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WÜRZBURG
Cowboy trifft Sphinx: Als Nixon Mao die Hand schüttelte
Nicht ganz harmonisch: Nixon (Daniel Fiolka) und Mao (Paul McNamara). Links Bryan Boyce als Henry Kissinger.
Foto: Thomas Obermeier | Nicht ganz harmonisch: Nixon (Daniel Fiolka) und Mao (Paul McNamara). Links Bryan Boyce als Henry Kissinger.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 24.05.2022 09:15 Uhr

Machen wir uns nichts vor: Gegen Trump wirkt der verlogene Richard Nixon, US-Präsident von 1969 bis 1974, wie ein Waisenknabe. Immerhin: Mit seiner Chinareise und dem Treffen mit Mao ist ihm 1972 ein Moment von bleibender Bedeutung gelungen. Wenige Monate später trat Nixon, wegen seines Hangs zu unsauberen Methoden seinerzeit „tricky Dick“ genannt, im Zuge der Watergate-Affäre allerdings zurück, um einem Amtsenthebungsverfahren zuvorzukommen. Wenn Trump sich nun tatsächlich mit dem nordkoreanischen Möchtegern-Mao Kim Jong-un trifft, könnte es bald danach vielleicht wieder einen solchen Nixon-Moment geben...

Man kann ja träumen – Berthold Warnecke jedenfalls tut das in seiner Einführung zur Premiere von John Adams' Oper „Nixon in China“ am Samstag im Mainfranken Theater. Der Operndirektor und Dramaturg löst damit wissendes Schmunzeln aus, ebenso wie später etliche Anspielungen in der Oper selbst, etwa wenn Daniel Fiolka in der Titelrolle dem chinesischen Empfangskomitee allzu übergriffig die Hände schüttelt. Hat man jüngst auch schon mal in echt gesehen.

Minimal Music muss nicht eintönig klingen

John Adams, Jahrgang 1947, ist ein Vertreter der Minimal Music, die viele vertraute Elemente, größere Melodiebögen etwa, verweigert. Oder: ohne diese auskommt. Denn „Nixon in China“ ist alles andere als eintönig. Adams setzt zwar repetitive Abschnitte, Patterns genannt, aneinander, verschiebt, verkantet und stapelt sie, das Resultat aber ist weit weniger radikal und fordernd als etwa die Stücke von Kollegen wie Steve Reich oder gar Morton Feldman. Adams geht es nicht um Reduktion, Entgrenzung und Auflösung mit dem Ziel meditativer Versenkung (ein Effekt, der bei Feldman oder Reich schon mal eintreten kann), sondern im Grunde ganz konventionell und für den Zuhörer erlebbar um Spannung und Dramaturgie.

Vertrackteste Rhythmen auf der Basis ständig wechselnder Metren (sehr oft gerade und ungerade gleichzeitig), Signaltöne, Motivschnipsel und viel, viel Dur mit hin und wieder Sept- und Nonenakkorden, wie man sie aus dem Blues kennt, ergeben einen changierenden und überraschend anpassungsfähigen Klangteppich, der sich bei näherem Hinhören als ausgesprochen kunstvoll gewebt erweist.

Drei Stunden Maximalkonzentration für Orchester und Ensemble

Generalmusikdirektor Enrico Calesso, Initiator der Produktion, leitet das Philharmonische Orchester scheinbar gelassen, jedenfalls aber sehr präzise und souverän durch drei Stunden Maximalkonzentration – das klingt beherzt, engagiert und richtig fetzig, was da aus dem Graben kommt.

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„Nixon in China“, uraufgeführt 1987, beschreibt in drei Akten den legendären Staatsbesuch von 1972, die Ankunft, erste Gespräche, Besichtigungstouren durchs Land und schließlich eine Art Resümee in einer Neben-, Zwischen- oder Unterwelt. Das poetisch-surreale Libretto von Alice Goodman könnte die direkte Vorlage für George Saunders' experimentellen Roman „Lincoln in the Bardo“ (noch eine Präsidenten-Geschichte) abgegeben haben.

Ein ebenso plastisches wie rätselhaftes Ganzes

Adams und Goodman schichten in gewaltigen Bildern und Klängen Zeitgeschichte, allerhand Metaebenen, persönliche Befindlichkeiten und kollektive Assoziationsräume zu einem ebenso plastischen wie rätselhaften Ganzen. Regisseur Tomo Sugao, der vergangene Saison „Die Hugenotten“ inszeniert hatte und in der kommenden„Götterdämmerung“ übernehmen wird, gelingen gleich mehrere paradoxe Effekte: Er lässt die Personen erwartbar klischeehaft antreten, als tumbe Westler beziehungsweise undurchschaubare Asiaten, in Cowboyhüten und -stiefeln beziehungsweise Mao-Blusen und Einheitsfrisuren, und doch scheinen überall individuelle Charaktere, Macken und Motivationen durch. Nixons Paranoia etwa oder Maos kolossale Egozentrik.

Mit Stilisierungen und Stilbrüchen entgehen Pascal Seibickes Kostüme dem Plakativen, die Choreografie von Yo Nakamura wiederum, angewendet auf die Tänzer, die die Hauptrollen spiegeln, ebenso wie auf die Sänger selbst, gibt dem Bühnengeschehen etwas zauberisch-albtraumhaftes. Schnell wird klar: Hier treffen diametral unterschiedliche Welten aufeinander, deren jede doch in sich selbst tief zerrissen, verlogen und korrupt ist.

Ständig ist alles im Fluss – Bühne und Musik ergänzen sich perfekt

Julia Katharina Berndt hat für die nahezu pausenlos laufende Drehbühne große, ihrerseits drehbare Wandelemente geschaffen, die den Raum permanent neu teilen, gliedern, interpretieren. So ist ständig alles im Fluss, Bilder und Tableaus (gerne auch mit Anspielungen an ikonische Fotografien jener Zeit) überlagern sich, gehen ineinander über, innere und äußere Zustände werden gleichzeitig sichtbar – eine frappierend einleuchtende Parallele zur Musik.

Die sehr zuverlässige Unruhe dieses optischen wie akustischen Uhrwerks bilden Chor (Einstudierung: Anton Tremmel), Tänzer und Sänger. Alle sind genauestens eingebunden, und alle begeistern immer wieder aufs Neue. Jeder Schritt, jede Geste, jede Grimasse (etwa Nixons, als ihn Mao daran erinnert, dass Wahljahr ist) hat ihren Platz und ihren Moment. Daniel Fiolka gibt einen grobmotorisch-gehetzten Nixon, Silke Evers seine beflissen-gutwillige Frau Pat. Bryan Boyce verkörpert einen eher zwielichtigen Henry Kissinger, während Taiyu Uchiyama als Chou En-lai eher das Ausgleichsmoment ist. Paul McNamaras Mao – immer umgeben von seinen quirligen Sekretärinnen (Barbara Schöller, Marzia Marzo, Hiroe Ito) – ist eine trügerisch joviale und gewalttätige Sphinx, während Akiho Tsujii als seine Frau Chiang Ch'ing sehr eindeutig frustriert und verbittert ist.

Das Premierenpublikum honoriert mit lang anhaltendem Beifall und etlichen Bravi vor allem eine gewaltige Ensembleleistung.

Die weiteren Vorstellungen – 19.30 Uhr: 27. Mai; 3., 10., 15., 26. Juni; 4., 6., 18. Juli. 15 Uhr: 15., 22. Juli. Karten: Tel. (09 31) 39 08-124, karten@mainfrankentheater.de

Umsorgt oder umzingelt? Silke Evers als Pat Nixon.
Foto: Thomas Obermeier | Umsorgt oder umzingelt? Silke Evers als Pat Nixon.
Die Amis schweben ein, und unten jubeln die Chinesen.
Foto: Thomas Obermeier | Die Amis schweben ein, und unten jubeln die Chinesen.
 
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