
Udo Braungart hat sein Leben dem Tischtennis gewidmet, zuletzt als Geschäftsführer des Bundesligisten TSV Bad Königshofen, der mit dem Erreichen der Play-offs Historisches geschafft hat. Im Interview erzählt der 66-Jährige aus Poppenlauer (Lkr. Bad Kissingen), warum er den Gewinn der deutschen Meisterschaft für beinahe ausgeschlossen hält, weshalb er sich als Felix Magath des Tischtennis sieht und wieso die meisten Spieler auf dem Gymnasium sind.
Udo Braungart: Mein ehemaliger Tischtennis-Schützling Christian Laus aus Garitz. Als Jugendtrainer habe ich ihn gefördert, bis er sich entschieden hat, zum Fußball zurückzukehren, wo er beim TSV Großbardorf sehr erfolgreich war. Christian war ein überragendes Bewegungstalent, das in mehreren Sportarten überzeugt hat. Ich war begeistert von ihm, weil er alles konnte. Obwohl er den Weg zum Leistungstischtennis spät eingeschlagen hat, hätte sein Niveau mit Sicherheit für die Regionalliga gereicht.
Braungart: Nach zwei größeren Verletzungen beim Fußball in Leutershausen brauchte ich eine kontaktlose Sportart, in der die Kontrahenten durch ein Hindernis voneinander getrennt sind. So kam ich mit Mitte 20 zum Tischtennis in Bad Neustadt, ehe ich nach Poppenlauer gewechselt bin. Ich war kein so guter Spieler, aber für die Bezirksliga ging es. Schnell habe ich gemerkt, dass mir die Arbeit als Trainer Spaß macht, weil auch die Erfolge rasch kamen.
Braungart: Genau, aber man muss hart an sich arbeiten. Daher habe ich alle Übungsleiterscheine gemacht bis zur A-Lizenz, der höchsten Trainerlizenz im deutschen Tischtennis, und habe bei Lehrgängen Bundestrainern über die Schulter geschaut. Nach Poppenlauer war ich bei den Würzburger Kickers, in Güntersleben, Versbach und Bad Königshofen tätig, sowohl für die Jugend als auch für die Erwachsenen, dazu als Bezirksstützpunkt- und Honorartrainer in Unterfranken sowie als Assistenztrainer bei Talentsichtungen. Durch eine berufliche Veränderung war ich auch mal in Frankfurt Trainer. Funktionär war ich als Bezirkslehrwart und Verbandslehrwart sowie in Bad Königshofen als sportlicher Leiter und Geschäftsführer. Diesen Posten habe ich Anfang des Jahres aufgegeben. Ich spiele aber noch für Bad Königshofen in der fünften und sechsten Mannschaft.
Braungart: Die Schnelligkeit des Spiels, die verschiedenen Techniken und Spielertypen haben mich immer fasziniert. Tischtennis ist eine unheimlich komplexe Angelegenheit. Als Jugendtrainer habe ich festgestellt, dass 90 Prozent der guten Spieler Gymnasiasten sind, weil die Sportart viel Intellekt verlangt.
Braungart: Wir haben im Anfängerkurs alles praktiziert, was mit Bällen möglich ist. Die Fünf- bis Siebenjährigen sind nicht gleich an die Tischtennisplatte gekommen. Wir haben Spiele mit Luftballons gemacht, Staffelläufe, Radtouren und waren beim Schwimmen. Später hat sich ein fester Stamm an Spielern herauskristallisiert, bevor wir ins spezifische Tischtennistraining gegangen sind. Wenn Erfolg da ist, wird die Sache zum Selbstläufer.
Braungart: Ich war als Trainer der Felix Magath des Tischtennis. Ich habe auch immer gesagt: Qualität kommt von quälen. Durch diese Methoden habe ich eine Bestenauslese getroffen. Wer nicht so gut Fußball spielen konnte, kam zum Tischtennis. Spätestens nach der zweiten Einheit waren diese Spieler wieder verschwunden, weil ihnen mein Training zu hart war. Wie gesagt, der Erfolg hat uns Recht gegeben.
Braungart: Vor Kurzem bin ich zum ersten Mal Großvater geworden und verbringe viel Zeit mit meinem Enkel. Außerdem kann ich mich mehr um Haus und Garten kümmern und mich stärker sportlich betätigen. Trotzdem bin ich nicht ganz weg vom Tischtennis und unterstütze in Bad Königshofen gelegentlich in beratender Funktion. Ich bin dem Verein weiterhin verbunden, emotional sowieso, und schaue möglichst alle Heimspiele in der Halle sowie die Auswärtsspiele im Livestream an.
Braungart: Einfach grandios und unvorhersehbar. In dieser Saison ist einiges perfekt gelaufen. In der einen oder anderen Partie war das Glück auf unserer Seite, sodass wir sehr gute Spieler geschlagen haben, Topmannschaften gegen uns nicht immer Bestbesetzung angetreten sind oder deren Spieler erschöpft von einem internationalen Turnier zurückkamen. Und das, obwohl unser einheimischer Spitzenspieler Kilian Ort kein einziges Spiel nach zwei Rückenoperationen bestreiten konnte. Dafür hat unser euphorisches Publikum – im Durchschnitt über 600 Zuschauerinnen und Zuschauer – manchen Punkt eingebracht. Es muss alles passen, damit wir als Underdog einen Krösus der Bundesliga bezwingen können. Unser Etat im mittleren sechsstelligen Bereich ist so knapp bemessen, dass wir jedes Jahr mit dem Ziel in die Saison gehen, den Abstieg zu verhindern.
Braungart: Wir sind krasser Außenseiter. Düsseldorf ist gewarnt und wird in den Play-offs mit voller Mannschaft antreten. Man muss Realist sein und sich bloß die Weltranglistenplatzierungen und Spielbilanzen des Gegners anschauen. Dass Bad Königshofen mal deutscher Meister wird, ist nahezu ausgeschlossen. Über Nacht müssten einige Sponsoren vorbeikommen, die tüchtig Geld hineinpulvern, damit wir einen chinesischen Starspieler an Land ziehen können.
Braungart: Ochsenhausen, Düsseldorf und Saarbrücken steht wahrscheinlich das Doppelte oder Dreifache an Geld zur Verfügung. Bad Königshofen macht aus wenig viel und setzt auf den eigenen Nachwuchs. Was der SC Freiburg im Fußball ist, sind wir im Tischtennis. Das familiäre Verhältnis in der Mannschaft und unter den zahlreichen ehrenamtlichen Helfern, ohne die es den Bundesliga-Standort nicht gäbe, ist das Geheimnis unseres Erfolgs. Die Leute sind mit so viel Herzblut dabei. Hinzu kommt die Kontinuität. Auch wenn der Erfolg mal ausbleibt, halten wir am Trainer und an den Spielern fest. Bei uns herrscht nicht der Druck wie anderswo.

Braungart: Kilian weiß, was die Leute in Bad Königshofen leisten, damit er hier Bundesliga spielen kann und somit im Perspektivkader des Deutschen Tischtennis-Bundes steht, der Stufe unterhalb des Olympiakaders. Der ganze Hype in den letzten Jahren wurde nur für ihn gemacht. Er zahlt seine Dankbarkeit durch die Treue zum Verein zurück. Hoffentlich wird Kilian nach seiner Verletzung wieder richtig fit.
Braungart: Ich bin in Pension und war 44 Jahre beim Bundesgrenzschutz und bei der Bundespolizei in Oerlenbach, München, Frankfurt, Potsdam und Bamberg, insbesondere als leitender Sachbearbeiter im polizeiärztlichen Dienst. Durch die Versetzungen hatte ich zwischenzeitlich alle Tätigkeiten im Tischtennis aufgegeben.
Braungart: Der Steilpass fliegt 600 Kilometer zu Christoph Schüller, der seit 2020 in Wien lebt und arbeitet. Das hat ihn nicht davon abgehalten, extra zu den Tischtennisspielen der zweiten Mannschaft Bad Königshofens in der Regionalliga anzureisen. Zusammen mit Kilian Ort hat er den Verein nach oben gebracht und den Aufstieg in die Bundesliga geschafft. Nächste Saison wird er in Österreich spielen.
Das Interview-Format "Steilpass"
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