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Grombühl
Sexueller Missbrauch, Schläge, Demütigungen: Peters Hölle auf Erden im Wickenmayerschen Kinderheim in Würzburg
Nach Schilderungen eines heute 70-Jährigen ist das Ausmaß der Gewalt in der "Wickenmayer" in Würzburg größer als bisher bekannt. Bis 1996 betreuten Erlöserschwestern die Kinder.
Peter, ein ehemaliges 'Wickenmayer'-Kind, war in den 1950er und 60er Jahren im Würzburger Kinderheim. Den Erlöserschwestern, die dort die Kinder betreuten, macht er heftige Vorwürfe.
Foto: Illustration Ivana Biscan | Peter, ein ehemaliges "Wickenmayer"-Kind, war in den 1950er und 60er Jahren im Würzburger Kinderheim. Den Erlöserschwestern, die dort die Kinder betreuten, macht er heftige Vorwürfe.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:27 Uhr

Ein erschütternder Satz. "Ich konnte nicht das Leben führen, das ich gerne geführt hätte", sagt Peter. Der 70-Jährige ist ein Opfer massiver körperlicher und sexualisierter Gewalt. "Jeden Tag muss ich daran denken." Er möchte anonym bleiben. Nur wenige wissen von seinem Leid.

Dazu gehören zum Beispiel seine Schwester und sein Bruder. Auch sie sind Opfer von Gewalt. Drei Geschwister, ein Schicksal – erlitten in der Wickenmayerschen katholischen Kinderpflege in Würzburg-Grombühl.

Peter ist ab seinem vierten bis zum 15. Lebensjahr in diesem Kinderheim aufgewachsen. Bis 1996 wurden Kinder dort von den Erlöserschwestern betreut. Bereits vor zwei Jahren gingen ehemalige "Wickenmayer"-Kinder an die Öffentlichkeit.

An die Namen seiner Peinigerinnen in der "Wickenmayer" erinnert sich Peter genau

"Gleich nach der Geburt" sei er ins Heim gekommen, beginnt Peter seine Geschichte. Das war Ende 1953. Zuerst sei bei den Würzburger Ritaschwestern gewesen. An sie habe er keine schlechten Erinnerungen.

Erst in der "Wickenmayer" begann für ihn "die Hölle auf Erden", wie Peter sagt. Er hat sie bis heute nicht verlassen. Je älter er wird, desto mehr machen ihn die erlittenen unmenschlichen Erfahrungen zu schaffen.

Die Hölle, das war für ihn das Verhalten der Erlöserschwestern und der angestellten Frauen, die laut Peter selbst ehemalige Wickenmayer-Kinder waren und als Aufpasserinnen übernommen wurden. An den Namen seiner Peinigerinnen kann sich Peter gut erinnern – und an ihre brutalen Erziehungsmethoden.

Für Peter war die Zeit in der Wickenmayerschen Kinderpflege im Würzburger Stadtteil Grombühl die 'Hölle auf Erden'.  Weil er nichtehelich und sein Vater ein US-Soldat ist, wurde er dort 'Ami-Bankert' genannt. 
Foto: Thomas Obermeier | Für Peter war die Zeit in der Wickenmayerschen Kinderpflege im Würzburger Stadtteil Grombühl die "Hölle auf Erden".  Weil er nichtehelich und sein Vater ein US-Soldat ist, wurde er dort "Ami-Bankert" genannt. 

"Mit fünf Jahren wurde ich so geschlagen, dass ich eine Platzwunde am Kopf und eine Gehirnerschütterung hatte." Warum? "Wir wurden jeden Abend im Schlafsaal ins Bett gejagt, ich war zu langsam", sagt Peter.

Als nichteheliches Kind war Peter im Kinderheim in Grombühl nicht sehr angesehen

Doch nicht nur er bekam Schläge. "Der Hansi wurde von den Schwestern bewusstlos geschlagen." Weitere Namen fallen. Die schmerzhaften Erinnerungen spiegeln sich in seinem Gesicht wider. Er hat Tränen in den Augen, die Brille beschlägt.

Es habe auch Günstlinge gegeben, sagt Peter, vor allem unter den Mädchen. Wer jedoch bei den Erlöserschwestern schlecht angesehen gewesen sei, hatte nichts zu Lachen. Vor allem die nichtehelichen Kinder – wie Peter. "Ich war nur der Ami-Bankert." (Anm. der Redaktion: Bankert ist ein veraltetes Schimpfwort für ein nichteheliches Kind.)

Peters Vater war ein US-amerikanischer Soldat. Er hat ihn nie kennengelernt. Die Mutter sei von einer Erlöserschwester immer als "Hure" bezeichnet worden. "Ich wusste damals gar nicht, was sie meint." Nur furchtbar böse habe es sich angehört.

Schläge mit nassen Handtüchern im "Wickenmayer" und "bestialische Strafen"

Peters Schilderungen erinnern an das Gespräch dieser Redaktion mit Roland Fischer im Jahr 2021. Auch er schilderte Gewaltexzesse. Fischers älterer Bruder sei "halbtot" geschlagen worden. Peter kennt die Brüder. "Wir waren zur gleichen Zeit im Heim."

Peter erzählt weiter von "bestialischen Strafen", sogar von "Folter". Bei einer dieser Strafmaßnahmen zog er sich eine Nierenschwäche zu. Er musste stundenlang mit erhobenen Händen in der Ecke stehen, barfuß, auf einen kalten Steinboden. "Meine Niere war danach kaputt."

An der Tagesordnung waren auch Schläge mit nassen Handtüchern im Waschsaal. "Dort musste ich mich als 14-Jähriger noch von einer Frau abwaschen lassen." Wenn er das aus Scham nicht wollte, klatschte es.

Körperliche Gewalt im früheren Würzburger Kinderheim durch Frauen, sexueller Missbrauch durch einen Mann

Es blieb nicht bei körperlicher Gewalt und übergriffigem Verhalten durch Frauen. Peter sagt, er wurde, als er neun Jahre alt war, von einem Mann sexuell missbraucht. Als Täter nennt er Musiklehrer S., der den Kindern der "Kinderbewahranstalt" privaten Unterricht gab und mit ihnen Theaterstücke einstudierte. S. war im Bistum Würzburg angestellt und in der Grombühler Pfarrgemeinde St. Josef als Mesner tätig.

Zuerst habe der Mann, dessen Name sich ebenfalls in Peters Gedächtnis eingebrannt hat, den Latz seiner Lederhose geöffnet und ihn befummelt. Später sei noch weit mehr passiert. Und wieder fallen Namen von anderen Jungs, die laut Peter ebenso von S. missbraucht wurden.

Die Wickenmayersche Kinderpflege in Würzburg wurde bis Mitte der neunziger Jahre von den Erlöserschwestern betrieben. Dort wurden Kinder aus schwierigen Verhältnissen betreut. Heute ist dort eine Einrichtung der Diakonie untergebracht.
Foto: Thomas Obermeier | Die Wickenmayersche Kinderpflege in Würzburg wurde bis Mitte der neunziger Jahre von den Erlöserschwestern betrieben. Dort wurden Kinder aus schwierigen Verhältnissen betreut.

"Die Schwestern wussten davon", sagt Peter. Und wenn er es bei einer Schwester ansprach, gab es als Antwort eine Ohrfeige und den Satz: "Über so was redet man nicht!" Erst als S. einmal von einer Erlöserschwester "dabei erwischt" worden sei, habe man ihn rausgeschmissen.

Noch heute verzieht Peter sein Gesicht voller Ekel, als er erzählt, dass er auch Erbrochenes wieder aufessen musste. Und ärgerlich wird er, wenn er sich an die Arbeiten erinnert – im Garten oder im Heizkeller. "Andere bekamen Geld dafür, das auf ein Sparbuch angelegt wurde, wir nicht."

Nicht erinnern kann sich Peter, was alles passiert ist, wenn er schlief. "Wir mussten zum Abendessen immer Medikamente einnehmen und wurden ruhiggestellt." Welche es waren, weiß er nicht.

Bistum Würzburg zahlt höhere Leistung in Anerkennung des Leids in der Wickenmayerschen Kinderpflege

Die Aufarbeitung des Falls begann schleppend. Peter schilderte ihn bereits vor Jahren dem ehemaligen Ansprechpartner des Bistums Würzburg für Opfer sexuellen Missbrauchs, Kriminologie-Professor Klaus Laubenthal. Dieser habe die Akte von Musiklehrer S. angefordert, aber nicht erhalten, sagt Peter. "Als hätte es diese Person nie gegeben." Erst als Laubenthals Nachfolger Thomas Förster, Richter am Oberlandesgericht Bamberg, beim Bistum nachfragt habe, sei sie aufgetaucht.

Peter stellte 2020 erstmals einen Antrag auf Leistung in Anerkennung des Leids. 2021 und 2022 erneut und mit ergänzenden Angaben zu seinem Missbrauch. Diese sind laut Professor Alexander Schraml, aktueller Ansprechpartner von Betroffenen sexuellen Missbrauchs, "angesichts der Massivität der Vorfälle sehr gut nachvollziehbar". Das Bistum Würzburg zahlte Peter eine höhere Summe.

Und die Erlöserschwestern? Peters Gesicht verdüstert sich. Schwester Monika Edinger, die Generaloberin der Würzburger Kongregation, habe "sehr distanziert" reagiert. Kühl. Keine Entschuldigung. Nur der Satz: "So waren halt die Zeiten damals."

Beim Gespräch von Peter mit dieser Redaktion ist Alexander Schraml anwesend, der Missbrauchsbeauftragte des Bistums Würzburg. Ebenso Matthias Risser, bis 2021 Redakteur beim Würzburger katholischen Sonntagsblatt und engste Vertrauensperson von Peter. Aufgrund der Schilderungen sind beide der Meinung: Es bestehe kein Interesse von Seiten der Kongregation an Aufarbeitung.

Schwester Monika Edinger bittet um Vergebung für das erlittene Leid im Kinderheim

Inzwischen hat sich nach mehrfacher Nachfrage dieser Redaktion Schwester Monika Edinger, die Generaloberin der Erlöserschwestern zum Fall von Peter geäußert: "Uns ist es wichtig, mit den Betroffenen ins Gespräch zu kommen und soweit es möglich ist, die Geschehnisse der damaligen Zeit aufzuarbeiten."

Sie bestätigt zwei Treffen mit dem Betroffenen und betont, das Verhalten der drei von Peter beschuldigten Schwestern sei nicht zu entschuldigen. "Ich kann nur mein Bedauern ausdrücken und um Vergebung bitten für das erlittene Leid", sagt Schwester Monika Edinger.

Erlöserschwestern liegen keine dokumentierten Aussagen von Schwestern vor

Sie verweist darauf, dass körperliche Gewalt, die zur damaligen Zeit oft als "Erziehungsmethode" in Schulen, Heimen und auch im häuslichen Umfeld eingesetzt wurde, damals wie heute nur schwer nachvollziehbar sei und unter keinen Umständen gutgeheißen werden könne. Heute würde die Kongregation auf Schutzkonzepte setzen.

Die Generaloberin geht auch auf die Frage ein, ob es zutrifft, dass die Erlöserschwestern von den Missbrauchsfällen im Wickenmayerschen Kinderheim Kenntnis hatten und nichts dagegen unternahmen. Ihre Antwort: "Es liegen in der Kongregation keinerlei diesbezügliche schriftliche Hinweise oder dokumentierte Aussagen vor. Keine der Schwestern, die in dem genannten Zeitraum dort tätig waren, lebt noch und können daher nicht von uns befragt werden."

Und wie reagierte das Bistum? Bischof Franz Jung habe sich sofort seines Falls angenommen, "großes Verständnis" gezeigt, sagt Peter. Der Bischof habe ihn sogar aufgefordert, Widerspruch einzulegen zum bereits genehmigten Antrag bei der UKA, der von der Deutschen Bischofskonferenz eingerichteten Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen in Bonn. Peter hat also gute Chancen auf eine Neubewertung und Nachzahlung.

"Hoffentlich kommt sie bald", sagt Peter. "Ich bin nicht gesund und habe nicht mehr viel vom Leben. Ich habe nie geheiratet, bewusst keine Kinder in die Welt gesetzt." Aus Angst, sie müssten ebenfalls in ein Heim und Schreckliches ertragen. Peter liebt Hunde. "Sie sind mein Leben, sie enttäuschen mich nicht."

 
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  • Alexander Götz
    Lieber Peter
    Ich wünsche Ihnen noch ein erfülltes und hoffentlich langes Leben mit Ihren Hunden. Sie haben so recht, mit der Aussage, dass sie, sie nicht enttäuschen.....ich setze noch einen drauf und sage: " Hunde sind die besseren Menschen" !!! Ich wünsche Ihnen alles Gute.
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  • Johannes Fasel
    Die Erlöserschwestern haben kein Interesse an Aufarbeitung. --- Dieser Eindruck verfestigt sich nach dem Lesen des Artikels.
    Die Reaktion der Erlöserschwester und Generaloberin Monika Edinger klingt in meinen Ohren halbherzig und lauwarm. Ihr Verweis auf kriminelle und sadistische „Erziehungsmethoden“ andernorts ist mehr als ein Armutszeugnis. Kriminelle und sadistische „Erziehungs-methoden“ im Namen Gottes entlarven das gesamte „Erlösungsgedöns“ als schamlose Lüge.

    Und die Übernahme von Verantwortung wurde offenbar an Bischof und Missbrauchsbeauftragte des Bistums Würzburg ausgelagert.

    Von den generalsanierten Wänden des Altstadtviertels der Erlöserschwestern prangen Worte von Liebe und Erlösung: Es ist zum Lachen und zum Weinen komisch.
    Im Sektenunwesen spricht man von Love Bombing.
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  • Hans-Georg Heim
    Ich bin Jahrgang 1954 und war für kurze Zeit im Kindergarten bei den Lieseli (Elisabethenheim), nach ein paar Tagen wurde mir etwas von meinem Brotzeitobst weg genommen und einem anderen Kind gegeben (wir waren selbst sehr arm), als ich mich dagegen wehrte, wurde mir von der Nonne ins Gesicht geschlagen und ich musste mich in die Ecke stellen. Beim angeordneten Mittagsschlaf in einem extra Schlafsaal patrouillierte eine Nonne mit dem Rohrstock in der Hand zwischen den Pritschen und wo geschwätzt wurde, wurde der eingesetzt. Nach ein oder zwei Wochen beschloss ich nicht mehr in den Kindergarten zu gehen und trieb mich in der Umgebung rum, bis mich meine Mutter erwischte. Zum Glück musste ich ab da nicht mehr in den Kindergarten und konnte bis zum Schuleintritt meine Freiheit in den Ruinen, am Main und im Ringpark genießen. Diese Erlebnisse mit den lieben frommen katholischen Nonnen waren dann doch so nachhaltig, dass ich schon vor Jahrzehnten aus der Kirche austrat.
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  • Ralf Eberhardt
    Ein ganz deutlicher Hinweis an Frau GENERALoberin Edinger: ich bin 68 Jahre, in Grombühl aufgewachsen und die ersten 4 Schuljahre in die Pestallozzischule gegangen (1961-1966). Mein häusliches Umfeld war in keiner Weise von körperlicher Gewalt geprägt. Und auch bei meinen Freunden glaube ich, dass das nicht der Fall war. Ich behaupte, dass die (einzelnen?) Schwestern sich bewusst dieser körperlichen (schlimmer war wohl oft die psychische) Gewalt bedient haben. Die Feststellung, dass man die damaligen Vertreter und Vertreterinnen der Kirche nicht mehr fragen kann, ist zusätzlich zynisch. GOTTseidank hat wohl zumindest Bischof Jung verstanden, wie man Empathie schreibt.
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  • Katharina Joachimsthaler
    Bin Jahrgang 1959, in Würzburg geboren und aufgewachsen, mit Ohrfeigen gedrillt als Kind und mit Sprüchen wie: "Wenn du nicht artig bist kommst du in ein Heim, da gehts noch ganz anders zu. "
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  • Dominik Temming
    Für mich als bekennenden Maskulisten ein sehr wertvoller Artikel, der deutlich zeigt, dass nicht immer nur die Männer die Bösen sind.
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  • Hélène Moreau
    Spielt das eine Rolle bei Verbrechen überhaupt an KIndern, ob Mann oder Frau? Haben Sie den Artikel richtig gelesen ? Es ist auch die Rede von einem Täter. Spiel es keine Rolle, weil er in der Minderheit war?
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  • Helga Scherendorn
    für mich spielt es eine ganz gewaltige Rolle!
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