Die Motorradfahrt zum Fußballtraining endete mit Knochenbrüchen auf der Intensivstation: Neun Tage vor seinem 18. Geburtstag verunglückte Nico Stephan bei einem Zusammenstoß mit einem Traktor. Auf dem Weg ins Krankenhaus kreisten seine Gedanken noch um die Dauer der Verletzungspause. Fünf Jahre und fünf Operationen später blickt der Torhüter des Regionalligisten FC 05 Schweinfurt deutlich entspannter auf sein Leben und seine Karriere, wie der 23-Jährige aus Poppenhausen im Interview verrät.
Nico Stephan: Cedric Anton, der in den USA auf dem College American Football spielt. Er war in der Grundschule Poppenhausen eine Klasse unter mir und kommt aus dem Nachbarort Hain. Ich erinnere mich an ein gemeinsames Fußballspiel zwischen unseren Dörfern. Fußball war nicht seine Sache. Dafür finde ich seinen Weg in Amerika beeindruckend. Wenn er so zielstrebig weitermacht, wie ich ihn kenne, wird er sich seinen Traum von der Profiliga NFL erfüllen.
Stephan: Nach meinen Anfängen beim TSV Poppenhausen und in der JFG Werngrund bin ich mit 14 Jahren auf ein Fußballinternat in Thüringen gegangen, wo ich Schule und Sport verbinden konnte. Mit dem 1. FC Eichsfeld haben wir gegen Hertha BSC, Dynamo Dresden und Rot-Weiß Erfurt gespielt. Da ich in der Heimat ein Zweitspielrecht hatte, stand ich sonntags auch auf dem Platz. Der Aufwand für meine Eltern war enorm, da sie zweieinhalb Jahre jedes Wochenende 650 Kilometer gefahren sind, um mich abzuholen und einen Tag später wieder hinzubringen.
Stephan: Beim FC 05 kam es in der Jugend nicht zu einem Probetraining. Deshalb bin ich einen anderen Weg gegangen. Mich hätte kein Nachwuchsleistungszentrum eines Bundesligisten genommen, da ich aus einem Dorfverein in der Kreisliga kam. Das Internat war ein Umweg, aber dort habe ich die fußballerische Ausbildung erhalten, um anschließend bei Erzgebirge Aue unterzukommen. Nach zwei Jahren meldeten sich die Würzburger Kickers, die damals in der 3. Liga waren. Ich war noch Jugendspieler, wurde dritter Torhüter bei den Profis und konnte mit der zweiten Mannschaft in der Bayernliga spielen. Das war zumindest der Plan.
Stephan: Neun Tage vor meinem 18. Geburtstag hatte ich einen schweren Motorradunfall. Sonst wäre ich Auto gefahren. Ich war auf dem Weg zum Training, als ich einen Traktor überholen wollte, doch der ist abgebogen, ohne zu blinken. So kam es zum Zusammenstoß. Ich lag am Boden und dachte zunächst, ich stehe sofort wieder auf, wie nach einem Foul beim Fußball. Durch den Schock spürte ich keine Schmerzen. Ich war eine Woche im Krankenhaus, davon zwei Tage auf der Intensivstation. Es waren zum Glück keine lebensgefährlichen Verletzungen. Ich hatte das Schienbein und den Mittelfinger gebrochen sowie das Kreuzband gerissen. An meinem 18. Geburtstag saß ich mit Gips zu Hause im Rollstuhl und war froh, dass ich nicht tot bin.
Stephan: Als ich im Krankenwagen lag, war mein erster Gedanke, wie lang ich wohl ausfalle. Nach dieser Erfahrung sehe ich vieles anders und deutlich entspannter. Auch dass der Landwirt sich nie bei mir gemeldet hat und die Versicherungen nach fünf Jahren immer noch streiten, bringt mich nicht aus der Fassung. Das Leben kann von heute auf morgen vorbei sein. Der Unfall hat mir fünf Operationen beschert. Ob ich einen Fehler auf dem Spielfeld mache, ist nichts dagegen. Es gibt viel schlimmere Dinge, als einen Ball nicht zu fangen.
Stephan: Seitdem bin ich nie mehr aufgestiegen. Ich brauche das nicht mehr. Sehe ich auf der Straße einen Motorradfahrer, denke ich immer: Pass auf dich auf. Und wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, habe ich vor Traktoren großen Respekt: Ich habe es nicht eilig und warte mit dem Überholen. Als Folge des Unfalls habe ich teilweise Einschränkungen und Schmerzen. Auch nach gewissen Übungen im Training spüre ich die Verletzungen von damals noch.
Stephan: Ich habe fast zwei Jahre in der Reha verbracht, statt auf dem Platz. Als ich wieder fit war, lief mein Vertrag bei den Würzburger Kickers aus. Daniel Sauer, der damalige Präsident, hat mir in einem Fünf-Minuten-Gespräch mitgeteilt, dass sie mich nicht mehr brauchen. Ohne Abschied, ohne irgendwas. Tschüss, das war’s. Wenn es ans Eingemachte geht, bleibt die Menschlichkeit im Profifußball auf der Strecke. Um nach der Verletzung wieder Einsätze zu bekommen, bin ich zum FC Geesdorf in die Landesliga gewechselt, doch nach drei Spielen wurde die Saison wegen Corona abgebrochen. Seit Sommer 2021 bin ich beim FC 05 Schweinfurt.
Stephan: Ich lebe von Saison zu Saison und schaue, was möglich ist und was nicht. Ich bin ein spontaner Mensch und verfolge keinen festgelegten Karriereplan. Ich hatte mir in der Saisonvorbereitung Chancen gegen meinen Konkurrenten Lukas Wenzel ausgerechnet, aber die Entscheidung des Trainerteams fiel nicht auf mich. Sauer bin ich deswegen nicht. Ich nehme es hin und warte auf die nächste Chance. Mein Vertrag läuft bis Sommer 2024. Mal sehen, ob es für mich beim FC 05 weitergeht.
Stephan: Ich hatte mit dem 2:0-Sieg gegen Bayern München II vor über 2000 Fans den perfekten Einstand. Wenn du in so einem wichtigen Spiel ohne Gegentreffer bleibst, beflügelt dich das als Torwart enorm. Leider hatte ich in den folgenden 14 Partien Höhen und Tiefen mit dem einen oder anderen Fehler, der zu entscheidenden Toren führte und zum Verlust meines Stammplatzes. Ich habe in dieser Zeit viel nachgedacht und mich gefragt: Warum halte ich den blöden Ball nicht fest?
Stephan: Ich finde es nicht cool, auf der Bank zu sitzen, weil ich nichts machen muss und trotzdem eine Prämie mitnehmen könnte. Mir geht es nicht ums Geld. Sonst müsste ich zu anderen Vereinen gehen, wo der schnelle Euro lockt. Der FC 05 hat sich aufgrund meiner Ausbildung perfekt angeboten.
Stephan: Ich bin Kraftfahrzeug-Mechatroniker in der Werkstatt meines Vaters. Wir sind ein Familienbetrieb, in dem neben mehreren Angestellten auch mein Zwillingsbruder und mein Onkel mitarbeiten. Anfang des Jahres habe ich die Ausbildung parallel zum Profifußball abgeschlossen. Als Sohn des Chefs habe ich den Vorteil, dass ich ohne Probleme den Urlaub genehmigt bekomme, wenn wir unter der Woche ein Auswärtsspiel haben.
Stephan: Beim Bus ist alles etwas größer als beim Auto, aber ich würde es versuchen. Dann kommen wir vielleicht noch rechtzeitig zum Spielbeginn an. Wenn wir aber im Stau feststecken wie neulich auf der Fahrt nach Schalding, kann ich auch nicht helfen.
Stephan: Weiter geht es mit Maximilian Stahl, der im Sommer von der DJK Schwebenried/Schwemmelsbach zum TSV Aubstadt gewechselt ist und damit den Sprung von der Landesliga in die Regionalliga gemacht hat. Wir sehen uns immer bei den Kreisklassenspielen unseres Heimatvereins SG Poppenhausen/Kronungen. Da unsere Eltern gut befreundet sind, kennen wir uns schon lang. Als Kinder haben wir immer miteinander gebolzt und waren einige Male zusammen im Urlaub.
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Bleiben Sie den Schnüdeln treu, Ihre Einsatzzeiten werden kommen!