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Oberdürrbach
Eindrückliche Szenen und Bilder: Neues Musical "Anatevka" im Mainfranken Theater Würzburg
"Anatevka" heißt die aktuelle Musical-Produktion des Mainfranken Theaters Würzburg. Das Stück handelt von Flucht und Vertreibung aus der Ukraine in Zeiten des Russischen Kaiserreichs.
Das Bühnenbild und die Kostüme in der Inszenierung von 'Anatevka' des Mainfrankentheaters Würzburg transportieren die Handlung aus dem Jahr 1905 in die Mitte des 20. Jahrhunderts.
Foto: Thomas Obermeier | Das Bühnenbild und die Kostüme in der Inszenierung von "Anatevka" des Mainfrankentheaters Würzburg transportieren die Handlung aus dem Jahr 1905 in die Mitte des 20. Jahrhunderts.
Elke Tober-Vogt
 |  aktualisiert: 08.02.2024 17:14 Uhr

"Wir müssen das Stück spielen. Jetzt! Unbedingt!", sagt Regisseur Tomo Sugao über "Anatevka", die aktuelle Musical-Produktion des Mainfranken Theaters Würzburg. Und er hat damit genauso Recht wie Dramaturg Berthold Warnecke, der ankündigte, die gut dreieinviertel Stunden dieses "Wagner unter den Musicals" würden wie im Flug vergehen.

Vor zwei Jahren war die Produktion bereits geplant. Mit der Umsetzung in einem Jahr, in dem ein Krieg in Europa Fluchtbewegungen und Tod verursacht, rückt das Projekt in die bedrückende Wirklichkeit. Das Schtetl Anatevka ist als Dorf nämlich genau da verortet, wo sich aktuell eine "Spezialoperation" abspielt: in der Ukraine als einem Teil der Ansiedlungsregion für die jüdische Bevölkerung des Russischen Kaiserreichs.

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Der Milchmann Tevje (Jörg Sabrowski) lebt in dieser von Traditionen geprägten Umgebung mit seiner Frau Golde (Silke Evers) und fünf Töchtern. Die drei älteren, Zeitel (Marzia Marzo), Hodel (Akiho Tsujii) und Chava (Martina Dähne) sollen mit von der Heiratsvermittlerin Jente (Barbara Schöller) ausgewählten Ehemännern verheiratet werden. Doch die drei jungen Frauen brechen mit der Tradition und wählen selbst, was Tevje in Gewissensnöte stürzt: Er könnte sich Geeignetere vorstellen als einen Schneider, einen Studenten und einen Russen. In diesem Dorf wird nach Tradition gelebt, geliebt, gefeiert – bis es zu einem Pogrom und zur Räumung von Anatevka kommt.

Spektakuläres Bühnenbild und eindrucksvolle Choreografien

Das Team um Regisseur Sugao und Dramaturg Warnecke hat Großartiges geleistet: Momme Hinrichs geht beim Bühnenbild vom Gemälde "Nighthawks" (Nachtschwärmer) von Edward Hopper aus, das in einen spitzwinkligen Eckraum blicken lässt und hinter dem eine Straße entlang einer Häuserzeile ins Nichts führt. An einer Seite aufgeklappt, öffnen sich die Wohnung von Tevjes Familie oder eine Kneipe. Bei Drehung blickt man ins eheliche Schlafzimmer oder auf eine trostlose Bahnhaltestelle. Die Fenster lassen Platz fürs Eindringen von dunklen Gedanken und bedrohlichen Gestalten, der "Geiger auf dem Dach" schwebt als Videoschatten umher.

Eindrückliche Szenen: Skelette tragen Masken mit Neonfratzen.
Foto: Thomas Obermeier | Eindrückliche Szenen: Skelette tragen Masken mit Neonfratzen.

Und nicht nur das Mobiliar (beispielsweise eine Musikbox), auch die Kostüme von Gisa Kuhn transportieren das Geschehen aus dem Jahr 1905 näher ans Heute, nämlich in die Mitte des 20. Jahrhunderts, bilden neben der Tradition den Wandel vom "Heimchen am Herd" im Kleid mit Schürze zur Hosen tragenden Frau ab. Die Heiratsvermittlerin Jente stöckelt im Nerzjäckchen daher und spinnt ihre Fäden. Die Heiratskandidaten tragen karierten Pullunder oder Soldatenuniform.

Yo Nakamura liefert äußerst eindrucksvolle Choreografien, zum Beispiel mit der Tanzcompagnie in der Hochzeitsszene. Die Ereignisse überschlagen sich hier mit den Tanzenden, Körperbeherrschung und Ausdruck sind gefordert. Auch der Opernchor (Einstudierung Sören Eckhoff) zeigte sich in Bestform, ebenso wie das punktgenau und stilsicher mit allen Elementen der mitreißenden, auch anrührenden Musik spielende Philharmonische Orchester unter Kapellmeister Carlo Benedetto Cimento.

Eine kalte Hand greift nach dem Publikum

Eindrückliche Szenen und Bilder entstehen: In der Geisterszene schwebt eine Tote durch die Luft, Skelette tragen Masken mit Neonfratzen. Oder das Hochzeitsfest, bei dem die Stimmung jäh umschlägt, als russische Soldaten die fröhliche Gesellschaft sprengen. Tevje-Darsteller Sabrowski spielt den armen Milchmann, der mit dem Schicksal hadert, so überzeugend und feinfühlig, dass man gebannt mitfiebert, ja mitleidet.

Schließlich das Grauen: Alle müssen ihr Hab und Gut verkaufen und in die Fremde ziehen. Wie eine kalte Hand greift diese Szene auch nach dem Publikum. Der Exodus lässt an die Verfilmung von "Mutter Courage" denken, die Verortung in heimatlichen Boden und die Zeit geht verloren. Menschen ziehen hinaus ins Schneegestöber, in die Ungewissheit, und mischen sich auf globaler Ebene mit allen Flüchtenden dieser Welt und unserer Wirklichkeit.

Mit dieser Produktion hat das Mainfranken Theater eine bemerkenswerte Gemeinschaftsleistung auf die Beine gestellt. Anatevka ist überall und immer.

Weitere Termine: Mi, 30.11.22, 19.30 Uhr; Di, 6.12.22, 19.30 Uhr; Fr, 23.12.22, 19.30 Uhr; So, 25.12.22, 18 Uhr; Sa, 31.12.22, 19 Uhr; Fr, 6.1.23, 18 Uhr; So, 15.1.23, 18 Uhr; Ort: Theaterfabrik Blaue Halle

 
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