Irgendwann ist Schluss mit lustig. In Giacomo Meyerbeers Oper „Hugenotten“ brodelt es im Untergrund zwischen den Religionen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann überschäumende Feierlaune umschlägt und mühsam unterdrückte Ressentiments erneut auflodern. Und tatsächlich scheitern alle Bemühungen von König und Königin, Protestanten und Katholiken zu versöhnen. Sie finden ihr blutrünstiges Ende – damals wie heute angeblich in Gottes Namen – in der Katastrophe. In der Historie war es das Pariser Massaker, jene Bartholomäusnacht des Jahres 1572, in der Katholiken über 3000 Protestanten niedermetzelten, das dem Komponisten Inspiration für eine Fülle von musikalischen Einfällen bot.
Giacomo Meyerbeer, 1791 in Berlin geboren, mischt nach Studium und Italienaufenthalt zu Lebzeiten die Pariser Musikwelt auf. Gemeinsam mit seinem Librettisten Eugene Scribe legt er in dieser Grand Opéra ein pompöses, farbenprächtiges Werk vor, in dem sich Massenszenen von überwältigender Wucht, aber auch kleine Begebenheiten, schicksalsschwere und komödiantische Momente abwechseln. Es geht um den religiösen Konflikt, Missverständnisse und daraus resultierende Gräuel. Es geht um Fanatismus und fehlende Toleranz. Und es geht um Liebe und ihr tragisches Ende.
Die Regie von Tomo Sugao bringt all das in einem sorgfältig ausgearbeiteten Spannungsbogen auf die Bühne des Würzburger Mainfranken Theaters – eine mit Bravour gemeisterte Herausforderung in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Alle Mitwirkenden führt er zu bemerkenswerter schauspielerischer Höchstleistung, während ein präzise arbeitender Chor mit Extrachor unter der Leitung von Anton Tremmel sowie die Solisten auf einen Klangteppich aus dem Orchestergraben vertrauen können, der sich unter dem Dirigat von Enrico Calesso ausbreitet und opulente Kraft, pastorale oder ausgelassene Stimmung, beschwingte Sequenzen, zarten Schmelz verströmt.
Außenseiter
In diesem für Augen und Ohren hinreißenden Gesamtkunstwerk auf der Würzburger Bühne setzen Lichteffekte (Roger Vanoni) Akzente. Außerdem ein Bühnenbild aus drei beweglichen Wagensystemen (Julia Katharina Berndt) ohne Requisiten, und eine vom Regisseur erfundene Rolle, die die mit Herzblut agierende, nahezu stumme Mezzosopranistin Barbara Schöller ausfüllt. Sie agiert als eine Art Maître de Plaisir – im Programmheft Erzähler genannt –, wird anfangs von allen Parteien geduldet und später als Außenseiter übel zugerichtet.
Es nützt nichts, dass sie immer die richtigen Fäden gezogen hat . . .
Die Oper beginnt mit einer überschäumenden Feier. Der katholische Graf von Nevers hat neben Glaubensbrüdern auch den Hugenottenführer Raoul de Nangis geladen. Eine überzeichnet dargestellte Festgesellschaft, die in schwarz-weißen Kostümen von Pascal Seibicke steckt, fantasievollsten Kopfschmuck trägt (über 90 Perücken wurden für diese Produktion gefertigt) und sich in Choreografien von Marius Krisan bewegt, spiegelt Dekadenz und Massenhysterie dieser Tage wider. Im Gegensatz dazu dringt immer wieder die Strenge des Chorals „Ein feste Burg ist unser Gott“ durch.
Daniel Fiolka bedient seine Rolle als Graf mit zuverlässigem Bariton, gibt Nevers mit gewohnter Spielfreude. Uwe Stickerts Tenor lässt aufhorchen. Als hugenottischer Edelmann Raoul besingt er lyrisch beseelt die Dame seines Herzens in vollkommener Harmonie mit der Bratsche (Makoto Suder). Später wird er im Duett mit seiner Liebe, der Katholikin Valentine, deren erzwungene Hochzeit mit Nevers mit schwarzen Rosen symbolisiert wird, mit bestens sitzender Stimme Wärme, aber auch Entschlossenheit verströmen.
Momente des Schmunzelns
Karen Leiber als Valentine, Tochter des katholischen Grafen von Saint-Bris (Bryan Boyce) steht ihm stimmlich gleichwertig gegenüber, schmilzt im Duett mit ihm zusammen und lässt ihrem Herzensschmerz im Zusammenklang mit der Oboe freien Lauf. Ihr Sopran berührt durch die gelungene stimmliche Charakterisierung einer zwischen Liebe, Leben, Verpflichtung und Ehre hin- und herumgerissenen Frau.
Für Schwung und Schmunzeln dagegen sorgt Silke Evers? glockenhelle Sopranstimme mit weichen Spitzentönen und großen Bögen. Sie ist der reizende Page Urbain am Hof der Königin von Navarra („Eine holde edle Dame“), während Claudia Sorokina in der Rolle der kapriziösen Margarethe von Valois teils genervt, teils ernsthaft bemüht, nach endgültiger Aussöhnung zwischen den Religionen strebt. Die von ihr ersehnte Idylle ergießt sich in perlenden, mit jauchzender Flöte korrespondierenden Koloraturen. Im krassen Gegensatz dazu handelt Thomasz Raff als Diener Marcel. Sein Bass beharrt eisern und trotzig auf seiner hugenottischen Besinnung, provoziert mit einem hugenottischen Kampflied („Piff Paff“) und wird von Blechbläsern aus dem Graben begleitet.
Am Ende bleiben neben vielen Einzeleindrücken das Bassklarinetten-Solo aus dem Orchestergraben und der bohrende Marschschritt der Mörder im Ohr – und unweigerlich gräbt sich der Vergleich zur Jetzt-Zeit in Herz und Gedanken.
Nach einem kurzen Moment applaudiert das Premierenpublikum im nahezu voll besetzten Haus stehend und enthusiastisch.
Nächste Vorstellungen: 7., 11. 22. Oktober. Karten: Tel. (09 31) 39 08-124