vater Alberich geerbt hat."

Die ganze Welt der Mythen lagert in verstaubten Vitrinen

Alles, was bisher geschah, ist in den grau verstaubten Vitrinen eines vergessenen Naturkundemuseums ausgestellt: die Welt-Esche, der erschlagene Drache Fafner, Wotan, der von Siegfried zerhackte Amboss, der Rhein nebst Rheintöchtern, das Rheingold. Gegenstück zu dieser monochromen Legendengruft ist die Halle der Gibichungen, ein angedeutetes Oval Office, in dem eine grellbunte Partygesellschaft ihren stumpfsinnigen Vergnügungen nachgeht, die Männer in Trump-Frisuren, Trump-Sakkos, Trump-Krawatten (Kostüme: Carola Volles).

Vor ihrem Zorn zittern alle: Elena Batoukova-Kerl als Brünnhilde.
Foto: THOMAS OBERMEIER | Vor ihrem Zorn zittern alle: Elena Batoukova-Kerl als Brünnhilde.

Paul Zoller hat dafür unter optimalem Einsatz von Drehbühne und Licht (Mariella von Vequel-Westernach) wunderbar wandelbare Welten geschaffen. Museum und Halle, Götter- und Menschenwelt, Jenseits und Diesseits also, sind nur durch einen vielfach durchlässigen Vorhang getrennt – geschlossen bildet sein ovales Halbrund die Halle, geöffnet entlässt er die Menschen in eine Welt schlummernder Wunder, die sie freilich nicht begreifen. Diese Unfähigkeit, aus der Vergangenheit zu lernen, wird die Menschheit mit ihrer Vernichtung bezahlen. 

Helden sind, wenn sie nicht gerade Drachen erschlagen, in der Regel nicht die Hellsten

Nur Hagen, der verbitterte Halbgott, weiß von beiden Welten. Sieht man von Brünnhilde und Siegfried ab, die aber ihre eigenen Probleme haben: Brünnhilde, zwangsweise Mensch, hofft weiterhin, dass Wotan ihr vergeben möge. Und was Siegfried weiß oder nicht weiß, was er begreift oder nicht begreift, das wird nie ganz klar – Helden sind, wenn sie nicht gerade Drachen erschlagen, in der Regel nicht die Hellsten.

Fotoserie

Tomo Sugao gelingt das Unmögliche: Immer wieder bricht er die erhabene Tragik mit liebenswürdigen und kundigen Ironisierungen, ohne dem Ganzen die Tiefe zu nehmen. Als Siegfried zu neuen Abenteuern aufbricht, vertraut ihm Brünnhilde ihr treues Ross Grane an – sie drückt ihm ein Plüschpferd in die Hand: "Du hüt in wohl, er hört dein Wort". Die Nornen spinnen kein Schicksalsseil, sondern spielen das Fadenspiel, das jeder aus seiner Kindheit kennen müsste. Kein leerer Gag, denn genau um Kindheit geht es: Wir sehen Hagen als streunendes Kind im Museum (Friedrich Boenisch), wie er von den Nornen und von seinem Vater Alberich traktiert wird. So einer, Spielball fremder Ambitionen, kann kein normaler Erwachsener werden. 

Die Zeichnung der Figuren ist eine der Stärken dieser Inszenierung: Die Nornen (faszinierend gefühlskalt: Marzia Marzo, Barbara Schöller, Silke Evers) bedienen als düstere Wärterinnen die Vorhänge und lenken so das Geschehen. Die quirligen Rheintöchter (Akiho Tsujii, Silke Evers, Hiroe Ito) bilden als skrupellose Naturwesen Gegenpol und Pendant gleichermaßen.

Der eigentliche Star aber ist Guido Jentjens als Hagen – ein Bösewicht der Extraklasse

Brünnhilde (mit lupenrein strahlendem Sopran: Elena Batoukova-Kerl) ist die heroisch aus der Zeit Gefallene, während Siegfrieds Heldentum eben auch nur eine Behauptung ist. Im Hier und Jetzt jedenfalls tappt er in jede denkbare Falle. Paul McNamara verweigert mit sichtlichem Spaß die Heldenpose. Alberich (Igor Tsarkov) ist ein grämlicher Hausmeister, Gunther (Kosma Ranuer) ein gar nicht mal unsympathischer Feigling. Claudia Sorokina lässt gekonnt lange offen, wie sehr sich Gutrune tatsächlich für Siegfried interessiert, und Sandra Fechner setzt als Waltraute eines der sängerischen Glanzlichter.

Der eigentliche Star aber ist Guido Jentjens als Hagen. Sein glasklarer Bass behält scheinbar mühelos auch über dickstes Blech die Oberhand, jedes seiner Worte ist verständlich. Jentjens verkörpert beängstigend locker den unrettbaren Soziopathen, dessen Schicksal von Anfang an mit dem von Siegfried verknüpft ist. Ein Bösewicht der Extraklasse.

Anzeige für den Anbieter Facebook Video über den Consent-Anbieter verweigert

Das Philharmonische Orchester wird sehr zu Recht schon nach dem ersten Aufzug vom Publikum gefeiert, Enrico Calesso hat sich mit seinen Musikerinnen und Musikern (und mit dem wie immer perfekt von Anton Tremmel vorbereiteten Chor) die unendlich vielschichtige und technisch kolossal schwere Partitur wirklich zu eigen gemacht. Tatsächlich klingt diese "Götterdämmerung" in der hier uraufgeführten orchestralen Bearbeitung von Eberhard Kloke und in dieser Umsetzung kein bisschen nach Stadttheater, sondern nach wahrhaft großer Oper.

Die weiteren Vorstellungen: 30. Mai (16 Uhr). Im Juni: 9. (16 Uhr), 16. (15 Uhr), 20. (16 Uhr), 30. (15 Uhr). Im Juli: 14. (16 Uhr), 20. (17 Uhr). Karten: Tel. (09 31) 39 08-124 oder karten@mainfrankentheater.de

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Mathias Wiedemann
Barbara Schöller
Der Ring des Nibelungen
Enrico Calesso
Mainfranken Theater
Museen und Galerien
Musiker
Musikerinnen
Oper
Richard Wagner
Stadttheater
Theater
Wagner-Opern
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen