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WÜRZBURG
Missbrauch: Drei neue Vorwürfe in einem Monat
Thomas Förster, Richter am Oberlandesgericht Bamberg, ist seit September 2017 der externe Ansprechpartner für Opfer sexueller Gewalt im Bistum Würzburg
Foto: Christine Jeske | Thomas Förster, Richter am Oberlandesgericht Bamberg, ist seit September 2017 der externe Ansprechpartner für Opfer sexueller Gewalt im Bistum Würzburg
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 27.04.2023 07:32 Uhr

Thomas Förster ist seit über einem Jahr der externe Ansprechpartner der Diözese Würzburg für Opfer sexuellen Missbrauchs. Der Richter am Oberlandesgericht Bamberg wurde im September 2017 von Bischof Friedhelm Hofmann kurz vor dessen Verabschiedung in den Ruhestand ernannt. Förster ist Nachfolger des Würzburger Strafrechtsprofessors Klaus Laubenthal, der sein Amt im März 2017 abgegeben hatte. Nach der Veröffentlichung der von der Deutschen Bischofskonferenz Kirche in Auftrag gegebenen Missbrauchsstudie vor gut einem Monat meldeten sich drei weitere Betroffene. Im Gespräch gibt Förster Einblicke in seine Ermittlungen unter kirchlichen Leitlinien.

Frage: Herr Förster, seit gut einem Jahr sind Sie der Missbrauchsbeauftragte. Wann haben sich die ersten Betroffenen bei Ihnen gemeldet?

Thomas Förster: Gleich nach meiner Ernennung erreichten mich zwei Anfragen. Damit hatte ich so schnell nicht gerechnet.

Warum?

Förster: Mir wurde vermittelt, dass die Zahl der Missbrauchsmeldungen in den vergangenen Jahren immer weniger geworden sei. Und dann hatte ich gleich zwei Fälle. In beiden wurden Priester beschuldigt. Anfang des Jahres kam ein weiterer Fall hinzu, der beschuldigte Priester lebt allerdings nicht mehr. Dann gab es bei mir und meiner Stellvertreterin Sandrina Altenhöner noch Anfragen wegen möglicher Übergriffe, etwa auf Jugendfahrten durch ehrenamtliche Mitarbeiter; ebenso anonyme Anzeigen. Bei diesen hatte ich jedoch keine Grundlage, aktiv zu werden.

Am 25. September wurde in Fulda die von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebene Missbrauchsstudie veröffentlicht. Wie viele Anfragen gab es seither?

Förster: Frau Altenhöner und ich haben im Oktober von drei weiteren Vorwürfen gegen Priester Kenntnis erhalten. Ein Vorwurf betrifft einen bereits verstorbenen Priester. Ein weiterer Vorwurf bezieht sich auf einen Vorfall, der sich in der Diözese Freiburg ereignet hat, mutmaßlich durch einen Priester der Diözese Freiburg. Deshalb wird die Sache an die dortige Missbrauchsbeauftragte weitergeleitet. Der dritte Vorwurf, der ebenfalls woanders stattgefunden hat – in der Diözese Eichstätt – betrifft ein zum Tatzeitpunkt volljähriges Opfer. Es beschuldigt einen Pfarrvikar der Diözese Würzburg.

Wie haben die beschuldigten Priester auf die Vorwürfe reagiert?

Förster: Die Beschuldigtenvernehmung erfolgt, wie es die Leitlinien der Bischofskonferenz vorsehen, durch das Bistum. Der oder die Missbrauchsbeauftragte können bei der Anhörung dabei sein und ebenfalls Fragen stellen. Ich habe bislang in zwei Fällen mit beschuldigten Priestern gesprochen. In einem dieser Fälle habe ich auch alleine mit dem Beschuldigten gesprochen. In dem einen Fall wurden die Vorwürfe rundherum abgestritten. Im anderen Fall wurde nicht abgestritten, aber ein aus meiner Sicht nicht glaubhaftes Erklärmodell geliefert, das die Situation verharmlosend darstellte.

Sind die Fälle abgeschlossen?

Förster: Beide Fälle wurden bei der Staatsanwaltschaft Würzburg zur Anzeige gebracht – und eingestellt; einer war verjährt, er bleibt also nach weltlichem Recht unaufgeklärt. Der andere Fall wurde wegen der ,Aussage-gegen-Aussage‘ Konstellation eingestellt. Die jüngst hinzugekommenen Fälle sind alle noch nicht abgeschlossen.

Nach kirchlichem Recht gehört es zu Ihren Aufgaben, dem Bistum eine Plausibilitätseinschätzung zu geben. Das heißt, Sie hinterfragen auch die Angaben der mutmaßlichen Opfer und ermitteln. Wie gehen Sie vor?

Sandrina Altenhöner ist seit Mai 2017 die stellvertretende Ansprechpartnerin für Opfer von sexuellem Missbrauch in der Diözese Würzburg.
Foto: Altenhöner | Sandrina Altenhöner ist seit Mai 2017 die stellvertretende Ansprechpartnerin für Opfer von sexuellem Missbrauch in der Diözese Würzburg.

Förster: Ich habe generell nicht die Ermittlungsmöglichkeiten wie die Staatsanwaltschaften und kann zum Beispiel keine Wohnungen durchsuchen oder Akten beschlagnahmen. Aber wenn ich Hinweise auf Informationen habe, die weiterhelfen könnten, also externe Informationen, dann versuche ich, diese zu bekommen. Es ist sicher nicht so, dass der oder die Betroffene mir den Fall schildert, danach höre ich mir den Beschuldigten an, und das war‘s dann. Wenn ich weitere Anhaltspunkte dafür habe, die eine Aussage belegen können, dann gehe ich im Rahmen meiner Möglichkeiten dem nach.

Wie finden Sie heraus, wer die Wahrheit sagt?

Förster: Das ist sehr schwierig und nicht immer so eindeutig, dass ich mich festlegen könnte. In einem der Fälle musste ich zugeben: ,Ich weiß es nicht, es kann so oder so gewesen sein.‘

Was macht es so schwierig, die Wahrheit herauszufinden?

Förster: Man muss eine Person schon sehr gut kennen, um ihre Reaktion im Rahmen einer Befragung deuten zu können. Das ist bei Betroffenen wie Beschuldigten nicht der Fall. Zudem hat man keine Vergleichsmöglichkeiten bei einer Vernehmung. So weiß ich nicht, wie jemand normalerweise reagiert, wenn er die Wahrheit sagt oder wenn er lügt. So ist zum Beispiel eine sichtbare Nervosität bei einer Vernehmung jedenfalls kein eindeutiges Zeichen für eine Lüge.

Die Hoffnung der Menschen, die sich an Sie wenden, beruht jedoch meist darauf, dass Sie die Geschichte aufklären.

Förster: Diese Hoffnung muss ich manchmal enttäuschen.

Weil das Bistum Sie dabei nicht unterstützt?

Förster: Die Kooperation mit dem Bistum ist gut. Wenn ich eine Personalakte wollte, dann haben ich sie auch erhalten. Dennoch ist nicht jeder Fall aufklärbar. Auch die Staatsanwaltschaft löst nicht jeden Missbrauchsfall.

Worin sehen Sie vor allem Ihre Aufgabe?

Förster: Ich sehe sie in erster Linie darin, den Leuten die Hemmung vor einer Kontaktaufnahme zu der Institution zu nehmen, deren Mitarbeiter sie beschuldigen. Deshalb ernennt die Kirche externe Ansprechpartner.

Hilft Ihnen das Kirchenrecht?

Förster: Kirchenrecht und staatliches Recht haben eigentlich nichts miteinander zu tun. Etwas aufklären ist zudem etwas rein Faktisches – eine andere Frage ist, was man daraus macht. Was staats- oder kirchenrechtlich gesehen mit dem Beschuldigten nach einer Aufklärung der Vorwürfe passiert, unterfällt nicht meiner Aufgabe als Missbrauchsbeauftragter.

Hatten Sie auch Anfragen von Betroffenen, die nur Ihre Geschichte erzählen möchten?

Förster: Das war so in einem der Fälle, mit denen ich es bislang zu tun hatte. Die betroffene Person hat mir beziehungsweise dem Bistum die Entscheidung überlassen, ob Anzeige erstattet wird. Diese wurde dennoch erstattet. Als die Person dann bei der Polizei eine Aussage machen sollte, hat sie sich geweigert. Andere Betroffene wollen nicht nur angehört werden, sondern auch eine sogenannte Leistung in Anerkennung des Leids.

Also eine finanzielle Entschädigung.

Förster: Wenn ich die Geschichte für plausibel, also tatsachenbasiert halte und jemand diesen Antrag auf Anerkennung stellt, gebe ich diesen zusammen mit meiner Beurteilung ans Bistum weiter. Das Bistum leitet den Antrag an die Missbrauchskommission der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn weiter. Diese entscheidet darüber positiv oder negativ, ebenso über die Höhe der Anerkennung oder die Bewilligung von Therapiekosten, die dann letztlich vom Bistum gezahlt wird.

Werden Sie über die Entscheidung aus Bonn informiert?

Ich werde vom Würzburger Ordinariat über alle Entscheidungen – positiv wie negativ – über die Anträge informiert. Derzeit wurde über einen Antrag noch nicht entschieden.

Bleibt Ihnen in Ihrem Hauptberuf überhaupt genügend Zeit für die Recherchen als externer Ansprechpartner?

Förster: Es gibt Grenzen. Ich kann keine Archive nach möglichen Hinweisen durchforsten. Oder ich kann zum Beispiel nicht alle ehemaligen Bewohner eines Heimes befragen, in dem der Missbrauch stattgefunden haben soll – wenn man sie überhaupt herausfindet. All das würde meine zeitlichen Kapazitäten übersteigen. Aber trotz der relativ wenigen Fälle umfasst mein E-Mail-Ordner hierzu bereits über 250 Nachrichten.

Wie stehen Sie zu den Verjährungsfristen. Sollten sie – wie bei einem Mordfall – auch bei sexueller Gewalt aufgehoben werden?

Förster: Eine Verjährung gibt es nicht ohne Grund. Es ist schwierig etwas aufzuklären, das vor vielen Jahren geschehen ist. Aus Opfergesichtspunkten ist es natürlich wünschenswert, wenn es keine Verjährung gibt. Bei sexueller Gewalt sind die Fristen ohnehin länger als bei anderen Straftaten. Die Verjährung ruht mittlerweile bis zum 30. Lebensjahr der Betroffenen. Erst danach beginnt die reguläre Verjährung. Es kann also eine Zeitspanne von bis zu 50 Jahren bleiben, um einen Missbrauch aufzuklären und zu verfolgen. Wenn eine beschuldigte Person noch lebt, bin ich übrigens immer für eine Anzeige, auch wenn die Tat verjährt sein könnte, da die Prüfung der Verjährung Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist.

Ansprechpartner für Opfer sexueller Gewalt

Thomas Förster, Richter am Oberlandesgericht Bamberg, ist seit September 2017 der externe Ansprechpartner für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Diözese Würzburg. Die Juristin Sandrina Altenhöner ist seit Mai 2018 die zweite Kontaktperson für Opfer sexueller Gewalt. Beide Ansprechpartner sind zugleich Mitglied im Arbeitsstab „Sexueller Missbrauch und körperliche Gewalt“.

Kontaktmöglichkeiten: Betroffene können mit beiden Ansprechpartnern auf mehreren Wegen Kontakt aufnehmen; per E-Mail sind beide erreichbar unter: missbrauch@dioezese-wuerzburg.de; Thomas Förster ist telefonisch erreichbar unter Tel. (0151) 212 657 46; seine Postanschrift lautet: Postfach 11 02 62, 96030 Bamberg. Die Telefonnummer von Sandrina Altenhöner ist: (0151) 644 02 894. cj

 
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