Behutsam spricht Jörg Ambrosius im Seniorenheim der Heroldstiftung in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart) mit einem Bewohner und erklärt ihm, was er jetzt mit ihm vorhat. Er möchte den im Rollstuhl sitzenden alten Herrn nach dem Mittagessen kurz mal auf Toilette fahren. Eine fit wirkende 75-jährige Bewohnerin, die mit einer 96-jährigen früheren Arbeitskollegin an einem Tisch sitzt, sagt: "Der Jörg ist ein ganz lieber Kerl." Der Pferdeschwanz-Träger im blauen Pflegekittel hat gerade seinen Abschluss als Altenpfleger am Bildungszentrum für Pflegeberufe in Marktheidenfeld gemacht – und das mit 46 Jahren. Er findet den Beruf toll. Man tue Menschen etwas Gutes und könne ihnen den Lebensabend verschönern. "Du kriegst auch viel zurück von den alten Menschen", findet er.
Mit 43 in die Ausbildung gestartet
Der Gemündener ist ein Spätberufener. Er hatte nach der Schule eine Ausbildung zum Werbevorlagenhersteller (heute heißt der Beruf Mediengestalter) gemacht und war bis 2019 selbstständig. Mit seiner Frau betrieb er eine Grafikagentur, die vor allem für Messestände und Museen Tafeln druckte. Habe er früher mit Flexibilität punkten können, hätten ihm Großdruckereien mit größeren Druckern und billigen Preisen zunehmend Konkurrenz gemacht, erzählt er. Als sein Plotter, ein spezieller Großformatdrucker, nach einer erst für 5000 Euro behobenen Störung erneut einen Fehler hatte, der ihn weitere 3000 Euro gekostet hätte, warf er hin. "Von einem auf den anderen Moment habe ich meinen Kunden gesagt: Ich höre auf."
Er überlegte, was er stattdessen machen könnte. Während seine Frau wieder als Floristin begann, spielte er mit dem Gedanken, mit 43 Jahren noch einmal eine Ausbildung anzufangen. Neben der Altenpflege schwebten ihm dabei die Berufe Schreiner und Gärtner vor. Auch weil er als Selbstständiger keine Umschulung bezahlt bekommen hätte, wie er sagt, und allein vom Ausbildungsgehalt leben musste, entschied er sich für die Altenpflege. Denn dort habe er in der Ausbildung mit Abstand am meisten bekommen.
Ganz wie die Jungfrau zum Kinde kam er zum Beruf Altenpfleger aber nicht. Nach der Realschule hatte er in den 90ern ein Jahr lang den Sozialen Zweig der Fachoberschule in Marktheidenfeld besucht. Dabei machte er für ein halbes Jahr im wöchentlichen Wechsel mit Unterricht ein Praktikum in einem Altenheim. Die Tätigkeit habe ihm auch gut gefallen, aber er habe sich dann doch entschieden, den Betrieb des Vaters weiterzuführen und die Ausbildung im Grafikbereich zu machen. Als er nun wieder mit dem Beruf Altenpfleger liebäugelte, habe er sich für das Karlstadter Seniorenheim als Arbeitgeber entschieden, weil er dieses bei einem Auftrag als Selbstständiger kennengelernt und es ihm zugesagt hatte.
Vom Schreibtisch in einen praktischen Job
Bei seiner Grafikagentur sei er vor allem zu Hause vor dem Rechner gesessen. "Jetzt bin ich mitten im Leben", sagt er. "Ich wollte mal was mit Menschen machen." Er bereue den Schritt in die Altenpflege überhaupt nicht. Jetzt gehört es etwa zu seinen Aufgaben, alte Menschen zu waschen, ihnen Medikamente zu geben, Insulin zu spritzen, Bewohnerinnen und Bewohnern in den Rollstuhl zu helfen, Betten zu machen und sie beim Toilettengang zu begleiten. Auch Gespräche mit den alten Menschen gehören dazu. "Es geht ja nicht nur darum, dass die Leute satt und sauber sind." Wobei ihm für ausführliche Unterhaltungen oder zum Auspacken der Gitarre in der Regel die Zeit fehle, bedauert er. Er würde sich einen besseren Personalschlüssel und weniger Zeitdruck wünschen. Auf seinem Wohnbereich kümmerten sich 15 Kolleginnen und Kollegen um 32 Bewohnerinnen und Bewohner.
Dieter Reichert, seit dem 1. Mai Geschäftsführer der Otto-und-Anna-Herold-Altersheim-Stiftung in Karlstadt, weiß zu berichten, dass derzeit Verhandlungen laufen zwischen den Krankenkassen und Altenheimträgern, bei denen es um den Personalschlüssel geht. Der sei derzeit "recht knackig" und hänge vom Pflegegrad der Bewohner ab. Bei der Anzahl der Pflegenden pro Bewohner liege Bayern bundesweit im hinteren Mittelfeld. Sollte es eine Verbesserung geben, also pro Wohnbereich mehr Personal bezahlt, würde sich aber die Frage stellen, wo man mehr Personal herzaubern solle, im Land herrscht schließlich Pflegenotstand.
Denn auch jetzt schon ist es laut Reichert so, dass das Heim nicht voll belegt ist, weil Fachpersonal fehlt. "Es gibt eine Warteliste." Ein großes Problem seien die geburtenschwachen Jahrgänge, durch die Nachwuchs fehle. An der Bezahlung könne es inzwischen nicht mehr liegen, die habe sich in den letzten Jahren im Vergleich zu anderen Berufen überproportional entwickelt. Was er von Pflegepersonal immer wieder höre, ist, dass es an dauerhafter Wertschätzung fehle, ein einmaliger Dank für die Arbeit in der Coronapandemie reiche halt nicht.
Pflegefachkraft: Ausbildung ist nun neu strukturiert
Der 46-jährige Ambrosius ist einer der Letzten, die noch die Ausbildung zur Altenpflegerin oder zum Altenpfleger gemacht haben. Der Jahrgang nach ihm lernt schon den Beruf des Pflegefachmanns/der Pflegefachfrau, der die Ausbildungen zum Gesundheits- und Krankenpfleger, zum Altenpfleger und zum Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger bündelt und ersetzt. Mit 16 weiteren Frauen und Männern hat der Gemündener die Pflegefachschule besucht. Alle hätten bestanden. "Es haben alle gesagt, dass es sich gelohnt hat, durchzuhalten." Mit einem Notenschnitt von 1,2 wurde er Schulbester, was der bescheidene Mann nicht selbst kundtut. Der Älteste war er dabei nicht. Eine Kollegin, die gerade ebenfalls fertig geworden ist, sei noch zehn Jahre älter.
Das Fahrrad, mit dem er täglich die rund 14 Kilometer von Gemünden nach Karlstadt fährt, ist für Jörg Ambrosius das Mittel, den Kopf nach der Arbeit wieder freizubekommen. Inzwischen spricht er von einem "Glücksfall", dass sein Rechner den Geist aufgab und er die Ausbildung begann, denn während Corona habe es kaum Messen gegeben und Museen hätten auch kein Geld ausgegeben. Den September hat er sich freigenommen, um seine Grafikagentur endlich ganz abzuwickeln und sich für etwas Urlaub aufs Rad schwingen zu können. Ab Oktober fängt er dann als examinierter Altenpfleger in der Heroldstiftung an.