Ziemlich genau zwei Stunden nach Spielende in Havelse schepperte aus den Boxen unterm Tribünendach Journeys Rock-Klassiker "Don't stop believing" - verliere nicht den Glauben. Tobias Strobl mag solche Musik. Am Samstag hörte er sie nicht. Der Mannschaftsbus des FC 05 Schweinfurt fuhr zu diesem Zeitpunkt längst auf der Autobahn gen Süden. Vermutlich hätte der Trainer das Lied und seine Botschaft im Moment seiner größten sportlichen Niederlage auch gar nicht hören wollen. Als Strobl ganz allein und ganz weit weg vom Rummel im Wilhelm-Langreher-Stadion auf einer benachbarten Wiese stand - und weinte. Bitterlich. Und sagte: "Ich will nach Hause zu meiner Frau."
Es war der Moment, in dem man erkennt, dass es nichts mehr zu reparieren gibt. In dem die Niederlage real wird. Aus. Vorbei. Der FC 05 hat nach dem 0:1 im Hinspiel auch das Rückspiel der Drittliga-Relegation beim TSV Havelse verloren. Ein weiteres Jahr Regionalliga Bayern also.
"Ich will diesen Aufstieg der Mannschaft, dem Verein, den Fans, der Stadt schenken", hatte der 33-Jährige im Vorfeld dieses Spiels gesagt. Plötzlich fühlte er sich einsam und leer. "Meine Frau sagt immer: Es kommt, wie es kommen muss. Aber es gibt Momente, in denen man diesen Satz nicht versteht."
Vor allem dann nicht, wenn man einer wie Strobl ist. Ein Mensch, der emotionale Bindungen zu seinen Mitmenschen zulässt, ja regelrecht aufbaut. Solche Menschen leiden in der Stunde der Niederlage noch etwas mehr. Haben aber auch die nötige Empathie, den Sieger zu würdigen: "Die Havelser haben das verdient. Sie haben über 180 Minuten kein Tor zugelassen."
Vier Großchancen durch Adam Jabiri, aber kein Tor
Oder andersrum: Der FC 05 hat in über 180 Minuten kein Tor geschossen. Weil er im Hinspiel schlecht war, diesmal zwar richtig gut - aber ohne die allerletzte Genauigkeit im Abschluss und vor allem ohne Glück. Adam Jabiri allein hatte vier Maximal-Chancen in der ersten Halbzeit, scheiterte zweimal an TSV-Torwart Norman Quindt, je einmal an einem Abwehrbein auf der Linie und der Querlatte.
Auch Thomas Haas und Amar Suljic hatten die Führung auf den Füßen - die bei 35 Grad doppelt und dreifach wertvoll gewesen wäre. Anders als vor Wochenfrist im Willy-Sachs-Stadion präsentierte sich der TSV Havelse nämlich offensiv ideen- und kraftlos. Die Niedersachsen schossen zweimal aufs Tor, einmal war der Ball drin - als Linksfuß Kevin Schumacher mit dem schwachen rechten abgezogen und exakt in den Giebel getroffen hatte (35.).
Da war 05-Schlussmann Luis Zwick machtlos, den zweiten Torschuss parierte er großartig. Vergessen deswegen sein schlimmer Patzer im Hinspiel, als er einen harmlosen Freistoß in der Nachspielzeit durchrutschen ließ? "Hätte ich diesen Bock nicht geschossen..." Der 27-Jährige stockte, rang ebenfalls mit seinen Gefühlen. Eine halbe Stunde stand er am Zaun, nahm erst den Trost der Fans, dann den der aus Berlin angereisten Familie dankend an. "Fans, Familie, Freunde, das ist eine unfassbare Unterstützung, das ist so unfassbar viel wert." Deswegen verkriecht sich Zwick nun erst einmal ein paar Tage zu Hause in der Hauptstadt. Will nichts hören und sehen von Fußball. Dem Sport, der ihm "den ganz großen Traum" an diesem Tag nicht ermöglicht hatte.
Weil letztlich doch etwas gefehlt hatte. "Wir wollten es erzwingen. Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Wir haben einen herausragenden Trainer, eine tolle Mannschaft. Wir haben viel investiert. Es haben nur die Tore gefehlt." Nur - wenn Tore fehlen, ist Erfolg eben kaum möglich. Obwohl in Havelse der Matchplan ein guter war. Raute plus Überzahlspieler im Mittelfeld - das hatte sogar die Mannschaft von Trainer-Fuchs Jan Zimmermann überrascht.
Erst nach der Pause sortierte sich diese defensiv wieder so massiv wie im Hinspiel. Da fiel dem FC 05, optisch immer noch klar überlegen und an die Grenzen der Physis gehend, nicht mehr viel Kreatives ein. TSV-Kapitän und Innenverteidiger Tobias Fölster war nach überstandener "Abwehrschlacht" stolz: "Das war nicht unser bestes Spiel, aber kämpferisch war das wieder überragend. Jeder Einzelne wollte dieses Spiel unbedingt gewinnen."
Kraft, Mut und Glaube haben nicht gereicht
Unbändiger Wille hatte ein Plus an Qualität besiegt. Qualität, auf die die Schweinfurter möglicherweise und insbesondere im Hinspiel etwas zu sehr vertraut hatten. Als sie in der Schlussphase des zweiten Aktes ebenfalls nur noch auf Kraft, Mut und Glaube vertrauten, war es zu spät. Torjäger Jabiri, der unübersehrbar mit der enormen Anzahl seiner vergebenen Chancen haderte, brachte es auf den Punkt: "Havelse ist nicht aufgestiegen, weil es zweimal besser Fußball gespielt hat. Havelse hat sich einfach nur nach den Regeln der Relegation durchgesetzt." Kein Tor kassieren, selbst eines machen - Fußball kann so einfach sein.
Und so grausam. Am Ende saßen die Spieler konsterniert auf dem Boden. Tief traurig. Viele weinten. "Selbst die, die gar nicht zum Einsatz gekommen sind, oder die uns jetzt verlassen", sagte Strobl. In dessen verheulten Augen nach seinem ausgedehnten, einsamen Spaziergang ums Stadion wieder ein bisschen Feuer zu erkennen war, als er versprach: "Wir werden wieder angreifen. Das liegt im Naturell der Stadt und des Vereins." Die Regionalliga Bayern startet in vier Wochen.
Vielleicht auch, weil man Tage vorher noch ein Pokalspiel in Bestbesetzung bestritten (und verloren) hat.
Hinterher wissen es die Schlaumeier halt immer besser