
Tormaschine. 187 Zentimeter Urgewalt. Führungsspieler. Das ist Adam Jabiri. Wenn am 11. Juni der FC 05 Schweinfurt die Vorbereitung auf die neue Saison in der Regionalliga Bayern startet, wird dieser außergewöhnliche Fußballer fehlen. Der Mann mit der Rückennummer 27, der für die Nullfünfer in 237 Spielen 138 Treffer erzielt hat. Am 3. Juni wird Jabiri 40. Seine Laufbahn endete am 18. Mai gegen Bayreuth. Ohne Wehmut, weil die Bundesliga-Karriere ausgeblieben ist, an der er so nah dran war: "Mir fehlt nichts. Ich wüsste nicht, was mich hätte glücklicher machen sollen."
Der Stürmer sitzt jetzt im Büro, arbeitet als Architekt für die Stadtverwaltung Dettelbach. Lebt ohne den Beifall der Fans. Und kann es. "Ich bin kein Mensch, der Aufmerksamkeit sucht. Wertschätzung erhalte ich. Wenn zum Beispiel ein Beschlussvorschlag, den ich ausgearbeitet habe, im Stadtrat befürwortet wird, ist es das wie Beifall." Erinnern wird er sich an den Sport immer. Nicht an die Titel an sich. "An gemeinsame Momente."

Egal ob beim FC 05 oder den Kickers, den ewigen Rivalen. Adam Jabiri hat für beide gespielt und kann sich bei beiden immer blicken lassen. Nennt beide Herzensvereine. "Rot, grün – Farben spielen keine Rolle. Entscheidend ist, wo du Verbindungen zu Menschen hast. Es geht nur um Menschen. Ich erinnere mich nicht daran, wann ich alleine eine Torjägerkrone getragen habe, sondern an gemeinsame Erfolge und Feiern."
Als Jabiri im Juli 2016 nach Schweinfurt wechselt, spielen einige Kumpels weiter bei den Kickers. Bei einem Elektro-Markt in Würzburg findet eine Party anlässlich der Vorstellung eines Videospiels statt – und der Stürmer zockt mit "Roten". Die Pressefotos missfallen den 05-Fans, nachtragend sind sie nicht. "Sie bewerten ehrliche Arbeit auf dem Platz. Ich war mir nie zu schade, mit Fans zu reden. Für sie zählt, dass man alles für den Verein gibt. Ich habe immer mein Bestes gegeben, auch wenn mal schlechte Leistungen herausgekommen sind."
Bei den Kickers kommt viel Gutes raus. Jabiri erlebt zwei Aufstiege: 2015 in die Dritte, 2016 in die Zweite Liga, in Aufstiegsspielen gegen Saarbrücken und gegen Duisburg. Mit Coach Bernd Hollerbach. "Da waren Einheiten dabei, auf die man verzichten kann", sagt Jabiri schmunzelnd über dessen Training. "Aber in der Zeit hatte ich das wenigste Körperfett meiner Laufbahn." Mehr als das Sportliche fasziniert ihn das Drumherum. "Wir waren ein cooler Haufen. Welche Euphorie in diesen zwei Jahren in einer Stadt entfacht wurde, die keine Fußbalstadt war."
Adam Jabiri ist bei den Teamkollegen als Fahrer beliebt
Der erste Aufstieg fällt aufs Würzburger Weindorf ("Das war schon sehr aufregend"), beim zweiten ist die Eichhornstraße proppenvoll: "Wir hatten eine eigene Bühne. Ein unglaublicher Hype. Ich war so stolz auf den Erfolg in meiner Heimat, da, wo einen die Leute privat kennen." Adam Jabiri ist bei beiden Feiern ein begehrter Fahrer. Er trinkt keinen Alkohol. Aus religiösen Gründen, als Sohn einer Marokkanerin und gläubiger Moslem. "Ich habe meine Fehler, meine Sünden. Aber der Glaube gibt mir Struktur im Leben."

Um seinen Glauben zu leben, braucht er kein Gotteshaus. "Gott ist für mich keine Figur, er ist überall. In fließendem Wasser, im menschlichen Körper, in jeder Geburt." Unschöne Erfahrungen muss Jabiri ob seines Glaubens bislang nicht machen. "Vielleicht, weil ich sichtbar Toleranz lebe. Ich habe die Überzeugung, dass es keine Religion gibt, in der Hass gepredigt wird."
Als Jabiri nach 20 Toren in 61 Einsätzen im Sommer 2016 keinen Zweitliga-Vertrag bekommt ("Natürlich wäre ich gerne mit hoch"), ist das Thema Profifußball erledigt. "Da war klar, dass ich mich um den Einstieg in meinen Beruf kümmern muss. Wegziehen wollte ich nicht mehr." Also: Mit 32 Jahren in die Regionalliga zum FC 05. Der zu diesem Zeitpunkt weit weg ist von Drittliga-Ambitionen.

Jabiri unterschreibt für zwei Jahre ("Ich hätte nie gedacht, dass ich danach noch Fußball spiele"). In seiner zweiten Saison wird er mit 28 Treffern Torschützenkönig der Regionalliga Bayern. Plötzlich will Schweinfurt erreichen, was die Kickers erreicht haben. "Ja, ich habe daran geglaubt." Auch wenn zunächst "nur" die bayerischen Pokalsiege 2017 und 2018 herausspringen. Mehr hängen bleibt eh der dritte Platz am Ende der Saison 17/18 hinter 1860 und Bayern II. Der FC 05 unter Trainer Gerd Klaus hält lange mit den Münchnern mit. "Da haben wir mit den schönsten Fußball gespielt."
Eine Zeit, in die ein Pokalspiel gegen Drittligist Kickers fällt. Jabiri trifft zum 3:1-Endstand, doch der FC 05 verliert wegen eines Formfehlers am Grünen Tisch. "Das hat weh getan." Pokal ist das Ding der Schweinfurter. Jeweils 15.000 Fans sehen die Spiele gegen Eintracht Frankfurt und Schalke. Die Nullfünfer sind nicht chancenlos, scheitern knapp. Auch im zweiten Spiel gegen S04 im November 2020, in der Corona-Zeit, in der leeren Arena. Als ein anderer als Jabiri den Elfmeter zum möglichen 2:2 schießt – verschießt. "Er hat mich gefragt, wie soll ich da nein sagen?"
Wie wichtig es ist, wenn einen das Team auffängt, erlebt Jabiri im Juni 2021 selbst. Nach dem Gewinn der Regionalliga-Meisterschaft verliert der FC 05 beide Aufstiegsspiele gegen den TSV Havelse mit 0:1. Im zweiten vergibt der Goalgetter eine Chance kläglich, weitere mit Pech. "Ich habe so oft getroffen, irgendwann kommt leider das Loch. War halt der schlechteste Zeitpunkt. Sportlich war es maximal traurig."

Und was ist jetzt anders in Schweinfurt als in Würzburg? Traditionell sind die Ansprüche höher als die Möglichkeiten. Für Jabiri okay: "Warum soll man weniger erwarten? Ich finde es nicht schlimm, wenn man ein bisschen träumt. Das hat womöglich die Pokalsiege ermöglicht. Träumt man kleiner, erreicht man vielleicht nicht mal das." Jabiri erreicht viel und realisiert noch nicht seinen sportlichen Ruhestand. Sommerpause hätte er eh gerade. "Ich werde es spüren, wenn die Vorbereitung losgeht – und ich nicht dabei bin."
Der Fußball wird dem Torjäger, der damit liebäugelt, künftig für die Ü40 des 1. FC Nürnberg zu kicken, weil er dort "ein paar Jungs" gut kennt, verbunden bleiben. Nur anders. "Meine Entscheidung aufzuhören, war eine Entscheidung des zeitlichen Aufwands." Mainbernheim – Schweinfurt – Mainbernheim, das sind eineinhalb Stunden Autofahrt für jedes Training. "Wenn Schweinfurt nur fünf Minuten entfernt wäre, würde ich weitermachen, ich liebe ja Fußball." Macht er aber nicht, weil er seine Mädels daheim noch mehr liebt. "Immer, wenn ich heimgekommen bin, haben sie schon geschlafen." Die "Mädels", das sind seine Frau Verena und die gemeinsame Tochter Maliah (3).
Ganz oder gar nicht: Keine Zeit für einen Trainerjob
Und weil, die auf Mann und Papa nicht verzichten sollen, wird Jabiri, gleichwohl B-Schein-Inhaber, nicht als Trainer anfangen. Nicht mal in der Kreisklasse. "Auch da wäre ich gebunden. Wenn ich etwas mache, dann gewissenhaft." Selbst ein zehn gegen zehn im Training will er gewinnen. "Als Tobi Strobl mein Trainer war, hat er geschaut, dass wir nicht gegeneinander spielen. Ich schone niemanden, auch nicht mich selbst." Er ist ein Wettkampf-Typ. "Auf dem Platz hab ich keine Freunde. Egal ob beim Karteln oder beim Steine über den Fluss schmeißen: Ich will gewinnen."

So ist schon der kleine Adam. Der vom Aufstehen bis zum Einschlafen gerne einen Ball bei sich hat. "Mal habe ich Hausaufgaben gemacht, mal nur vorgegaukelt. Ab auf den Bolzplatz. Bis zum Sonnenuntergang oder länger."
Der schmächtige Junge aus Mainbernheim kickt so gut, dass er zu den Kickers wechseln darf. C-Jugend. "Da habe ich gemerkt: Ich gehöre zu den besseren." Dumm nur: Der Bub wächst nicht, kompensiert das mit Ego. Mit 14, 15 ist er kein Neuner, sondern Zehner. "Ich habe den Ball nicht hergegeben. Ich konnte viele ausspielen und habe Tore gemacht. Aber ich war noch kein Teamplayer."
Die Eltern interessieren sich mehr für schulische Leistungen. Und zu denen passt in der B-Jugend ein Wechsel zum SC Marktbreit. "Da schien der Traum vorbei, mit Fußball was zu erreichen." Ein Nachwuchsleistungszentrum hat Jabiri nie gesehen. "Da habe ich noch nicht gewusst, dass nicht nur Talent ausschlaggebend ist, sondern man sich etwas erarbeiten kann."
In der U19 macht Jabiri einen Schuss, wird Mittelstürmer. Ein bulliger. Weil er zur Bundeswehrzeit anfängt, seinen Körper zu trainieren. Trotzdem winkt der FC 05 im Probetraining ab. Stattdessen Landesliga bei Bayern Kitzingen.

Im zweiten Anlauf haut's hin: In der ersten Saison nach der Insolvenz rutscht Jabiri auf den letzten Drücker in den Landesliga-Kader der Schweinfurter, mit denen er im zweiten Jahr in die Bayernliga aufsteigt. Und nach Erfurt wechselt, in die Regionalliga. "Für mich war es immer wichtig, das Maximum herauszuholen. Wenn ich eine Liga hoch konnte, habe ich das gemacht." Mit Erfurt gegen Union und Magdeburg – "das hat mir gefallen, ich wollte Profi sein."
Spieltagsausflüge in Großbardorf mit Fans und Presse
Aber: Der Drittliga-Aufstieg steht einem Bleiben im Weg. Nicht, weil es für Jabiri nicht gereicht hätte. Er spielt das Eröffnungsspiel gegen Dresden. Aber zum Architektur-Studium in Thüringens Landeshauptstadt passt Profi-Fußball nicht.
Er lässt sich zum TSV Großbardorf ausleihen und studiert in Erfurt. Dass die "Grabfeld Gallier" ihr einziges Regionalliga-Jahr weniger professionell angehen, erfährt Jabiri prompt auf der ersten Auswärtsfahrt, auf liebenswerte Weise: "Mit dem Bus nach Pfullendorf. Da saß die Mannschaft vorne, hinten waren die Fans – und auch die Main-Post. Wie ein Ausflug. Aber was sollte ich mich nach einem Jahr Profifußball wichtiger nehmen als ich bin?"
Dementsprechend schlingert seine Laufbahn. Immerhin: Jabiri hat ein Händchen für Aufstiege. Mit der TSG Hoffenheim II geht's von der Oberliga in die Regionalliga, für ihn sogar bis in die Bundesliga, in die "Hoffes" Erste gerade aufgestiegen ist. 26 Minuten dauert sein einziger Erstliga-Einsatz. Gegen Schalke 04. Am 30. Januar 2010. Mit 25. Eingewechselt für Andreas Ibertsberger. Als letzte Hoffnung bei einem 0:2-Rückstand. "Nur, weil Afrika Cup war und unsere Stürmer nicht da waren. Gerissen hab' ich nichts. Es waren mit Sicherheit nicht die wichtigsten Minuten der Laufbahn." Nicht mal in der Woche: In der schließt Jabiri sein Studium ab.

Es folgen Engagements in Heidenheim und Worms zwischen 2011 und 2014, geprägt von Verletzungen. "Ich war nie im Rhythmus." Teils, weil Jabiri immer wieder zu früh einsteigt ("Vernünftig war ich leider nie"), teils wegen Pechs: Auf das erste Tor für Heidenheim in der Dritten Liga folgt ein Mittelfußbruch. Und der Wechsel nach Worms – wo ihm Schien- und Wadenbein brechen.
Jabiri glaubt an Bestimmung, an Schicksal. "Es liegt an einem selbst, ob man daraus Positives zieht. Als ich am Boden gelegen bin und mein Bein halb weggehangen ist, hab ich mir gesagt: 'Jetzt hörst du auf mit der Scheiße'. Aber in der Reha juckt es wieder." Am Ende reicht es in Worms noch zu zwölf Regionalliga-Toren: die Empfehlung für die Kickers und einen glänzenden Fußballer-Herbst.