Monika Lenzen ist 43 Jahre alt und macht derzeit im Pfründnerspital eine Ausbildung zur Pflegefachfrau. Schon diese Tatsache ist ungewöhnlich, doch noch ungewöhnlicher ist, dass sie die Ausbildung zeitgleich mit ihrer 18-jährigen Tochter Eileen Wellfonder macht. Für die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses ist Lenzen keine Unbekannte, denn sie arbeitet bereits seit über 20 Jahren als Pflegehilfskraft in der Arnsteiner Einrichtung. Jetzt den nächsten Schritt zu gehen, dazu hat sie Leiterin Sanela Jonjic motiviert.
"Ich habe schon überlegt: Oh Gott, schaffe ich das, bin ich da die Älteste? Und der ganze Lernstoff – ob ich das noch verinnerlichen kann?", teilt sie ihre anfänglichen Sorgen. "Aber ich muss sagen, es geht." Ihr Alter sieht Lenzen als Vorteil: Sie könne sich ganz auf die Ausbildung konzentrieren und sei viel ehrgeiziger als in der Jugend. Jonjic ist sich sicher: "Die Zukunft der Pflege liegt zunehmend auch in den Händen von älterem Pflegepersonal."
Im Pfründnerspital sind lediglich drei Mitarbeitende unter 40 Jahre alt
Deshalb setze sie – auch mit Blick auf den Fachkräftemangel – auf sogenannte Middle-Ager. Das sind Personen zwischen 40 und 60 Jahren, die wieder in die Pflege zurückkehren, quer in den Beruf einsteigen oder aus dem Ausland nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten. Im Pfründnerspital seien von 64 Mitarbeitenden gerade einmal drei jünger als 40 Jahre. Es fehle am Nachwuchs, deshalb muss Jonjic sich umorientieren. Junge Pflegekräfte ziehe es in die Krankenhäuser, sagt die Leiterin des Seniorenheimes. Nicht so Eileen Wellfonder. Die 18-Jährige hat ihre Mutter bereits als Kind ins Pfründnerspital begleitet und deshalb eine andere Beziehung zu einem Altenheim als viele Gleichaltrige.
"Ich hab gesehen, wie die Leute hier gepflegt werden und im Krankenhaus ist die Pflege nicht so intensiv", sagt Wellfonder, die bereits ein Praktikum im Krankenhaus absolviert und dort sogar eine Ausbildung begonnen hatte. Sie führt dies an einem Beispiel aus: Im Krankenhaus werde das Essen einfach ausgeteilt. Das Personal würde nicht kontrollieren, ob Patientinnen oder Patienten dieses tatsächlich zu sich nehmen. Nicht so im Altenheim. Dass sie nun mit ihrer Mutter die Ausbildung absolviert, findet sie "nicht schlecht". Obwohl sie zunächst befürchtete, dass es einen "kleinen Konkurrenzkampf" zwischen ihnen geben könnte.
Doch Mutter und Tochter geben Entwarnung: "Wir unterstützen uns gegenseitig und sitzen auch nebeneinander in der Schule." Wenn Eileen im Unterricht mal nicht mitkomme, dann höre Monika immer den Satz: "Mama, lass mal gucken." In der Pflegeschule hätten sie ihre Verbindung zunächst geheim gehalten. "Wir wollten nicht als was Besonderes bezeichnet oder behandelt werden", erklärt Monika Lenzen, "dann ist es nach einigen Wochen aber doch herausgekommen." Die Reaktionen seien durchweg positiv gewesen: "Alle waren total begeistert und haben gemeint, dass sie noch nie Mutter und Tochter in einer Klasse hatten."
"Der Pflegeberuf ließ mich nie wirklich los"
Klaus Nicholson ist schon einen Schritt weiter als das Mutter-Tochter-Duo. Nachdem der 42-Jährige bereits in seiner Jugend im Pfründnerspital gearbeitet hat, um dann eine Ausbildung im Krankenhaus anzufangen und abzubrechen, ist er nun seit einem Jahr gelernte Pflegefachkraft. Dazwischen habe er gejobbt. "Aber der Pflegeberuf ließ mich nie wirklich los. Ich habe mich immer mit Wehmut an diese Zeit zurückerinnert", erklärt er seinen Wiedereinstieg. Während er sich mit 19 Jahren nicht bereit für eine Ausbildung fühlte und persönliche Schicksalsschläge dazu führten, dass er die Krankenhauslehre nicht beendete, ist er heute laut eigener Aussage fokussierter.
"Ich habe den Eindruck, durch mein Alter weiß ich genau, was ich möchte und habe mein Ziel besser im Blick. In der Jugend konnte ich mich nicht so richtig entscheiden, was ich beruflich machen möchte, da fand ich viele Dinge interessant." Und er ergänzt: "Jetzt habe ich sie ausprobiert und weiß, was mir gefällt." In Arnstein möchte er bis zur Rente bleiben, dementsprechend engagiert ist Nicholson. Erst kürzlich wurde er in den Personalrat gewählt und berichtet stolz, "da bin ich stellvertretender Vorsitzender und Schriftführer". Dass er sich nach der Ausbildung auch beruflich weiterbilden möchte, stand für ihn außer Frage. Als Praxisanleiter gibt er deshalb seine Erfahrungen an andere Auszubildende weiter.
Für Jonjic sind Middle-Ager nicht nur aufgrund ihres Engagements, Erfahrungswissens und Pflichtbewusstseins unerlässlich, sondern "sie setzen andere Prioritäten im Pflegealltag, als junge Leute". Beispielsweise spiele die Vereinbarkeit von Familie und Beruf keine Rolle mehr, da die Familienplanung abgeschlossen sei. Wiedereinsteiger würden sich laut der Einrichtungsleiterin mit dem Pflegeberuf auch stärker identifizieren. Für viele sei die Rückkehr in die Pflege ein Herzenswunsch, daneben begegne ihr aber auch oft die Aussage, "wenn wir jetzt nicht anfangen, wer soll das sonst machen?".
Ohne Middle-Ager und internationale Pflegekräfte werde Pflege nicht funktionieren
Eine weitere Middle-Agerin ist Natasa Savic, die für ihren Beruf mit Anfang 50 sogar von Serbien nach Deutschland gezogen ist. Eine Entscheidung, die sie bewusst getroffen hat. "Seitdem ich hier bin, bin ich glücklich", sagt sie – auch wenn es ihr schwerfalle, von ihrer Familie getrennt zu sein. Doch ihre Kinder seien bereits erwachsen und hätten ihr eigenes Leben. "In Deutschland kannst du alles schaffen, wenn du nur willst – und ich will. Die Standards, die ich hier gefunden habe, haben wir in Serbien nicht. Die Chancen, die ich hier bekommen habe, habe ich meinem Heimatland nicht." In nur zehn Monaten war Savic ausgebildete Pflegefachkraft, mittlerweile ist sie stellvertretende Wohnbereichsleiterin und sieht ihre Zukunft in Deutschland.
Um sowohl junge Pflegekräfte, als auch internationale Fachkräfte und Middle-Ager zu gewinnen, hat sich Sanela Jonjic, die Leiterin des Pfründnerspitals, über mehrere Jahre ein Netzwerk aufgebaut. Auch während des Gespräches mit dieser Redaktion meldet sich ein Diakon und teilt mit, dass eine Frau gerne in den Pflegeberuf zurückkehren würde. Für Jonjic ist klar: Sie gibt ihr eine Chance.
Zwar betont sie, dass es auch junge Pflegekräfte brauche, doch ohne Middle-Ager und internationales Personal werde das System nicht funktionieren. Mit ihnen würden sich die Lücken schließen, sagt die gebürtige Österreicherin, die selbst nach zwölf Jahren wieder in ihren Beruf zurückgekehrt ist. Sie ist der Meinung, "dass jeder einen neuen Anfang machen kann, wenn der Wille und das Engagement vorhanden sind. Man muss sich nur trauen, den ersten Schritt zu tun." Jonjic's Aufgabe sei dann herauszufinden, welche Kompetenzen und Fähigkeiten eine Person besitzt, und diese gezielt zu fördern. Das Alter spiele dabei keine Rolle.