Sehr geehrter Herr Freier, ich muss gestehen, Ihr Name war mir bisher kein Begriff, obwohl Ihre Firma s.Oliver gleich bei uns um die Ecke, in Rottendorf, sitzt. Und obwohl ich zwei, drei Anzüge aus Ihrem Hause im Schrank habe. Aber ich habe mich nie gefragt, wem der Laden eigentlich gehört.
Nun haben Sie, Herr Freier, dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" gerade ein Interview gegeben, das recht knackig angekündigt war: "Freier liebt deftige Ausdrücke, gibt aber kaum Interviews und lässt sich selten fotografieren." Mein Interesse war geweckt.
Ihre Hauptthese, grob verkürzt wiedergegeben: Der Jugend von heute geht es zu gut. Um Sie zu zitieren: "Der Papa zahlt die Miete, und es wird viel zu viel vererbt." Oder, etwas ausführlicher: "In einer gesättigten Gesellschaft wie unserer fehlt es häufig an Biss. Die 20- bis 30-Jährigen sind besser ausgebildet als jede Generation vor ihr, und sie sind mit einer Selbstverständlichkeit international unterwegs, an die Menschen meines Alters sich erst gewöhnen müssen. Aber sind sie auch ehrgeizig genug? Was ist ihre Motivation?"
Ich bin skeptisch, was Pauschalurteile anbelangt, aber ein bisschen muss ich - zu meinem eigenen Erschrecken - Ihrer These zustimmen, Herr Freier: Heute ist vieles so komfortabel, so leicht zu bekommen, dass viele junge Menschen sich nach meinem Eindruck kaum mehr Gedanken darüber machen, dass nicht alles selbstverständlich ist, was uns zur Verfügung steht. So können sich viele ein Leben ohne die Annehmlichkeiten des Internet überhaupt nicht mehr vorstellen.
Schon Sokrates beschwerte sich über mangelnden Ehrgeiz der Jugend
Andererseits klingen derlei Beobachtungen dann doch verdächtig wie die Klagen der Alten über die Jungen, wie man sie seit Jahrtausenden kennt. Etwa beim griechischen Philosophen Sokrates. Ob das folgende Zitat tatsächlich von ihm stammt, ist nicht gesichert, es gibt aber gut den Tenor vieler antiker Quellen wieder: "Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten soll."
Sie, Herr Freier, haben in Ihrer Firma offenbar ähnliche Erfahrungen gemacht. Sie hätten, so sagen Sie im Interview, das Gefühl, dass manche Ihrer Mitarbeiter bereits ihre eigene Vier-Tage-Woche einführt haben: "Sie verbringen den halben Freitag damit, ihr Wochenende zu planen. Den halben Montag lang erzählen sie dann, was sie alles erlebt haben."
Schwatzen, wenn man arbeiten soll, würde Sokrates sagen. Ganz und gar nicht Ihre Art, auch nicht mit 76 Jahren: "Ich finde Arbeit geil. Urlaub kann ich noch machen, wenn ich nicht mehr auf diesem Planeten bin." Ein etwas eigenwilliges Konzept von Work-Life-Balance, würde ich sagen. Eher Work-Death-Balance, wenn das Wortspiel erlaubt ist.
Wenn man Ihrer Logik folgt, hatten Sie es in Sachen Motivation besonders leicht: Sie wurden 1946 in eine schwierige Zeit hineingeboren und mussten sehr früh schon sehr hart arbeiten. Im Interview beschreiben Sie das eindrucksvoll: "Ich bin in einem Bunker ohne Fenster aufgewachsen, zehn Personen, eine Toilette, keine Badewanne, keine Heizung. Da ist das größte Bestreben, dass du aus dieser Kacke rauskommst. Als ich sechs war, musste ich mit meiner Schwester Zeitungen austragen. Jeden Tag um halb drei wurden wir geweckt."
Sie haben es geschafft: Sie haben schließlich ihre eigene Firma gegründet und geben heute 7000 Menschen Arbeit. Da kann man sich schonmal wundern über die Generation Z, der Freizeit wichtiger ist als Karriere. "Vermutlich halten sie mich für verrückt, weil ich so viel arbeite", sagen Sie über die jungen Leute in Ihrer Firma, die Sie ansonsten "wirklich großartig" finden.
Ich selbst, das gebe ich zu, finde es auch eher schwierig, mich aus dem Kreislauf aus Arbeit und dafür erhoffter Anerkennung auszuklinken. Trotzdem fände ich es wunderbar, würden wir als Gesellschaft lernen, uns nicht mehr allein über beruflichen oder geschäftlichen Erfolg und Wachstum um jeden Preis zu definieren. Das käme im übrigen auch der Rettung unserer natürlicher Ressourcen und unseres Klimas zugute.
Die jungen Leute, deren mangelnden Biss Sie kritisieren, haben vielleicht erkannt, dass sich ein sinnvoll gelebtes, ein erfülltes Leben nicht nach materiellem Fortschritt bemisst, sondern nach einer inneren Zufriedenheit, die auch etwas zu tun hat mit sich Zufriedengeben. Sie, Herr Freier, sind laut "Spiegel" für Ihre Rastlosigkeit bekannt. Wenn Sie mal Urlaub auf Mallorca machen, so berichten Sie, geht Ihre Familie an den Strand, Sie aber fahren nach Palma und schauen sich die Geschäfte der Mitbewerber an. Nach innerer Zufriedenheit klingt das nicht gerade.
Mit möglichst unehrgeizigen Grüßen,
Mathias Wiedemann, Redakteur
Hinweis: Ein Leser hat darauf hingewiesen, dass das Sokrates-Zitat nicht belegt ist. Wir haben die Stelle entsprechend geändert.
nicht weiß, wer s. oliver und freier ist, hat keinerlei berechtigung zu irgendwas.
Ich hatte vor kurzem das Vergnügen mich mit einem mitgenommenen Anhalter zu unterhalten. Selten wurden meine eigenen Vorurteile auf so erschreckende Art bestätigt. Der junge Mann wirft der Welt vor was er selbst gar nicht leisten möchte. Und Arbeit im klassischen Sinne sei ihm ohnehin zu anstrengend … darauf kann eine Gesellschaft nicht mit noch mehr Sozialleistungen antworten!
Die Herkunft des vom Redakteur aufgenommenen Begriffs „Work-Life-Balance“ liegt in den USA. Es geht dabei vornehmlich darum ein Keben führen zu können. Denn in dem Land sind Menschen die nur mit zwei oder drei Jobs über die Runden kommen keine Seltenheit. Nicht gemeint ist dagegen zwei, drei Tage arbeiten und den Rest dem Dolce-Vita fröhnen.
Die Kulturkommentare sind nicht schlecht von Ihnen, aber das jetzt...
unwürdig!
Wieso nicht? Es soll Menschen geben die gerne arbeiten, denen die Arbeit sogar Spaß macht. Habe ich zumindest gehört und war auch bei mir so.
Aber Spaß? Ich würde mal behaupten so wirklich Spaß haben viele eher nicht.
Nicht ohne Grund wollen die Meisten dann so früh wie möglich in Rente, freuen sich auf den Urlaub oder sind auch einer 4Tage Woche gegenüber aufgeschlossen. Arbeit ist Beschäftigung - und das ist oft ganz gut so. Aber oft bzw. meistens kein Spaß.
Sokrates war Soldat des Athener Seebundes! Was folgte, war der vorübergehente Untergang der attischen Demokratie nach der Niederlage gegen das nicht ganz so verweichlichte Sparta.
Man könnte also meinen, dass das Zitat eher die Sichtweise Freiers stützt.
Lustigerweise wurde Sokrates uA wegen seines schlechten Einflusses auf die Jugend hingerichtet.
Die sollen erstmal 45 Jahre arbeiten!