In nur zwölf Monaten hat Corona das Leben gründlich verändert. Nicht nur den Alltag des Einzelnen, sondern fast alle Bereiche der Gesellschaft – vor allem das Gesundheitssystem. Virologen und Ärzte standen plötzlich im medialen Rampenlicht, wurden teils sogar Berater der Politik. "Ich denke, es hat geholfen, Verständnis zu schaffen", sagt Dr. Matthias Held. Der Lungenspezialist und Ärztliche Direktor am Klinikum Würzburg Mitte hat den zweiten Lockdown per Tagebuch in der Main-Post begleitet. Wie hat er diese Monate erlebt? Ein Gespräch über kritische Reaktionen, wirklichkeitsferne TV-Serien und bewegende Patienten-Schicksale.
Dr. Matthias Held: Mir geht es insgesamt sehr gut und auch die Stimmung unter den Mitarbeitern ist gut. Wir haben Ende dieser Woche im Klinikum nur noch wenige Covid-19-Patienten und waren am Standort Missioklinik für einige Stunden ohne Corona-Fall. Das ist natürlich ein schöner Augenblick und es zeigt, dass sich die Lage positiv entwickelt. Solche Momente muss man unbedingt bewusst wahrnehmen – im Klinikum wie auch im Leben.
Held: Für mich persönlich war vor allem die Kommunikation in der Krise eine große Herausforderung. Zwischen den einzelnen Klinikbereichen, den Standorten und mit den Mitarbeitern musste enorm viel Austausch stattfinden. Um Verständnis zu schaffen, mussten wir begründen, warum wir Personal verschieben oder OP-Kapazitäten reduzieren. Das Miteinander-Sprechen und Erklären war wichtig.
Held: Mich haben zahlreiche positive Rückmeldungen von Patienten, Lesern und anderen Medizinern erreicht. Ich denke, das Tagebuch hat Informationen transportiert und ich bereue es auf keinen Fall. Mir ging es dabei immer darum, den Krankenhausalltag nicht einseitig darzustellen – deshalb habe ich selbst mehr reflektiert und versucht, verschiedene Schattierungen und Blickwinkel wahrzunehmen.
Held: Am Anfang wurde ich häufig angesprochen, zum Beispiel im Fahrstuhl oder auf dem Gang. Das Echo war aber positiv. Aber irgendwann war es kein Gesprächsthema mehr.
Held: Ich habe eine kritische Stimme gehört, eine negative Reaktion bekommen. Derjenige war der Meinung, das Coronavirus sei nicht so schlimm und es gebe gar keine Bedrohung. Wenn man aber jeden Tag hier im Klinikum die schwer kranken Patienten und die Anstrengungen der Mitarbeiter erlebt hat, dann war so eine Reaktion schon ein Schlag ins Gesicht. So habe ich es zumindest empfunden. Emotional zu reagieren, hätte jedoch nichts gebracht. Mir blieb nichts anderes übrig, als sachlich weiter zu berichten.
Held: Die Fachebene einzubeziehen ist wichtig, um Entscheidungen fundiert treffen zu können. Zugleich hat Fachlichkeit viele Facetten. Sicher ist nicht jeder qualifiziert, zu allem zu beraten.
Held: Ich denke, es hat geholfen, Verständnis zu schaffen – etwa dafür, warum Beschränkungen notwendig waren. Krankenhäuser haben Kapazitätsgrenzen. Und man kann bei allem guten Willen und bei allem Bestreben, als Behandler für die Menschen da zu sein, nicht über seine Verhältnisse leben. Die Versorgung in der Pandemie war und ist nicht nur eine Frage von leer stehenden Zimmern, Betten und Beatmungsmaschinen. Am Ende ist das Personal der limitierende Faktor und die Arbeit in der Pflege ist schwer. Ich habe den Eindruck, dass sich das viele Menschen kaum vorstellen können. Natürlich kennen sie Bilder aus bunten TV-Serien – das ist aber nicht unsere Wirklichkeit. Ich werde oft gefragt, was ich denn mache, wenn ich nicht Chirurg bin, wenn ich nicht operiere. Das kann man nur verstehen, wenn davon berichtet wird.
Held: Aus meiner Sicht gibt es immer zwei Möglichkeiten zu kommunizieren. Beispiel Impfstoffe und der Mangel an Nachschub: Hier kann man in den Blick nehmen, dass Dosen fehlen und viele Bürger ungeduldig warten. Man kann aber auch in den Vordergrund stellen, dass es unglaublich ist, nach nur einem Jahr bereits Corona-Impfstoffe zu haben. Das betrifft nicht nur die Medien, sondern alle Menschen – man kann Sachverhalte immer so oder so kommunizieren. Ich denke, es ist entscheidend, dass wir uns um Ausgewogenheit bemühen, gerade wenn wir als Ärzte an die Öffentlichkeit gehen. Denn Polarisieren ist leicht – aber es hilft nicht.
Held: Man braucht Hoffnung, man muss optimistisch nach vorne schauen. Wenn es jetzt um Lockdown-Lockerungen geht, sage ich auch: Vorsicht und lieber schrittweise. Aber nur vor einer dritten Welle zu warnen und im Stillstand zu verharren, das wäre falsch. Wir haben die Krise bisher gut gemeistert.
Held: Die zweite Welle war aus meiner Sicht insgesamt herausfordernder: Die Mitarbeiter sind seit Monaten angestrengt und auch die gesellschaftlichen Einschränkungen dauern dieses Mal länger. Das setzt allen zu. Zudem kamen deutlich mehr Corona-Patienten auf die Intensivstation. Aber: Wir waren auf die zweite Welle besser vorbereitet, weil wir bereits im Frühjahr stark gefordert wurden – etwa durch die zahlreichen Ausbrüche in Seniorenheimen. Schon damals konnten wir viele Abläufe in der Klinik anpassen.
Held: Wir hatten zwei langzeitbeatmete Covid-Patienten, bei denen wir im Dezember davon ausgehen mussten, dass sie ihre Erkrankung nicht überleben. Ende Januar haben sie die Intensivstation verlassen. Wenn man dann die Angehörigen am Bett sieht, die nach langer Zeit ihren geliebten Menschen wieder umarmen können – das ist großartig.
Held: Zwischen Weihnachten und Silvester war die Dynamik tatsächlich enorm. Ich machte mir große Sorgen, wie das in der ersten Januarwoche weitergehen sollte. Das war kurz vor dem Impfstart und wir hatten mehr erkrankte Mitarbeiter. Da war die Anspannung auch bei mir sehr hoch. Freizeit gab es in der Zeit für mich kaum, es verging kein Tag, an dem ich nicht im Klinikum war. Gott sei Dank ging es dann – wir haben es hingekriegt.
Held: Wir können dem Virus im Moment die Stirn bieten. Ich glaube, wenn wir es schaffen, flächendeckend zu impfen haben wir eine gute Chance, es irgendwann im Griff zu haben.
Priv.-Doz. Dr. Matthias Held ist seit Oktober 2020 Ärztlicher Direktor des Klinikums Würzburg Mitte und dort für die Betreuung der Covid-Patienten zuständig. Er wurde 1970 in Kassel geboren und absolvierte sein Medizinstudium und die Ausbildung in Würzburg. Der Schwerpunkt des 50-Jährigen liegt auf der Pneumologie, der Lungenheilkunde. An der Missioklinik hat er das Lungenhochdruckzentrum aufgebaut, seit 2018 ist er Chefarzt der Medizinischen Klinik. Per Tagebuch hat er während des zweiten Lockdowns in der Main-Post und auf www.mainpost.de/corona-tagebuch regelmäßig Einblicke in den Klinikalltag gegeben.