Wer auf dem Dorf von der Norm abweicht, fällt auf und wird schnell zum Dorfgespräch. Sich dann als queer, also als homosexuell und/oder nicht cis-geschlechtlich zu outen, ist schwer. Die Angst vor Ausgrenzung oder Anfeindung ist groß. Erst recht, weil der politische Ton rauer geworden ist und queerfeindliche Kommentare zunehmen. Sechs Menschen aus Unterfranken berichten über ihre Ängste, Gefühle und Erfahrungen bei ihrem Coming-out auf dem Land - und über die Reaktionen, die sie erlebt haben.
1. Jannis Büttner aus dem Landkreis Rhön-Grabfeld: "Ich hatte ein Traum- Coming-out"
Heute ist Jannis Büttner selbstbewusst, mit sich im Reinen und strahlt innere Ruhe aus. Das war nicht immer so. Bis zu seinem inneren Coming-out habe er unter depressiven Phasen gelitten und eine starke psychische Belastung gespürt, sagt der 25-Jährige. Er erinnert sich gut an den Moment, als er realisierte, dass er sich als Mann identifiziert: "Es war einer dieser Aha-Effekte. Dann setzten sich alle Puzzleteile zusammen und ergaben ein großes Gesamtbild."
Fünf Jahre ist das her. "Hätte ich zu Schulzeiten mehr Rückhalt gehabt, hätte ich mich schon früher mit dem Thema Transidentität auseinandergesetzt", sagt er über seine schwere Zeit. "Ich habe offen als Lesbe gelebt, zeitweise kursierten in Bezug auf meine Sexualität gleich mehrere Gerüchte. Da war ich der Einzelgänger und Außenseiter."
Auf die Erleichterung über sein inneres Coming-out als Transmann folgte ein Gefühl der Angst. Für den Zeitungszusteller war aber klar: Vor Familie und Freunden möchte er sich schnell outen. "Ich wollte so leben, wie ich mich fühle."
Zuerst outete sich der Rhön-Grabfelder bei seinem Motorradverein. "Dort habe ich Zuspruch erfahren und gedacht, wenn es bei meiner Familie schlecht läuft, dann habe ich noch den Verein." Eine unbegründete Angst, denn seine Eltern hätten positiv reagiert. "Es war schön zu wissen, dass sie mich weiterhin als ihr Kind ansehen, völlig egal, welches Geschlecht ich habe."
Dankbar betont der 25-Jährige: "Ich hatte ein Traum- Coming-out". Familie und Freunde hätten ihn bei seiner Hormontherapie unterstützt und auch die Menschen aus seinem Dorf reagierten positiv. "Sie fragen nach meiner Geschichte oder wie weit ich bei meiner Geschlechtsangleichung bin", sagt er mit einem Lächeln. Er gehe im Alltag und auf Social Media offen damit um, dass er trans ist, sagt Jannis Bütner. Sein Ziel: Akzeptanz schaffen.
2. Sebastian Hofmann aus Würzburg: "Immer aufzupassen war kräftezehrend"
Über 15 Jahre ist es her, dass Sebastian Hofmann sich als Jugendlicher schwul geoutet hat. "Endlich musste ich mich nicht mehr verstecken", sagt er. "Trotzdem hat es viel Mut gekostet – umso härter war es für mich, dass ein Teil meiner Familie den Kontakt zu mir abgebrochen hat. Eigentlich sind das die Personen, die dich bedingungslos lieben sollten." Heute konzentriert er sich auf die Menschen, die ihn unterstützen, etwa seine Mutter. "Für Sie ist damals sicher eine kleine Welt zusammengebrochen", sagt der 30-Jährige. Aber seine Mutter habe sich über das Thema informiert. "Sie hat erkannt, dass ihre Ängste unbegründet waren."
Im Landkreis Main-Spessart groß geworden, habe er schon an der Schule Ausgrenzung erfahren, sagt Hofmann. Die meisten seiner engsten Freunde hätten ihn unterstützt. "Aber ich habe mich einer Person anvertraut, von der ich dachte, dass sie mein bester Freund wäre – und am nächsten Tag wussten es alle." In der Schule habe er sich ab dann nicht mehr wohlgefühlt. "Homophobe Beleidigungen wie 'Schwuchtel' gab es häufig, das hat mich verletzt. Sie gaben mir das Gefühl, dass ich wahnsinnig ekelhaft und falsch bin."
Mit anderen queeren Personen habe er sich vor allem im Internet austauschen können. Vor seinem Coming-out habe er sich oft allein gefühlt und einen starken Druck verspürt, sagt Hofmann. "Immer aufzupassen, dass ich mich nicht in Widersprüche verstricke, wenn es ums Thema Liebe ging, war kräftezehrend." Das ist auch der Grund, wieso der 30-Jährige sein Coming-out nie bereut hat. Inzwischen lebt er in der Stadt, ist mit seiner Jugendliebe verheiratet und unterstützt in Würzburg queere Menschen ehrenamtlich bei der Rosa Hilfe. "Ich kann heute die Unterstützung für andere sein, die mir als Jugendlicher gefehlt hat."
3. Lor aus dem Landkreis Haßberge: Nicht-Binarität ist schwierig zu erklären:
Lor, 25 Jahre alt, ringt um Worte. Anderen zu erklären, dass sie/er nicht-binär ist - sich sowohl als Frau und Mann identifiziert - ist schwer. Vor allem ältere Menschen würden den Begriff nicht kennen oder hätten Vorurteile. "Ich hatte Angst davor, dass ich ständig darauf angesprochen werde, aber auch wie mein Umfeld reagiert", beschreibt Lor.
Das Coming-out vor den Eltern war ein halbes Jahr lang geplant: "Ich hatte Angst, dass es zu kleineren Verletzungen in der Beziehung kommt oder ich Fragen falsch auffasse." Als Erstes sagte Lor es deshalb ihrer/seiner Schwester: "Ich habe es ihr geschrieben." Denn emotionale Gedanken zu verbalisieren gelinge ihm/ihr nicht immer.
"Bei meinen Eltern habe ich mit Serien oder YouTube-Videos das Gespräch auf das Thema gelenkt und meine Mama hat mich gleich in ihrem Handy umbenannt, das fand ich süß", sagt Lor aus den Haßbergen. Es war nicht das erste Coming-out, bereits mit 15 Jahren habe er/sie sich als bisexuell geoutet. "Meine angeblichen Freunde wollten sich nicht mehr mit mir umziehen oder dachten, dass ich auf sie stehen würde. Ich habe verschiedene Sportarten ausgeübt, das war schwierig."
Heute beschreibt Lor die Reaktionen als "Schlag ins Gesicht", denn auch auf Dorfpartys sei darüber getratscht worden. Der/die 25-Jährige mied diese Feiern dann lieber. Doch egal, ob Dorf oder Stadt, überall gebe es Menschen, die einen akzeptieren und Menschen, die mit einem ein Problem haben, betont Lor. Mittlerweile beobachte sie/er auch auf dem Land Veränderungen: Die queere Szene werde auch dort größer, der Diskurs nehme zu.
4. Adam Bopp aus Würzburg: "Ich hatte das Gefühl, in einem Käfig zu sitzen"
Lange Zeit dachte Adam Bopp, der in einem Dorf im Main-Tauber-Kreis aufgewachsen ist und heute in Würzburg lebt, dass er nicht für immer auf Männer stehen würde. "Ich bin christlich erzogen worden und hatte die Hoffnung, dass das wieder weggeht, das hat nicht ins Weltbild gepasst", sagt der 36-Jährige. Vor allem später in einer freien Gemeinde sei schwul immer etwas gewesen, dass "geheilt" werden müsse. Verletzt habe ihn das nicht: "Ich habe das selber so gesehen." In seiner Jugend habe es auf dem Land nur das klassische Familienbild gegeben – damals das für ihn "richtige Bild".
Den Weg zu seinem Coming-out beschreibt Bopp, der sich heute im queeren Zentrum WuF in Würzburg engagiert, als Prozess. Mit 20 Jahren habe er gemerkt, die Fassade nicht weiter aufrechterhalten zu können. "Ich hatte das Gefühl in einem Käfig zu sitzen, weil ich gesehen habe, dass es Leute in der Stadt gibt, die ihre Sexualität ausleben und es funktioniert."
Er habe die freie Kirchengemeinde verlassen und beschlossen, sich nicht vor seinen Eltern zu verstecken. Passiert sei sein Coming-out spontan. Sein damaliger Ex-Freund habe ihn zu seiner Mutter gefahren, am nächsten Morgen sei ihm das am Frühstückstisch herausgerutscht. "Dann schaut meine Mutter mich an und sagt: 'Ich hab dich trotzdem lieb'. Das war der beste Satz, den sie sagen konnte. Ich wusste, dann ist alles gut."
Im Dorf habe er nur eine negative Reaktion erfahren. "Es gab mal eine Frau aus der Gemeinde, die zu mir sagte: 'Du weißt schon, dass du dein ewiges Leben verlierst und in die Hölle kommst'. Da habe ich schon lange dran geknabbert, weil ich die Aussage unmöglich fand." Andere Mitglieder der Dorfgemeinde hätten mit seiner Sexualität kein Problem. "Ich denke, dass es eine Rolle spielt, ob man Menschen kennt und persönlich betroffen ist." Und er ergänzt: "Man kann auch positiv überrascht werden, doch was manchmal von der queeren Seite vergessen wird, dass es Zeit braucht, um über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen."
5. Vincent Steppert aus dem Landkreis Haßberge: "Viele bleiben bei ihrem Standpunkt und das war es dann"
Seine Stimme wird leiser, als Vincent Steppert über sein Coming-out als Transmann bei seiner Mutter spricht. "Sie gibt sich viel Mühe, dass ich glücklich bin. Aber sie hat etwas gebraucht, um zu verstehen, dass ich noch die gleiche Person bin. Für sie war es, als ob ihre Tochter gestorben ist. Das zu hören, war schwer."
Bis heute beschäftigt ihn dieser Satz. "Ich habe mich abgekapselt von meinen Gefühlen und als Schutzmechanismus viel reflektiert, wie andere sich bei meinem Coming-out fühlen." Nur so habe er diese Zeit als Jugendlicher, in der er mehrfach wegen Depressionen behandelt wurde, durchgestanden, sagt der 20-Jährige.
Heute sei die Beziehung zu seiner Mutter besser und stärker, denn sie habe sich mit Eltern von Transkindern ausgetauscht. Das würden nicht alle machen. "Viele bleiben bei ihrem Standpunkt und das war es dann", sagt Vincent Steppert, der aufgrund seiner Erfahrungen den Verein CSD Haßberge gegründet hat.
Auf dem Land fehle die Aufklärung, das habe er bei seinem Outing in einer Schule in den Haßbergen gemerkt: "Ich bin zu den Lehrkräften und habe gesagt, ich bin Vincent. Es war aus der Situation heraus." Rückblickend würde er heute zuerst mit der Klassenlehrerin reden und seiner Klasse Raum für Fragen geben, sich aber das Recht vorbehalten, nicht alles beantworten zu müssen.
Das Lehrpersonal hätte ihm emotional geholfen, sei bei fachlichen Fragen wie zum Beispiel dem Sportunterricht aber unsicher gewesen. Dabei gebe es überall queere Menschen, sagt Steppert, der mittlerweile in Würzburg studiert. Seine Identität zu unterdrücken, das kam für ihn aber nicht mehr infrage. "Als Mann hat sich meine Verhaltensweise verändert, davor wollte ich nicht wahrgenommen werden, habe mich hinter den langen Haaren versteckt und mit Schönheitsidealen gekämpft."
6. Helena Fries aus dem Landkreis Rhön-Grabfeld: "Heterosexuelle Personen outen sich auch nicht"
Dass es immer noch Vorurteile in Bezug auf Bisexualität gibt, musste auch Helena Fries erfahren. "Freunde haben auf mein Coming-out mit sexistischen Kommentaren reagiert. Dass es heiß ist, wenn Frauen auf Frauen stehen und ob ich Lust auf einen Dreier hätte. Das hat mich schockiert. Ich hätte nicht gedacht, dass das noch so in den Köpfen verankert ist", sagt die 25-Jährige, die in ihrem Heimatort im Landkreis Rhön-Grabfeld in vielen Vereinen aktiv ist. Auch "schwul" begegne ihr noch oft als Schimpfwort.
Dass ab und an bei Dorffeiern queerfeindliche Kommentare fallen, verletzt und enttäuscht sie. Das passiere aber nicht nur auf dem Dorf, sondern auch in der Stadt. "Das hat mir vor Augen geführt, dass es ein universelles Problem ist." Auch sie kenne Menschen, die queerfeindlich sind, von diesen distanziere sie sich aber. Mittlerweile spreche sie nur noch mit Menschen, die ihr wichtig sind, über ihre Sexualität, sagt Helena Fries. Ihren Heimatort beschreibt sie trotzdem als unterstützend. Abseits der blöden Sprüche habe sie dort auch viele gute Erfahrungen gemacht.
Sie persönlich bräuchte aber kein Coming-out, meint Fries, die sich selbst als direkt beschreibt und Dinge offen anspricht: "Heterosexuelle Personen outen sich auch nicht. Ich möchte aus meiner Sexualität kein großes Ding machen und habe mich geoutet, wenn es zum Thema gepasst hat." Für sie sei wichtig gewesen, dass ihr Coming-out kein Krisengespräch, sondern etwas Alltägliches ist. Queer zu sein, sollte nichts Besonderes sein, sagt Helena Fries.
"When others demand that we bekomme the people they want us to be, they force us to destroy the person we really are. (...) The most loving parents and relatives commit this murder with smiles in their faces." Jim Morrison
Transfrauen leben vielleicht zu "normal" als Frauen oder wie kommt es, dass sie hier nicht erscheinen? Bin für ein (Trans-)Frau-Interview gerne bereit.
Fröhliche Ostern ohne Tierleid!