
Wenn die 27-jährige Henriette montags einkaufen geht, läuft sie am Lebensmitteldiscounter und auch am Biomarkt vorbei. Ihr Ziel: der Laden der Verbraucher-Erzeuger-Gemeinschaft (VEG) Würzburg. Mit einem Zahlencode öffnet sie die Tür, im Laden wartet eine Gemüse- und Obstkiste auf sie. Gefüllt mit dem Ernteanteil, der ihr als Mitglied der Würzburger Initiative "SoLaWü" zusteht. Im Gegenzug zahlt sie den beiden regionalen Erzeuger, die ihre Kiste bestücken, einen fixen Monatsbetrag. Dahinter steht das Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft: Mehrere private Haushalte finanzieren mit festen Beiträgen die Landwirtschaft eines Erzeugers und erhalten dafür einen Teil der Ernte.
Das Rundum-Sorglos-Paket
„Ich habe mich noch nie so bewusst und gesund wie letztes Jahr ernährt,“ sagt Henriette, die von Anfang an dabei war, als SoLaWü Anfang 2019 als Teil der VEG Würzburg gegründet wurde. „Das ist unverpacktes Gemüse und Obst der Saison, das aus maximal 20 Kilometer Entfernung herkommt und biologisch angebaut wurde. So ein Rundum-Sorglos-Paket kann kein Supermarkt bieten. Selbst in Bioläden wird ja oft nicht auf alles gleichzeitig geachtet.“

Was und wie viel sie in der Kiste findet, hängt immer davon ab, welche Ernte die Erzeuger auf ihren Feldern gerade einbringen. Preislich ergibt sich für den Verbraucher trotz des Festbetrags ein Vorteil. Weil er die Produkte direkt vom Erzeuger erhält, entfallen Aufschläge von Lieferanten und Einzelhandel. 2019 lag die Marge, die der Naturkostfachhandel mitverdient, laut ContRate-Betriebsvergleich bei durchschnittlich 34,6 Prozent. Durch die "Solawi" zahlt der Verbraucher also über das Jahr hinweg weniger, als wenn er die gleiche Menge Gemüse und Obst bei einer Biomarkt-Kette einkauft.
Sowohl der Preis als auch der Ernteplan werden auf einer Versammlung am Anfang eines Jahres festgelegt. Die Erzeuger schlagen vor, was und wieviel sie anbauen wollen und nehmen Vorschläge und Wünsche der Verbraucher mit auf. In Würzburg sorgt der Biohof Oberaltertheim für das Gemüse, die Würzburger Main-Streuobst-Bienen Genossenschaft für das Obst. Dieses Jahr gibt es insgesamt 82 „SoLaWü- Päckle“, wobei eines für einen Zwei-Personen-Haushalt reicht und manche Mitglieder auch nur ein halbes Päckle nehmen. Die beiden Erzeuger teilen ihre Anbaufläche durch die Teilnehmerzahl und berechnen, welche Betriebs- und Lohnkosten sowie Investitionsausgaben für einen Anteil anfallen.

Dieses Jahr landet in jedem Päckle die wöchentliche Ernte von 136 Quadratmetern Gemüsefeld sowie Obst und Saft von anderthalb Streuobstbäumen. Das können in einer Novemberwoche beispielsweise jeweils ein Kilo Kartoffeln und Möhren, ein Pfund Rote Beete, 120 Gramm Feldsalat, 700 Gramm Schwarzkohl, ein Endiviensalat, eine Stange Rosenkohl und 800 Gramm Äpfel sein. Als Richtwert haben die Erzeuger dafür einen monatlichen Gesamtbetrag von 80 Euro kalkuliert.
Allerdings zahlt nicht jedes SoLaWü-Mitglied den gleichen Preis. In einer geheimen Bieterrunde schreibt jeder den Betrag auf, den er zahlen möchte. Wer kann, gibt mehr, wer nicht so viel hat, zahlt weniger. Wichtig ist nur, dass die nötige Summe gemeinsam zusammenkommt – auch das ist mit Solidarischer Landwirtschaft gemeint. Genauso wie die Mitmachtage, an denen freiwillige Helfer die Erzeuger auf dem Feld unterstützen und tatkräftig mit anpacken.
Wertschätzung für Lebensmittel, Sicherheit für den Landwirt
Menschen wieder nah an die Lebensmittel auf ihrem Teller zu bringen, ist einer der Gründe, warum die Familie Kraus-Egbers-Mosmann als SoLaWü-Erzeuger teilnimmt. David Egbers betreibt seinen Bioland-Hof gemeinsam mit Eltern, Schwester und Schwager. „Es ist wichtig, dass die Leute wieder mitbekommen, wie das Gemüse überhaupt wächst und welche Arbeit dahintersteckt. Dadurch schätzen sie es mehr wert und werfen Lebensmittel auch nicht mehr einfach weg“, sagt der Oberaltertheimer Landwirt. So könne er seinen Kunden beispielsweise erklären, dass der Salat vom Hagelschauer etwas verletzt wurde, aber sonst völlig Ordnung ist: „Dann verstehen sie das. Im Supermarkt bliebe der Salat einfach liegen.“

Solawi gibt einem Landwirt Planungssicherheit. So läuft er nicht in Gefahr, auf seiner Ernte sitzen zu bleiben. Beim klassischen Vertriebsweg über den Handel sei das nicht immer gewährt, sagt der unterfränkische Bezirkspräsident des Bayerischen Bauernverbands (BBV) Stefan Köhler: „Die Marktmacht liegt ganz klar bei den Händlern. Die sichern sich leider oft mit sehr einseitigen Verträgen ab und können die Lieferbedingungen zu ihren Gunsten rückwirkend ändern.“ Der Landwirt sei da meist in der schwächeren Position.
Zusätzlich sind die Erzeuger von schwankenden Marktpreisen abhängig. Laut Deutschem Bauernverband haben Landwirte 2019 ein Fünftel weniger Geld verdient als im Jahr zuvor. "Solawi" sichert dem Erzeuger dagegen ein festes Monatseinkommen – auch wenn die Ernte durch Trockenheit oder Frost mal schlechter ausfällt.
Solawi: nur Nische oder die Zukunft?
In Schweinfurt und in Kitzingen gibt es auch Solawi-Projekte. Ein Allheilmittel sieht Stefan Köhler vom BBV in der Solidarischen Landwirtschaft aber nicht: „Dann macht das eben jeder Bauer und alle Probleme sind gelöst - so funktioniert das leider auch nicht.“ Diese Art der Direktvermarktung sei als Nische vor allem in Stadtnähe eine tolle Form des Austauschs, habe aber ihre Grenzen. Noch wandert in Deutschland jeder zweite Euro für Obst und Gemüse nach Erhebungen des Marktforschungsunternehmens Nielsen an die Discounter. Mit momentan 268 Gemeinschaften steckt "Solawi" noch in den Kinderschuhen.
Frankreich führt bei der "Solawi" im europäischen Vergleich übrigens mit mehr als 2000 Gemeinschaften. In Japan, wo die Solawi-Idee in den 70er Jahren unter dem Namen „Teikei“ geboren wurde, versorgen sich mittlerweile elf Millionen Menschen nach dem Prinzip. Hierzulande jetzt schon an ein Limit zu denken, hält Martin Ladach, Vorstand der VEG Würzburg, für falsch: „Mich interessiert weniger, was irgendwann mal nicht mehr möglich sein wird. Davon sind wir noch weit entfernt. Wichtiger ist, dass wir über die vielen Probleme der aktuellen Bewirtschaftung nicht mehr nur reden, sondern aktiv werden.“
Serie Bioökonomie
