Seit Wochenbeginn hat sich die Situation bei uns im Klinikum drastisch verschärft. Stand Mittwochmorgen behandeln wir 18 Corona-Patienten, drei davon auf der Intensivstation. Trotz einiger Entlassungen sind somit noch mehr Covid-Patienten dazu gekommen. Und diese Menschen sind tatsächlich schwer krank.
In den vergangenen Tagen war ich deshalb bis zum späten Abend in die Patientenversorgung und deren Organisation eingebunden. Dabei mussten schwierige Entscheidungen getroffen werden: Welche der neuen Patienten brauchen dringend unsere Schwerpunktversorgung – und wer kann in andere Krankenhäuser im Landkreis vermittelt werden?
An dieser Stelle muss ich dem Team ein riesiges Lob für die tolle Arbeit zollen. Und ein Danke auch an die Patienten, denen wir doch einiges zumuten mussten. Schließlich ist es nicht einfach, wenn man in eine andere Klinik verlegt wird.
Besonders hoch ist die Belastung aktuell auf der normalen Corona-Isolierstation. Dort benötigen die Patienten viel pflegerische Zuwendung. Vor Augen habe ich etwa einen Mann, der aufgrund von anderen Erkrankungen schon lange einen künstlichen Zugang über die Luftröhre hat. Wegen der Corona-Infektion muss man hier nun permanent absaugen.
Die Anspannung führt zu Erschöpfung bei den Mitarbeitern
Tatsächlich sieht man im Moment manchmal unermessliches Leid und schwere Schicksale. Und auch Konflikte. Zum Beispiel haben wir einen hochbetagten Covid-Patienten mit mehreren Begleiterkrankungen. Es ist absehbar, dass er es nicht schaffen wird. Die Angehörigen würden gerne Abschied nehmen – aber sie sind selbst in Quarantäne. Ein anderer Mann will eigentlich seinen Vater, der auch am Lebensende angekommen ist, begleiten. Gleichzeitig steht seine Tochter unmittelbar vor der Entbindung. Er möchte keinen von beiden alleine lassen und ist total zerrissen.
Das Personal unterstützt überall so gut es geht und opfert sich wirklich auf. Auch die Seelsorgerin versucht, Trost zu spenden oder, wo Besuche nicht möglich sind, per Tablet Kontakte herzustellen. Allerdings hinterlässt die Anspannung Spuren: Die Mitarbeiter wirken körperlich und auch seelisch erschöpft. Der Ton bleibt aber freundlich, der Zusammenhalt ist spürbar.
Auch ich bin natürlich innerlich angespannt. Auf der einen Seite weiß ich, wir müssen die Patienten versorgen und ihnen gerecht werden – andererseits dürfen wir die Mitarbeiter nicht überfordern. Das geht nicht einfach alles ganz locker. Deshalb haben wir zur Entlastung heute beschlossen, Personal von einem anderen Bereich auf die Corona-Station zu versetzen.
Und eine Begegnung gab es noch, die mir sehr nahe ging: Wir hatten eine 92-jährige Patientin, die nicht Corona-infiziert war, aber an einer Lungenentzündung litt. Ihre Enkelin wollte ihr das neugeborene Urenkelchen vorbei bringen. Das ging aber wegen der Besuchsregeln nicht. Am Wochenende hatte ich deshalb zu den Pflegern gesagt: "Ich schaue, ob ich die Frau kurz im Rollstuhl in einen neutralen Raum fahren kann." Es kam nicht dazu, sie ist gestorben. Das hat mich mitgenommen, ich hätte so gerne den Kontakt ermöglicht. Trotzdem war gestern ihr Sohn da und hat sich tausendfach bedankt, dass seine Mutter so gut versorgt wurde. Das freut einen sehr – und es gibt einem Kraft, den nächsten Schritt zu gehen.
Priv.-Doz. Dr. Matthias Held (50) ist Ärztlicher Direktor am Klinikum Würzburg Mitte. Dort ist der Lungenspezialist auch für die Behandlung von Covid-19-Patienten zuständig. Im Tagebuch gibt er Einblicke in den Klinikalltag, im Dezember immer dienstags, donnerstags und samstags: www.mainpost.de/corona-tagebuch