Wer mit dem Auto auf der B19 von Würzburg nach Schweinfurt fährt, sieht sie derzeit überall an den Feldrändern: Meterhohe Karottenberge, die darauf warten, abgeholt zu werden. Besonders günstige Wetterverhältnisse mit reichlich Regen haben für eine Rekordernte bei unterfränkischen Gemüsebauern gesorgt. Was sich erst einmal gut anhört, könnte für manche Landwirtinnen und Landwirte in der Region allerdings zum Problem werden. Denn: Viele fürchten, die hohen Erträge nicht loszubekommen.
Zwischen 145 000 und 208 000 Tonnen Gemüse landen in Deutschland jährlich im Müll. Das ist das Ergebnis einer Studie des Johann Heinrich von Thünen-Instituts und der Universität Stuttgart im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. 52 Prozent aller Lebensmittelabfälle - pro Jahr sind das in Deutschland immerhin zwölf Millionen Tonnen - fallen in privaten Haushalten an. Jeder Verbraucher und jede Verbraucherin wirft demnach etwa 75 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg.
Auf Anfrage dieser Redaktion erklärt das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, dass knapp 40 Prozent des im Freistaat verzehrten Gemüses auch dort angebaut werden. "In seltenen Fällen können Witterungseinflüsse sich auch positiv auf den Ertrag auswirken, sodass mehr geerntet wird, als vertraglich vereinbart abgesetzt werden kann." Laut einer Erhebung des Kompetenzzentrums für Ernährung liegen die Verluste bei Obst und Gemüse in der bayerischen Landwirtschaft im Jahr 2021 bei rund neun Prozent, heißt es in der Mitteilung weiter.
Auch bei Unterfrankens Landwirtinnen und Landwirten kommt es regelmäßig zu Überschüssen von mehreren Tonnen. So zum Beispiel jüngst bei einem Bio-Gemüsebauer aus Werneck (Lkr. Schweinfurt), der im Rahmen einer Spendenaktion überschüssige Möhren auf seinem Feld verschenkte. Fiel die Gemüseernte in Unterfranken heuer insgesamt zu gut aus? Und wie viel Obst und Gemüse müssen Landwirtinnen und Landwirte in der Region jährlich wegwerfen? Drei Rübenbauern aus der Region erzählen, wie viel sie heuer geerntet haben und was sie mit den Überschüssen machen.
1. Georg Zink aus Eßleben: 400 Tonnen Karotten zu viel geerntet
"Es war ein absolutes Ausnahmejahr für uns Gemüsebauern", sagt Landwirt Georg Zink aus Eßleben (Lkr. Schweinfurt). "Wir stellen bei uns jährlich eine Fläche von 60 Hektar für den Anbau von Karotten bereit. In normalen Jahren sind unsere Erträge knapp. Da sind wir froh, wenn wir überhaupt die Mengen zusammenbekommen, die wir zur Erfüllung unserer Verträge brauchen. Ansonsten schauen sich die Abnehmer mit der Zeit nach anderen Erzeugern um. Wir haben heuer sogar mehr Karotten angebaut. Den Großteil meiner Bio-Karotten konnte ich bereits verkaufen. 400 Tonnen habe ich jetzt aber noch übrig. Denn wenn wir die Verträge im Frühjahr mit unseren Abnehmern abschließen, können wir ja nicht wissen, wie die Ernte am Ende des Jahres ausfällt."
Falls er den Überschuss nicht mehr losbekomme, werde er die übrig gebliebenen Möhren wohl unterpflügen müssen, sagt Zink. "Das muss heuer fast jeder Bauer machen, der Karotten angebaut hat. Freilich will man als Landwirt immer alles verkaufen und es tut weh, wenn man einen Teil der Ernte wieder unterpflügen muss, weil es keine Abnehmer dafür gibt. Aber unsere Kunden haben ja schon mehr aufgenommen als ausgemacht und irgendwann ist auch deren Kapazität erschöpft."
2. Wolfgang Wild aus Unterpleichfeld: 500 Tonnen Karotten werden wohl an Vieh verfüttert
Wolfgang Wild und seine Frau Martina bauen ebenfalls Karotten auf ihrem Familienbetrieb in Unterpleichfeld (Lkr. Würzburg) an. "Wir liefern unsere Möhren an die Mainfrucht GmbH in Gochsheim. Dort werden sie zu Saft gepresst. Alle fünf bis sieben Jahre kommt es bei uns jedoch zu Ernteüberschüssen."
Wild befürchtet, dass das auch heuer wieder der Fall sein wird: "Wir hängen, was die Abnahme betrifft, etwas in der Luft. Es herrscht ein Überangebot und coronabedingt ist der Absatz am Markt geringer. Ich schätze, dass wir dieses Jahr um die 500 Tonnen Möhren zu viel erwirtschaftet haben. Wir bezeichnen das auch als 'Herrgottsrüben'. Nach einer alten Bauernregel bestraft der Herrgott manchmal die Bauern, indem er zu viel auf den Feldern wachsen lässt. In diesem Jahr haben wir deshalb Milchviehalter in der Region angefragt, um ihnen die überschüssigen Karotten als Futter zu verkaufen."
Wirklich toll findet Wild es nicht, dass seine überschüssigen Möhren vielleicht verfüttert werden müssen. "Dafür haben wir die Karotten nicht angebaut. Aber in der Natur kann man nun mal nicht alles genauestens kalkulieren. Wir hatten auch schon Jahre, in denen unsere Saat nicht aufgegangen ist." Die Ware in andere Teile der Welt zu verkaufen sei hingegen keine Lösung, sagt Wolfgang Wild. "Der Transport ist zu teuer für uns." Er hoffe darauf, dass die Händlerinnen und Händler ihm bis Januar noch Ware abnehmen können.
3. Thomas Schwab aus Remlingen: 25 bis 30 Prozent Ausschuss beim Frischgemüse
Thomas Schwab aus Remlingen (Lkr. Würzburg) baut Kartoffeln, Zwiebeln und Möhren an. Als Bio-Frischgemüsebauer beliefert er den Lebensmittelhändler "Tegut" in der Region. "Auch wir haben dieses Jahr wegen des vielen Regens deutlich mehr Karotten geerntet. Dafür haben wir aber bei den Kartoffeln 20 Prozent weniger an Ernte eingefahren. Von dem, was jährlich auf dem Feld geerntet wird, müssen durchschnittlich zwischen 25 und 30 Prozent aussortiert werden. Denn im Frischgemüseanbau ist es üblich, dass 'Abfall' produziert wird. Die Gründe dafür sind zum Beispiel Möhren, die von Mäusen angefressen wurden."
Aber auch die Ansprüche des Handels und der Kundinnen und Kunden würden dazu beitragen, dass er jährlich rund 450 Tonnen aussortieren müsse, sagt Schwab. "Wenn Möhren krum oder mehrbeinig sind, werden sie nicht gekauft und landen letztlich als Ausschuss im Abfall. Viele Kollegen pflügen ihre Überschüsse unter, wenn sie sie nicht anders losbekommen. Ich halte das für eine Verschwendung. In Anbetracht des Klimawandels müssen wir überlegen, ob die Menschen sich das in Zukunft noch leisten können." Schwab ist der Meinung, dass es neue Konzepte brauche, um in Zukunft weniger Lebensmittel zu verschwenden.
"Unsere Strategie ist es zum Beispiel, die zu großen und angefressenen Möhren an Küchen und Kantinen zu liefern. Wir liefern bereits nach München und in die Kantine der Universität Kassel. Außerdem können sich die Tafeln aus Marktheidenfeld (Lkr. Main-Spessart) und Höchberg (Lkr. Würzburg) an unseren Ausschusswaren bedienen. In Würzburg gibt es derartige Ansätze leider noch nicht. Zusätzlich haben wir seit zehn Jahren eine Futter-Mist-Kooperationen mit anderen Ökolandwirten aus der Region. Im Spessart beispielsweise beliefern wir eine große Schäferei mit unseren überschüssigen Möhren, die dann an die Schafe verfüttert werden. Im Gegenzug bekommen wir den nährstoffreichen Mist der Tiere, um damit wieder unsere Felder zu düngen."
Denn hier gelten die Lebensmittel-Vorschriften. Und das ist auch richtig so.
Was der Bauer jetzt machen könnte:
Er könnte das überschüssige Gemüse verbilligt, oder umsonst, in der eigenen Region abgeben, was ihm aber in den Rücken fallen wird, weil dadurch seine "regulären" Verkaufserlöse sinken werden. Wer genug Möhren für sehr billig, oder gar für Umsonst, bekommen hat, kauft keine mehr im Laden.
Möhren halten sich relativ lange. Er könnte den Überschuss also in andere Regionen, mit "Möhrenmangel", abtransportieren lassen. Doch das kostet viel Geld.
Und die Länder, die diese Möhren unbedingt brauchen könnten, sind so arm dass die diesen Überschuss nicht bei Uns abholen können, weil sie schon den Transport nicht bezahlen könnten...
Ich möchte kein Bauer sein! Ein Freund von mir hat mal richtig viel Gemüse angebaut, und es aufgegeben. Denn trotz der ganzen Mühe bleibt am Ende bestenfalls nur das Gehalt eines Elektrikers übrig
Der Selbstversorgungsgrad der Region mit Gemüse liegt zwischen 30 und 40 Prozent. Im bayernweiten Vergleich steht Unterfranken damit schlechter da als der Süden des Freistaats, wo der Grad der Selbstversorgung bei 200 Prozent liegt.
200 Prozent? Ist das nicht zuviel?
Oder wie wäre es, wenn sich Konservenhersteller mal auf ihre soziale Ader besinnen und zum Selbstkostenpreis für Drittweltprojekte produzieren?
Warum sich hier nicht alle Tafeln in erreichbarer Nähe beteiligen, kann ich übrigens nicht verstehen.
Man kann es auch übertreiben mit der Fürsorge… Am Ende fehlt dann die Zeit. Mir fehlt es auch an Motivation, ehrenamtlich etwas leisten zu sollen, was der Normalbürger ohne weiteres selbst können muss.
So manch einer von Ihnen in völliger Unkenntnis der Person als "Couchpotato" herabgesetzter Poster engagiert sich möglicherweise mehr als Sie...
Mir müssen Sie jedenfalls nicht erzählen, was man alles für seine Mitkreaturen (Mensch oder Tier) tun kann. Jeder nach seinen Möglichkeiten.
Aber sei es drum, es gibt ja doch noch andere Leser, die zwischen den Zeilen lesen können oder auch wollen.
Genau daran hakt doch das Ehrenamt. Diejenigen, die am lautesten plärren, sind diejenigen ,auf die man als erstes verzichten könnte.
Ich bin ja jetzt nicht in WÜ zugange, aber es gibt ja auch noch andere Ländereien, wo man sich einbringen kann. Man oder Frau muss sich nur bemühen, sein Schublädchen zu finden.
Plärrer gibts überall, man muss sich nur nicht jeden antun....
Aber hier geht's ja nicht um fast abgelaufenen oder möglicherweise schon teilweise vergammeltes Zeug aus Supermarkt-Restbeständen, sondern um frische Möhren direkt vom Feld.
Übrigens, noch eine Idee: Suppenküchen für Bedürftige - die gibt es zB auch in Würzburg. Zum Beispiel haben die Ursulinen so etwas immer gemacht. Und natürlich Sant'Egidio. Das sind die, von denen ich weiß, aber es gibt sicher noch mehr.
Beziehe wöchentlich Biogemüse aus der Region. Urrüben oder Saftkarrotten kommen ungewaschen, mit viel Muttererde bei mir an. Auch die Kartoffeln sind ungeputzt.