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Würzburg
Dr. Held und das Corona-Tagebuch: Warum Polarisieren nicht hilft
Vier Lockdown-Monate lang hat Dr. Matthias Held vom Kampf gegen Covid-19 im Klinikum Würzburg Mitte berichtet. Was hat ihn bewegt? Gab es Kritik? Und ist das Virus heute besiegt?
'Es ist entscheidend, dass wir uns um Ausgewogenheit bemühen, gerade wenn wir als Ärzte an die Öffentlichkeit gehen', sagt Dr. Matthias Held, Ärztlicher Direktor am Klinikum Würzburg Mitte.
Foto: Thomas Obermeier | "Es ist entscheidend, dass wir uns um Ausgewogenheit bemühen, gerade wenn wir als Ärzte an die Öffentlichkeit gehen", sagt Dr. Matthias Held, Ärztlicher Direktor am Klinikum Würzburg Mitte.
Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:35 Uhr

In nur zwölf Monaten hat Corona das Leben gründlich verändert. Nicht nur den Alltag des Einzelnen, sondern fast alle Bereiche der Gesellschaft – vor allem das Gesundheitssystem. Virologen und Ärzte standen plötzlich im medialen Rampenlicht, wurden teils sogar Berater der Politik. "Ich denke, es hat geholfen, Verständnis zu schaffen", sagt Dr. Matthias Held. Der Lungenspezialist und Ärztliche Direktor am Klinikum Würzburg Mitte hat den zweiten Lockdown per Tagebuch in der Main-Post begleitet. Wie hat er diese Monate erlebt? Ein Gespräch über kritische Reaktionen, wirklichkeitsferne TV-Serien und bewegende Patienten-Schicksale.

Frage: Nach einem Jahr Kampf gegen das Coronavirus und zwei Lockdowns – wie geht es Ihnen und Ihren Mitarbeitern? Wie ist die Stimmung im Klinikum?

Dr. Matthias Held: Mir geht es insgesamt sehr gut und auch die Stimmung unter den Mitarbeitern ist gut. Wir haben Ende dieser Woche im Klinikum nur noch wenige Covid-19-Patienten und waren am Standort Missioklinik für einige Stunden ohne Corona-Fall. Das ist natürlich ein schöner Augenblick und es zeigt, dass sich die Lage positiv entwickelt. Solche Momente muss man unbedingt bewusst wahrnehmen – im Klinikum wie auch im Leben.

Schöne Momente im Pandemie-Jahr waren eher selten, es dominierte die Angst vor dem Virus, die Beschränkungen, die Unsicherheit. Was war für Sie die größte Herausforderung?

Held: Für mich persönlich war vor allem die Kommunikation in der Krise eine große Herausforderung. Zwischen den einzelnen Klinikbereichen, den Standorten und mit den Mitarbeitern musste enorm viel Austausch stattfinden. Um Verständnis zu schaffen, mussten wir begründen, warum wir Personal verschieben oder OP-Kapazitäten reduzieren. Das Miteinander-Sprechen und Erklären war wichtig.

Sie haben nicht nur intern, sondern quasi auch nach außen erklärt und den Klinikalltag medial per Tagebuch in der Main-Post begleitet. Wie haben Sie das wahrgenommen – bereuen Sie es?

Held: Mich haben zahlreiche positive Rückmeldungen von Patienten, Lesern und anderen Medizinern erreicht. Ich denke, das Tagebuch hat Informationen transportiert und ich bereue es auf keinen Fall. Mir ging es dabei immer darum, den Krankenhausalltag nicht einseitig darzustellen – deshalb habe ich selbst mehr reflektiert und versucht, verschiedene Schattierungen und Blickwinkel wahrzunehmen.

Wie haben Kollegen und Mitarbeiter reagiert?

Held: Am Anfang wurde ich häufig angesprochen, zum Beispiel im Fahrstuhl oder auf dem Gang. Das Echo war aber positiv. Aber irgendwann war es kein Gesprächsthema mehr.

Per Tagebuch hat Dr. Matthias Held monatelang Einblick in den Alltag im Klinikum Würzburg Mitte gegeben. Die Reaktionen der Mitarbeiter seien positiv gewesen, sagt er.
Foto: Daniel Peter | Per Tagebuch hat Dr. Matthias Held monatelang Einblick in den Alltag im Klinikum Würzburg Mitte gegeben. Die Reaktionen der Mitarbeiter seien positiv gewesen, sagt er.
Bundesweit sind durch Corona einige Mediziner und Wissenschaftler in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Manche haben damit schlechte Erfahrungen gemacht, wurden angefeindet. Gab es das bei Ihnen auch?

Held: Ich habe eine kritische Stimme gehört, eine negative Reaktion bekommen. Derjenige war der Meinung, das Coronavirus sei nicht so schlimm und es gebe gar keine Bedrohung. Wenn man aber jeden Tag hier im Klinikum die schwer kranken Patienten und die Anstrengungen der Mitarbeiter erlebt hat, dann war so eine Reaktion schon ein Schlag ins Gesicht. So habe ich es zumindest empfunden. Emotional zu reagieren, hätte jedoch nichts gebracht. Mir blieb nichts anderes übrig, als sachlich weiter zu berichten.

Wie beurteilen Sie denn generell, dass Mediziner und Virologen in der Pandemie teils zu Beratern der Politik wurden?

Held: Die Fachebene einzubeziehen ist wichtig, um Entscheidungen fundiert treffen zu können. Zugleich hat Fachlichkeit viele Facetten. Sicher ist nicht jeder qualifiziert, zu allem zu beraten.

Sie selbst haben im Tagebuch Einblick in den medizinischen und pflegerischen Alltag im Klinikum Würzburg Mitte gegeben. Warum?

Held: Ich denke, es hat geholfen, Verständnis zu schaffen – etwa dafür, warum Beschränkungen notwendig waren. Krankenhäuser haben Kapazitätsgrenzen. Und man kann bei allem guten Willen und bei allem Bestreben, als Behandler für die Menschen da zu sein, nicht über seine Verhältnisse leben. Die Versorgung in der Pandemie war und ist nicht nur eine Frage von leer stehenden Zimmern, Betten und Beatmungsmaschinen. Am Ende ist das Personal der limitierende Faktor und die Arbeit in der Pflege ist schwer. Ich habe den Eindruck, dass sich das viele Menschen kaum vorstellen können. Natürlich kennen sie Bilder aus bunten TV-Serien – das ist aber nicht unsere Wirklichkeit. Ich werde oft gefragt, was ich denn mache, wenn ich nicht Chirurg bin, wenn ich nicht operiere. Das kann man nur verstehen, wenn davon berichtet wird.

Tatsächlich wurde die Berichterstattung der Medien in der Krise kontrovers diskutiert, oft kritisiert. Zurecht?

Held: Aus meiner Sicht gibt es immer zwei Möglichkeiten zu kommunizieren. Beispiel Impfstoffe und der Mangel an Nachschub: Hier kann man in den Blick nehmen, dass Dosen fehlen und viele Bürger ungeduldig warten. Man kann aber auch in den Vordergrund stellen, dass es unglaublich ist, nach nur einem Jahr bereits Corona-Impfstoffe zu haben. Das betrifft nicht nur die Medien, sondern alle Menschen – man kann Sachverhalte immer so oder so kommunizieren. Ich denke, es ist entscheidend, dass wir uns um Ausgewogenheit bemühen, gerade wenn wir als Ärzte an die Öffentlichkeit gehen. Denn Polarisieren ist leicht – aber es hilft nicht.

'Wir können dem Virus im Moment die Stirn bieten', sagt Dr. Matthias Held nach rund einem Jahr Pandemie in Unterfranken.
Foto: Daniel Peter | "Wir können dem Virus im Moment die Stirn bieten", sagt Dr. Matthias Held nach rund einem Jahr Pandemie in Unterfranken.
Weniger Polarisieren also – und auch weniger Negativismus?

Held: Man braucht Hoffnung, man muss optimistisch nach vorne schauen. Wenn es jetzt um Lockdown-Lockerungen geht, sage ich auch: Vorsicht und lieber schrittweise. Aber nur vor einer dritten Welle zu warnen und im Stillstand zu verharren, das wäre falsch. Wir haben die Krise bisher gut gemeistert.

Gut oder haben Sie im Klinikum die zweite Welle besser gemeistert als die erste?

Held: Die zweite Welle war aus meiner Sicht insgesamt herausfordernder: Die Mitarbeiter sind seit Monaten angestrengt und auch die gesellschaftlichen Einschränkungen dauern dieses Mal länger. Das setzt allen zu. Zudem kamen deutlich mehr Corona-Patienten auf die Intensivstation. Aber: Wir waren auf die zweite Welle besser vorbereitet, weil wir bereits im Frühjahr stark gefordert wurden – etwa durch die zahlreichen Ausbrüche in Seniorenheimen. Schon damals konnten wir viele Abläufe in der Klinik anpassen.

Welche Schicksale haben Sie in den vergangenen Monaten besonders bewegt?

Held: Wir hatten zwei langzeitbeatmete Covid-Patienten, bei denen wir im Dezember davon ausgehen mussten, dass sie ihre Erkrankung nicht überleben. Ende Januar haben sie die Intensivstation verlassen. Wenn man dann die Angehörigen am Bett sieht, die nach langer Zeit ihren geliebten Menschen wieder umarmen können – das ist großartig.

Auf der anderen Seite war die Corona-Lage gerade um Weihnachten extrem angespannt, die Patientenzahlen hoch. Gab es Tage, an denen Sie dachten: Wir schaffen das nicht?

Held: Zwischen Weihnachten und Silvester war die Dynamik tatsächlich enorm. Ich machte mir große Sorgen, wie das in der ersten Januarwoche weitergehen sollte. Das war kurz vor dem Impfstart und wir hatten mehr erkrankte Mitarbeiter. Da war die Anspannung auch bei mir sehr hoch. Freizeit gab es in der Zeit für mich kaum, es verging kein Tag, an dem ich nicht im Klinikum war. Gott sei Dank ging es dann – wir haben es hingekriegt.

Und jetzt, nach einem Jahr mit Corona-Patienten: Würden Sie sagen, Sie haben das Virus im Griff?

Held: Wir können dem Virus im Moment die Stirn bieten. Ich glaube, wenn wir es schaffen, flächendeckend zu impfen haben wir eine gute Chance, es irgendwann im Griff zu haben.

Priv.-Doz. Dr. Matthias Held ist seit Oktober 2020 Ärztlicher Direktor des Klinikums Würzburg Mitte und dort für die Betreuung der Covid-Patienten zuständig. Er wurde 1970 in Kassel geboren und absolvierte sein Medizinstudium und die Ausbildung in Würzburg. Der Schwerpunkt des 50-Jährigen liegt auf der Pneumologie, der Lungenheilkunde. An der Missioklinik hat er das Lungenhochdruckzentrum aufgebaut, seit 2018 ist er Chefarzt der Medizinischen Klinik. Per Tagebuch hat er während des zweiten Lockdowns in der Main-Post und auf www.mainpost.de/corona-tagebuch  regelmäßig Einblicke in den Klinikalltag gegeben.

 
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  • Wiegut_1
    Sie haben mit Verlaub nichts verstanden.
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