Ritueller Missbrauch in der ehemaligen Wickenmayerschen Kinderpflege in Würzburg? Dieser ungeheuerliche Vorwurf, den eine Frau erhoben hatte, wurde vor einigen Monaten durch das BR-Politmagazin report München bekannt. Der Bericht sorgte für Schlagzeilen und ungläubiges Kopfschütteln bei anderen ehemaligen Kindern der "Wickenmayer". Der rituelle Missbrauch soll sich in den 1960er Jahren ereignet haben. Nach der öffentlichen Beschuldigung kehrte - scheinbar - Ruhe ein. Ein Überblick zum aktuellen Stand in Fragen und Antworten.
Was soll sich in der Wickenmayerschen Kinderpflege ereignet haben?
In der Wickenmayersche Kinderpflege im Würzburger Stadtteil Grombühl, einer städtischen Einrichtung, waren die Erlöserschwestern über viele Jahre mit der Kinderbetreuung beauftragt. Eine Frau beschuldigt Männer in Priestergewändern, sie als Sechsjährige - mit Hilfe von Ordensschwestern - in der einstigen Kapelle der Einrichtung missbraucht zu haben. Auch von einem Mann im Bischofsgewand ist die Rede.
Was sagen die Erlöserschwestern und der Bischof zu den Vorwürfen?
Würzburgs Bischof Franz Jung hält den Vorwurf für plausibel. Die Erlöserschwestern weisen die schweren Vorwürfe gegen katholische Ordensfrauen aus ihrer Kongregation entschieden zurück.
Haben sich außer der Frau weitere Betroffene gemeldet?
Es hätten sich weitere fünf Betroffene gemeldet, teilt Bistumssprecher Bernhard Schweßinger auf Nachfrage mit. Es sei jedoch kein weiterer ritueller Missbrauch angegeben worden. Bei den fünf neueren Fällen "geht es bei vier Personen um Vorwürfe sexualisierter Gewalt, bei einer Person um Vorwürfe sexualisierter Gewalt im Zusammenhang mit der Beichte", so Schweßinger.
Wieso hält der Bischof die Vorwürfe für plausibel?
Bischof Franz Jung beruft sich bei seiner Annahme, dass die Vorwürfe plausibel sind, auf die Stellungnahme der damaligen stellvertretenden Missbrauchsbeauftragten, so der Bistumssprecher. Zudem habe der Bischof "Gespräche mit Betroffenen und weiteren Personen geführt". Die zuständige Ansprechpartnerin für Betroffene sexuellen Missbrauchs der Diözese Würzburg hatte zum Fall Stellung genommen und "die Schilderungen der Betroffenen und deren Psychologin für glaubwürdig gehalten". Und, so Schweßinger weiter: "Die Plausibilität wurde im Rahmen des Antragsverfahrens auf Leistungen in Anerkennung des Leids, das Opfern sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde, bejaht."
Wurden inzwischen mutmaßliche Täter identifiziert?
"Nach wie vor wurde kein Täter identifiziert", sagt Bistumssprecher Schweßinger. Man sei dabei gemäß der im Januar 2020 in Kraft getretenen "Ordnung für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener durch Kleriker und sonstige Beschäftigte im kirchlichen Dienst " der deutschen Bischöfe vorgegangen. In dieser Ordnung ist unter anderem festgelegt, dass nach Eingang eines Hinweises auf einen Missbrauch "eine erste Bewertung auf Plausibilität durch die beauftragten Ansprechpersonen" zu erfolgen habe. Außerdem haben sich "die zuständigen kirchlichen Stellen selbst um Aufklärung zu bemühen", wenn "tatsächliche Anhaltspunkte bestehen", aber etwa wegen Verjährung "der Verdacht des sexuellen Missbrauchs nach staatlichem Recht nicht aufgeklärt wird".
Befassen sich kirchen- und ordensunabhängige Gremien mit dem Vorwurf?
Laut Bistumssprecher Schweßinger werden die Vorwürfe im Hinblick auf die Wickenmayersche Kinderpflege der Aufarbeitungskommission vorgelegt. Diese hat im Bistum Würzburg im Juni ihre Arbeit aufgenommen.
Arbeiten Erlöserschwestern und Bischof bei der Aufarbeitung der Vorwürfe zusammen?
In der vergangenen Woche haben sich Bischof Franz Jung und Vertreterinnen der Erlöserschwestern zu einem weiteren Gespräch getroffen. Das erste hatte im Juli stattgefunden. Aktuell wurde laut Ordenssprecherin Miriam Christof festgelegt, dass sich die Aufarbeitungskommission des Bistums und der Beraterstab der Ordensgemeinschaft austauschen. Zudem sei eine Zusammenarbeit der beiden Ansprechpartner für Betroffene sexuellen Missbrauchs vereinbart worden. Von Seiten der Diözese ist dies Prof. Alexander Schraml, als Ansprechperson der Kongregation für Verdachtsfälle sexuellen Missbrauchs fungiert der Würzburger Rechtsanwalt Thomas Braun. Wenn sich eine betroffene Person meldet, soll der Ordenssprecherin zufolge in einem ersten Gespräch die Zuständigkeit geklärt werden. Unabhängig davon behalte sich der Bischof ausdrücklich vor, wenn gewünscht, mit jeder Betroffenen und jedem Betroffenen zu sprechen.
Wie ist der Austausch mit dem Betroffenenbeirat?
Laut Ordenssprecherin Miriam Christof kommunizieren die Mitglieder des Betroffenenbeirats in der Diözese Würzburg mit den Erlöserschwestern nur über den Bischof. Über das Bistum habe der Betroffenenbeirat um ein Gruppengespräch mit Generaloberin Sr. Monika Edinger gebeten. Dies hätten die Erlöserschwestern abgelehnt, so Christof. Betroffene könnten sich aber jederzeit direkt bei den Erlöserschwestern oder deren Ansprechperson melden.
Haben die Ansprechpartner der Diözese Fälle rituellen Missbrauchs bearbeitet?
Die beiden aktuellen Ansprechpartner für Opfer sexuellen Missbrauchs der Diözese Würzburg – Sandrina Altenhöner und Alexander Schraml – bestätigen auf Nachfrage, dass es bei keinem ihrer Gespräche um rituellen Missbrauch ging.
Wie sehen Expertinnen und Experten das Thema "rituelle Gewalt"?
Das Thema ist in Fachkreisen höchst umstritten. Skeptiker sagen, es gibt für diese Form des Missbrauchs, die häufig mit Satanismus verbunden ist, bislang keinen einzigen Beweis. Es seien bis heute keine Täter oder Täterkreise identifiziert worden. Andere Fachleute, wie die psychologische Psychotherapeutin Elisabeth Kirchner von Wildwasser Würzburg, sind davon überzeugt, dass diese Form des Missbrauchs Realität ist – unter Beteiligung mehrerer Täter: "Organisierte rituelle Gewalt ist die systematische, das heißt gezielte Anwendung schwerer körperlich, psychischer und sexueller Gewalt in destruktiven Gruppierungen", definiert Kirchner. Der Würzburger Verein gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen berät Betroffene. 2020 waren es den Angaben zufolge fünf Frauen.
Informationen zu den Ansprechpartnerinnen und -partnern für Betroffene sexuellen Missbrauchs im Bistum Würzburg im Internet unter: www.bistum-wuerzburg.de/seelsorge-hilfe-beratung/missbrauch
Auch wenn es im Artikel nur um den Fall „Wickenmayer“ geht, gehört doch zur ganzen Wahrheit, dass es mindestens eine weiteren Fall im Bistum Würzburg in einem von den Erlöserschwestern geführtem Heim gibt. Wenn es also im Artikel heißt, „eine Frau“ erhöbe schwere Vorwürfe gegen die Erlöserschwestern, entsteht der Eindruck, es handele sich hier um einen mehr oder weniger absurden Einzelfall. Davon kann keine Rede sein. Man muss von systemischem rituellen Missbrauch in den Kinderheimen ausgehen.
Eine Betroffene berichtete, der an ihr vollzogene Missbrauch sei von den Tätern fotografiert worden. Gerade klerikale Täter haben sehr frühzeitig Kinderpornografie hergestellt, teils auch verbreitet. Ein Teil dieser Dokumente wird in den kirchlichen Archiven liegen. Leider haben staatliche Stellen darauf noch keinen Zugriff erwirkt. Bisher jedenfalls.
häufig mit Satanismus verbunden ist, bislang keinen einzigen Beweis"
Rituelle Gewalt ist eine Unterform des Organisierten Missbrauchs. Es geht um die gemeinschaftliche Umsetzung perverser Sexualwünsche, oft verbunden mit der Produktion von Kinderpornografie und dem Verkauf der Opfer (Kinderprostitution). Solche Straftaten führen uns zwar die teuflischen Seiten der menschlichen Sexualität vor Augen. Satanismus spielt, entgegen der Kolportage, dabei aber selten eine Rolle. Das Kultische dient bei Ritueller Gewalt fast immer der Verbrämung besonders obszönen, widerlichen Sexualgebarens.
Sachinformationen in einer frei im Netz abrufbaren Expertise mit dem Titel "Sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen", 2018 mit Unterstützung des Bundesfamilienministeriums von einem Fachkreis zusammen getragen.
werden vmtl. "nie im Leben" mehr ermittelt. Umso wichtiger scheint es mir, den Betroffenen jede erforderliche Hilfe angedeihen zu lassen, um die ihnen angetanen Gemeinheiten verarbeiten zu können. Und zwar so bald sich das einrichten lässt.