So herzhaft hatte der FC 05 Schweinfurt seit vielen Monaten nicht mehr gejubelt. Zweimal gleich. Beim Anschlusstreffer und beim Ausgleich. 2:2 im Grünwalder Stadion. Beim FC Bayern München, der "aktuell wohl besten Mannschaft in der Regionalliga Bayern", wie 05-Trainer Marc Reitmaier neidlos anerkannte. 2:2. Dumm nur: Ein Fußballspiel dauert halt auch mal 95 Minuten. Und genau, als diese rum waren, trafen die Münchner. 3:2 - und Reitmaier, erst am Montag vom Co zum Chef befördert, wusste überhaupt nicht mehr, wie er diesen irre Achterbahnfahrt vom Freitagabend einordnen sollte.
Was er wusste: Er war - und ist es vermutlich immer noch - stinksauer auf Schiedsrichter Elias Tiedeken. "Ich habe ihn gefragt, ob es in der Regionalliga Bayern möglicherweise nicht mehr erlaubt sei, fünf Spieler auszuwechseln." Angezeigt sei die taktisch motivierte Hereinnahme von Felix Schwarzholz in der Nachspielzeit mehrfach gewesen. Der Ball auch "gefühlt zwölf Sekunden im Aus" gewesen. Doch statt des Spielertauschs gab's Gelb für den schimpfenden Coach. Die geplante Unterbrechung hätte das Bayern-Spiel ausgebremst - und mutmaßlich das 3:2 durch Yusuf Karhan Kabadayi, dem auch noch ein Handspiel vorangegangen war, verhindert.
Ein 3:2, dass das anfangs mit Kompaktheit und dann mühsam ab der 60. Minute über Etappenerfolge zusammengebastelte Selbstvertrauen der Nullfünfer mit einem Hieb um einen Kopf kürzer gemacht hat. "Dieser Punkt wäre so wichtig gewesen im Hinblick auf die nächsten Spiele", sagte Reitmaier. Erkannte aber auch, dass das geköpfte Selbstvertrauen immer noch ein ganz schöner Kawenzmann sein kann. Was der ebenfalls neue Sportleiter Andreas Brendler knochentrocken feststellte: "Vor ein paar Wochen hätten wir das noch 0:6 verloren nach den zwei Elfmeter-Gegentoren." Vor ein paar Wochen? Noch vor Wochenfrist in Burghausen.
Auch der zweite Moll-Doppelpack beschert Schweinfurt keine Punkte
Die Arbeit des Duos Reitmaier/Brendler hat offenkundig bereits etwas bewirkt. Jetzt kommt es auf die Nachhaltigkeit an. "Mentalitätsmäßig war das eine klasse Leistung", fand der Coach - und das völlig zurecht. Als ein schmächtiges Figürchen, das regelmäßig noch nicht mal nur von den Großen auf dem Schulweg vermöbelt und ums Pausenbrot erleichtert wird, muss man sich erst einmal wieder erheben trauen, nach zwei Klapsen auf den Hinterkopf - den zwei Elfern zum 0:2, wovon der erste durchaus diskutabel war.
Ein Teilerfolg. Weil, und darauf war Reitmaier nach einer Rundumerneuerung der Startelf besonders stolz, "wir zuletzt nie einen Push von der Bank hatten, diesmal aber umso mehr." Doppeltorschütze Pascal Moll (63., 83.) war für Adam Jabiri (muskulär Probleme am Oberschenkel) gekommen; für ihn war es der zweite Doppelpack der Saison nach den beiden Treffern bei der 3:4-Niederlage in Illertissen. Auch Severo Sturm und Marco Zietsch sorgten nach ihren Einwechslungen für Dampf. "Wie wir zurückgekommen sind, das war eine enorme Willensleistung."
Der FC 05 nimmt ein zufälliges Momentum auf und dann auch an
Für die es zwar das Momentum des Anschlusstreffers aus dem Nichts gebraucht hat, das die Mannschaft aber annahm. Anders als schon so oft in dieser bis dato so verkorksten Runde, sah es dann, als der lange nur gut verteidigende FC 05 plötzlich im Spiel war, zu keinem Zeitpunkt danach aus, als könnte der scheinbar übermächtige Gegner prompt wieder draufhauen. Mit ganz simplen Mitteln kratzten die Schweinfurter den zwischen der 20. und 60. Minute fabelhaften Bayern-Boys den Glanz vom goldenen Helm: ein bisschen gegenseitig anfeuern, Zweikämpfe suchen statt meiden und laufen - einfach nur laufen.
Bei der 1:2-Jahresauftakt-Pleite gegen Illertissen hatte der damalige Trainer Christian Gmünder seiner Mannschaft noch vorgeworfen, nach dem 1:0-Führungstreffer einfach ein paar Schritte weniger gemacht zu haben. Zwei Wochen und eine weitere peinliche Niederlage in Burghausen später dann der Stimmungsumschwung, den Reitmaier mit einem schlichten "Reset" haben wollte und offenbar bekommen hat.
Weiterentwicklung als Gratwanderung für Spieler und Trainer
Der allerdings nur Bestand haben kann, wenn in Fürth und gegen Aubstadt neben einer Blaupause der Courage auch Punkte folgen. "Jetzt gilt es, solche Momente wie heute auch mal auf unsere Seite zu drücken", so Reitmaier, der unterm Strich weder Bayern-Dusel noch Schiri-Schwächen als Alibis stehen lassen wollte. Andernfalls hätte sich vor den danach noch zu absolvierenden zehn Partien der durch den Trainerwechsel herbeigeführte positive Vibe aufgebraucht. Auch wenn am Samstagnachmittag die Konkurrenz im Tabellenkeller einmal mehr nicht wie wild gepunktet hat und sich somit immer noch dieses für den FC 05 trügerische Tabellenbild hält.
Spielerisch präsentierte sich der FC 05 in München keineswegs von heute auf morgen runderneuert. Während bei den jungen Bayern der Ball phasenweise wie auswendig gelernt zirkulierte, fehlten den Schweinfurtern Automatismen. Es ist eine Gratwanderung für Spieler und Trainer: An Passgenauigkeit, Abstimmung von Laufwegen und Grundlinienspiel zuzulegen wird unumgänglich sein, um ein Spiel auch mal nach dem eigenen Gusto zu gestalten - sollte jedoch wenn möglich nicht auf Kosten gerade erst wiederentdeckter traditioneller Werte erfolgen: "Einsatz, Wille, Leidenschaft". Reitmaier wieder holte seine drei Lieblingsworte auch in München.