Mitarbeiter gesucht. Wir brauchen Verstärkung. Job zu vergeben. Solche und ähnliche Aufrufe liest, sieht und findet man derzeit überall, auch in Unterfranken. Arbeitskräfte fehlen, in der Pflege und in Handwerksbetrieben, in Kitas und Kindergärten. Und ganz akut in der Gastronomie und im Tourismus. Nach einer neuen Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) können im Raum Würzburg in dieser Branche aktuell 83,6 Prozent der offenen Stellen nicht mit passend Qualifizierten besetzt werden - das ist bundesweiter Rekord. Woran liegt das? Und vor allem: Wo sind all die Leute hin?
Beispiel Hotel "Ritter Jörg" in Sommerhausen (Lkr. Würzburg). Inhaber Lukas Strohofer sucht dringend Personal und das schon "sehr lange". Mit dem ersten Corona-Lockdown habe sich das Personal "neu strukturiert – seitdem suchen wir durchgehend", sagt Strohofer. 20 Mitarbeiter beschäftigt er in Hotel und Restaurant, drei Stellen seien aktuell offen. Und das mache sich bemerkbar. "Wenn in einem kleinen Haus ein oder zwei Mitarbeiter fehlen, hat das einen größeren Effekt als in einem Riesenhotel."
Im Raum Würzburg ist es bundesweit am schwersten, offene Gastro-Stellen zu besetzen
Die Öffnungszeiten habe er zwar "glücklicherweise noch nicht anpassen müssen". Teilweise hätten jedoch Zimmer nicht belegt werden können – schlicht, weil das Personal für den Betrieb fehlte. Konkret braucht Strohhofer eine Köchin oder einen Koch, Verstärkung für den Empfang und eine Reinigungskraft. "Wir suchen auf allen Kanälen, sowohl online als auch analog, mit Schildern an der Hauswand." Bislang jedoch ohne Erfolg.
Tatsächlich ist der "Ritter Jörg" kein Einzelfall, bei Weitem nicht. Die Auswertung des IW zeigt: Allein im Arbeitsagenturbezirk Würzburg, der Stadt und Landkreis Würzburg sowie die Landkreise Kitzingen und Main-Spessart umfasst, können 83,6 Prozent der offenen Stellen in der Gastronomie nicht besetzt werden. Zum Vergleich: Im Arbeitsagenturbezirk Schweinfurt liegt der Wert laut IW bei 74,7 Prozent und im Raum Aschaffenburg bei 49 Prozent – in Fürth sogar nur bei 35,9 Prozent und in Nürnberg bei 54,6.
Allerdings umfassten diese Zahlen nur Stellen für Qualifizierte und nur für die Gastronomie und den Tourismus, erklärt IW-Fachkräfteexpertin Paula Risius. Über alle Branchen hinweg fänden sich im Raum Würzburg für etwa 72 Prozent aller offenen Stellen keine passenden Fachkräfte. Auch das sei "relativ viel", so Risius. Dabei fehle nicht nur in Restaurants und Hotels massiv Personal, sondern etwa auch im Hoch- und Tiefbau (92,5 Prozent) oder in der Kunststoffherstellung und -verarbeitung und der Holzbearbeitung und -verarbeitung (86,5 Prozent).
Wo aber sind all die Arbeitskräfte? Hat die Corona-Pandemie das Land arbeitsmüde gemacht? Oder sind die Menschen schlicht in andere Branchen gewechselt – und wenn ja, in welche?
Die Suche nach Antworten beginnt mit einem Widerspruch. Blicke man rein auf die Beschäftigtenzahlen dann habe es allein zwischen 2013 und 2019 einen Fachkräfteaufbau von 1,9 Millionen Menschen gegeben, sagt Risius. "Das heißt, die Leute sind nirgendwo hin – wir haben nur einen immens gestiegenen Bedarf."
Das sieht man sogar in der Pflege, wo der Fachkräftemangel während der Pandemie immer wieder Schlagzeilen machte. In medizinischen Gesundheitsberufen seien laut Risius zwischen 2013 und 2021 bundesweit 232.000 Personen dazugekommen, alleine in der Corona-Zeit ungefähr 61.000. Klingt gut. Nur: Das reicht offensichtlich nicht.
Arbeitsagentur listet im Juli in Unterfranken 18.522 offene Stellen
Weder in der Pflege, noch in der Gastronomie, noch im Handwerk. So hieß es erst Anfang August in einer Mitteilung der Handwerkskammer für Unterfranken zur Konjunkturlage, der Fachkräftemangel bleibe "über alle Gewerke hinweg ein bestimmendes Thema". Mehr Beschäftigte würden die Betriebe verlassen als neu hinzukommen. Bäckereien oder Metzgereien mussten teilweise aus Personalnot ihre Öffnungszeiten reduzieren. Kaum ein Handwerker, auf dessen Transporter kein Gesuch nach neuen Mitarbeitern prangt.
Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) wurden im Juli 2022 insgesamt 18.522 offene Stellen in Unterfranken gemeldet – und damit etwa ein Viertel mehr als vor einem Jahr. Die meisten offenen Stellen gibt es dabei nach den Statistiken der BA im Dienstleistungsbereich (5.087) sowie im verarbeitenden Gewerbe (2.338) und im Handel (2.278). Im Gesundheits- und Sozialwesen registrierte die Agentur 1.788 offene Stellen und im Gastgewerbe 1.039.
Dabei fehle es sowohl an Fachkräften wie auch an Helfern, sagt Andre Stephan-Park von der Pressestelle der Regionaldirektion Bayern der BA. Wobei die Suche nach Fachkräften "deutlich schwieriger" sei.
Das bestätigt der Sommerhäuser Hotel-Chef Lukas Strohofer. Im "Ritter Jörg" würden die anderen Mitarbeiter derzeit oft mehr als vertraglich vereinbart arbeiten, um alle Aufgaben erledigen zu können. Natürlich nur nach Absprache. Sie seien "damit glücklicherweise einverstanden", sagt Strohofer. Auch er arbeite mehr, springe ein und sitze schon mal selbst am Empfang oder helfe beim Housekeeping. "Sicher ist das schwierig und ärgerlich." Andere Betriebe, so der Hotelchef, steckten jedoch in der gleichen Misere. Nur: Warum?
Generell waren die Lebensmittel- und Gastgewerbeberufe besonders stark von einem Arbeitskräfteverlust während der Pandemie betroffen, sagt Andre Stephan-Park. Und zwar im gesamten Freistaat. So seien Ende Dezember 2019 im Gastgewerbe in Bayern 196.443 Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen – Ende 2021 nur noch 179.612.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wechselten aus dem Gastgewerbe in andere Branchen
Auch bundesweit würden mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Gastgewerbe verlassen als neue Arbeitskräfte hinzukommen, sagt Stephan-Park. "Am häufigsten sind Wechsel aus der Branche in Verkehrs- und Logistikberufe, Handelsberufe und Berufe in Unternehmensführung beziehungsweise -organisation."
Gründe gäbe es dafür mehrere, etwa die langen Schließungen in den Corona-Hochphasen oder der hohe Anteil geringfügig Beschäftigter, die keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld hatten. "Daher war der Corona-Einschnitt in der Branche besonders hoch."
"Die Betriebe hatten in den Lockdowns keine Chance, neue Leute einzustellen – wovon hätten sie die bezahlen sollen", sagt IW-Expertin Paula Risius. Dementsprechend wurden keine Stellen ausgeschrieben. Nicht wenige hätten in dieser Zeit schlicht andere Festanstellungen oder vielleicht für sie passendere Berufe gefunden – und blieben jetzt da.
Bis 2030 gibt es laut Experten fünf Millionen Menschen weniger auf dem Arbeitsmarkt
Wirklich profitiert habe jedoch keine Branche von der Pandemie, einige hätten sich nur schneller erholt, sagt Stephan-Park. So hätten sogar die meisten Branchen Beschäftigte aufbauen können. Weniger Beschäftigte als vor der Krise hätten in Bayern lediglich das verarbeitende Gewerbe, die Finanz- und Versicherungsdienstleister sowie eben das Gastgewerbe. Da ist es wieder, das Paradox – denn es reicht trotzdem nicht.
Jetzt nicht. Und in Zukunft durch den demografischen Wandel vermutlich noch viel weniger. "Wir rechnen bis 2030 damit, dass fünf Millionen Menschen weniger dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen", sagt Risius. Perspektivisch fehlen in manchen Branchen damit noch mehr Menschen. Sicher auch in der Gastronomie und im Tourismus.
Arbeitgeber hatten in enger Zusammenarbeit mit den Behörden alle Rechte. Arbeitssuchende waren gegängelte Bittsteller und wehrlos gegen die daraus erwachsenden Zumutungen. Sogar Lohndrückerei und Verstöße gegen den Arbeitsschutz wurden damals geduldet.
Heute herrscht zunehmend „Waffengleichheit“. Man muss sich auch als „sozialversicherungspflichtiger, gewerblicher Arbeitnehmer“ nicht mehr alles gefallen lassen, ist sozial besser abgesichert und kann auch mal entspannter und gelassener den beruflichen Lebensweg planen.
Man lebt nicht mehr ausschließlich für die Arbeit, sondern kann auch mal ohne Arbeit gut und gerne leben. Gute Firmen werden immer Mitarbeiter finden, schlechte immer schwerer - und das ist gut so.
Das diese Sorte Jobs in Zeiten von Fachkräftemangel keiner mehr haben will, ist nicht verwunderlich. Auswahl gibt es ja im Moment genug.
In den vielen Clubs, und sonstigen Lokalitäten, in die die Menschen gerne zum Feiern hingehen, ist das Service-Personal nur bestenfalls auf Minijob-Basis beschäftigt. Haben die die dafür gültige Grenze überschritten, wurden sie schwarz bezahlt. Das geht da besonders leicht, wenn ein Laden Eintritt verlangt. Der Betreiber kann dann aus dem Eintritt diese Leute bezahlen, denn wer kann Ihm schon nachweisen, wie viele Gäste tatsächlich da waren...
Die Arbeitsbedingungen waren unterirdisch: Da bekam man abends um 20 Uhr einen Anruf, dass man antanzen soll. Ist man nicht gekommen brauchte man erst gar nicht mehr zu kommen. Einen Arbeitsvertrag, Krankenversicherung, oder Urlaub, gab es da nur in ganz wenigen Ausnahmefällen. Mit Corona sind diese Leute plötzlich ohne Geld dagestanden, und haben sich was anderes gesucht. Und was sie da gefunden haben, geben sie zugunsten der Gastronomie sicherlich nie mehr auf!
Den "Quiet Quit gab wohl auch bei uns schon lange unter der Bezeichnung "innere Kündigung". Gemeint ist damit ein Klügerwerden der Arbeitnehmer und der Verzicht darauf sich für lausige Läden und schäbige Chefs ein Bein auszureißen und stattdessen mehr auf eine positive work-life-balance zu achten.
Man muss nicht immer Höchstleistung bringen, sondern kann auch gerne mal einen Gang runterschalten.
Richtig hart und für schlechten Sold müssen heutzutage doch nur noch sehr arme oder sehr naive Leute arbeiten.
Die Beschäftigten im Einzelhandel managen dies seit Jahren. Bin auch für die Verkürzung der Öffnungszeiten, bringt mehr Lebensqualität und entschleunigt.
Aber das vorschreiben zu wollen, ist wieder eine typische Aussage unserer Linken und Grünen, die alles staatlich regulieren wollen.
Das hat kein Grüner und kein Linker vorgeschlagen, sondern ein betroffener Ehemann einer Verkäuferin. Der wird ja mehr mitbekommen als Sie!
Ich habe zumindest mal gelernt, wir hätten eine soziale Marktwirtschaft. In Bayern dürfenmeines Wissens Läden auch grundsätzlich "nur" von 6 bis 20 Uhr geöffnet haben. Und meines Wissens gibt es z.B. ein Feiertagsgesetz.
Ach ja, mir wäre es auch neu, wenn Linke und Grüne für die bayerische Regelung verantwortlich wären ...