
Er hatte Jungssachen im Kinderzimmer, trug Cars-Pullis und Piraten-T-Shirts, liebte Bob, den Baumeister, und spielte mit Autogaragen und Ritterburgen. Heute mag er Kraftsport und Schwimmen und verbringt viel Zeit mit Social Media. Moritz Krumpholz ist ein ganz normaler Junge. Wer den 17-Jährigen aus Seligenstadt im Landkreis Würzburg trifft, hat jedenfalls diesen Eindruck. Doch das war nicht immer so. Denn Moritz wurde als biologisches Mädchen geboren . . .
„Ich bin ein Junge, das wusste ich eigentlich schon immer, nur alle anderen taten es lange nicht“, sagt Moritz Krumpholz. Und erzählt von einer „wirklich sehr schöne Kindheit“. Nur: „Ich habe doch sehr schnell bemerkt, dass ich anders bin als die anderen Mädchen.“ Als er in den Kindergarten kam, sagte er „Ich bin ein Junge“. Und immer wieder fragte er seine Mutter, ob er vielleicht noch ein Junge würde. „Ich fragte verzweifelt, was ich denn hätte tun müssen, dass ich als Junge auf die Welt gekommen wäre.“
Er habe „lange Zeit nicht verstanden, warum ich so bin wie ich bin“, erzählt der 17-Jährige. Und sein Vater, Wolfgang Krumpholz, sagt: „Klar merkt man das, aber am Anfang denkt man, das ist nur eine Phase.“ Bis Moritz zu einem Jungen wurde, war es ein langer Weg. Als Kind wehrte er sich immer mehr Mädchenkleidung zu tragen und wünschte sich kurze Haare. Mit zehn Jahren durfte er sie schneiden lassen, danach fühlte er sich „glücklich und frei“.

Doch das Glück hielt nicht lange. Moritz kam in die Pubertät und sein Körper begann, sich in die für ihn völlig falsche Richtung zu entwickeln. Aus Verzweiflung - und weil er dachte, dass die Gesellschaft es von ihm erwartete - ließ er sich die Haare wieder wachsen.
Insgeheim habe er immer gehofft, dass seine Brust nie zu wachsen beginnen würde, erzählt Moritz. „Ich versuchte, sie mit meinen Händen verzweifelt flach zu drücken.“ Er habe auszublenden versucht, dass er sich vom Kind nun zur Frau entwickelte. Mit knapp zwölf Jahren, habe er seine Periode bekommen - „der Ausbruch der Pest“. Er habe seine Eltern nicht enttäuschen wollen, habe für sie das beste Kind sein wollen, das sie sich hätten wünschen können. „Ich wusste, dass ich ihr ganzer Stolz bin.“ Den Gedanken, ein Junge zu sein, habe er verdrängt: „Aber dieses Mädchen, was ich vorgab zu sein, war mehr Schein als Sein.“ Moritz Wunsch: Einfach nur „normal“ sein. Einfach mit Badehose ins Schwimmbad gehen zu können. Die Jungentoilette zu benutzen.
Fast jeden Tag habe er sich damals in den Schlaf geweint, erzählt der 17-Jährige im Rückblick. Schaut er sich heute alte Fotos von sich mit langen Haaren an, kann er sich nicht wiedererkennen. „Diese Person war ich schlichtweg einfach nie gewesen.“
Doch wer war er? Irgendwann stieß Moritz Krumpholz im Internet auf den Begriff „Transgender“. Da war für ihn klar: „trans“ ist er auch! Doch so sicher er sich selbst war, so groß war seine Angst vor allem, was damit verbunden war. Er habe Angst gehabt, es den Eltern zu erzählen – „obwohl ich todsicher war, dass sie darauf gut reagieren“.
Im Juli 2017 outete sich Moritz seinen Eltern – beim Shoppen in der Stadt. Einen kurzen Moment seien sie geschockt gewesen, erzählt er. „Doch danach waren sie verständnisvoll.“ Seine Mutter, Heike Krumpholz, sagt heute: „Es ist spannend, was sich daraus alles entwickelt. Es war eine Befreiung, er ist aufgeblüht.“ Moritz‘ schulische Leistung hätte sich gleich gesteigert - von Durchschnitt zum Klassenbesten. „Sobald klar war, dass es nicht nur eine Phase ist, standen wir zu 100 Prozent dahinter“, sagen seine Eltern.
„Das ist der Weg zum Glück für das Kind“, sagt Heike Krumpholz. Es sei die Pflicht der Eltern, mit voller Überzeugung hinter ihrem Sohn zu stehen. Mit dem Outing hätten sie schon gerechnet. Dagegen zu sein? Kam nie in Frage. Wolfgang Krumpholz hatte Moritz trotzdem empfohlen zu überlegen, ob er mit dem Outing nicht lieber bis nach der Schule warten wolle. Moritz‘ Antwort sei deutlich gewesen: „Egal was passiert, nichts kann so schlimm sein. Lieber werde er gemobbt, als noch einen Tag länger eine Rolle spielen zu müssen.“
Im Februar 2018 begann Moritz, damals 14-jähriges Mädchen, unter ärztlicher Aufsicht Hormonblocker zu nehmen. Sein bisher wichtigster Tag im Leben sei der 20. März 2018 gewesen: Da begann die vorgeschriebene Therapie beim Psychologen, die alles weiter ins Rollen brachte.
18 Monate Therapie, darunter sechs Monate Hormontherapie sind zu absolvieren, bevor ein Transgender mit geschlechtsangleichenden Operationen beginnen kann. So ist die Vorschrift des „Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung“. Moritz‘ nächster großer Schritt: das Outing in der Schule und bei Freunden. Sein Psychologe hatte ihm erklärt, dass er ein Jahr als Junge leben müsse, um Klarheit zu schaffen, ob er sich wirklich wohlfühle in dieser Rolle und sie für ihn „lebbar“ sei.
Moritz Familie wandte sich an den Schulleiter. Der, schildern Wolfgang und Heike Krumpholz, habe sie von Anfang an unterstützt und perfekt reagiert. Mit 14 Jahren hielt Moritz im Unterricht einen Powerpoint-Vortrag über Transidentität. Den selben Vortrag zeigten die Lehrer in allen anderen Klassen der Schule, alle Eltern erhielten parallel an diesem Tag eine E-Mail.
Er habe Angst gehabt, blickt Moritz zurück. Angst davor, die Freunde zu verlieren. Nach der Präsentation sagte er von seiner Klasse: „So wie die Personen, die ich euch gerade gezeigt habe, fühle ich mich ebenfalls, ich wurde im falschen Körper geboren. Ich möchte, dass ihr mich ab jetzt Moritz nennt. Ich wünsche mir, dass ihr mich genauso behandelt wie vorher auch, es ändert sich nur der Name, ich bin immer noch der gleiche Mensch.“
Mit Erlaubnis seiner Eltern durfte er dann den nächsten Schritt gehen: die Einleitung einer gegengeschlechtlichen Hormontherapie. Moritz wollte den Stimmbruch, Körperbehaarung, und die männliche Pubertät erleben. Im Mai 2018 bekam er Hormonblocker verschrieben. Die brachten ein Stück Freiheit, weil er keine Periode mehr bekam. Nach einem Jahr Therapie erhielt er im April 2019 die erste Testosteronspritze. Und seit dem 12. Dezember 2019 heißt Moritz Krumpholz nach einem Gerichtsbeschluss auch offiziell Moritz und ist offiziell männlich.
Der weitere Weg? Im Juni 2020 hatte der Junge die erste OP. 260 Gramm Brustdrüsengewebe wurden entfernt. „Ich war in diesem Moment der glücklichste Mensch der Welt. Ich habe es geschafft und bin endlich frei. Es ist flach“, beschreibt er seine Gedanken. Und ist dankbar, dass er jetzt T-Shirts tragen kann, ohne Angst davor haben zu müssen, „dass man etwas sieht“.
Jahrelange habe er sich versteckt, jeder Blick in den Spiegel sei „wie ein Stich ins Herz“ gewesen. Nach der ersten OP habe er seinen Körper langsam mehr akzeptieren können, sagt Moritz. Aber er habe gemerkt, dass er weitere Operationen brauche, um wirklich glücklich zu werden. Die Eingriffe bezahlt die Krankenkasse. Geht alles gut, benötigt er noch sechs, im schlimmsten Fall zehn. Spritzen werde er ein Leben lang bekommen, sagt Moritz. Im Sommer wird er Vorgespräche für die nächste OP haben. 18 Jahre alt muss er dafür sein, sein Geburtstag ist im November.
Er sei noch lange nicht am Ziel, sagt der 17-Jährige. Aber er sei schon an einem Punkt, an dem er sagen kann: „Ich fühle mich wohl, wenn auch nicht 100 Prozent.“ Sein Körper sei kein Feind mehr, sondern Freund: „Ich bin selbstbewusster geworden und kann mich mittlerweile echt gut leiden.“

Und Mobbing, Diskriminierung oder Gewalt habe er aufgrund seiner Transidentität bisher nie erlebt. „Im Grunde sind die Menschen, die andere mobben, die Opfer und die eigentlichen Verlierer, weil sie Menschen fertigmachen müssen, um ihr Selbstwertgefühl für einige wenige Augenbliche zu verbessern“, sagt der 17-Jährige. Bei einem Besuch im KZ in Auschwitz hatte er zu seinen Eltern gesagt: „Da wäre ich damals auch hingekommen“. Vater Wolfgang Krumpholz ist heute noch erschüttert: „Das ist ein Moment, da stockt einem als Eltern der Atem, da bist du den Tränen nahe.“
Moritz ist sicher: Vielen gehe es wie ihm, doch sie trauten sich nicht, darauf aufmerksam zu machen. Der 17-jährige Schüler will anderen helfen, die in der gleichen Situation sind. Deshalb hat er ein Buch geschrieben und auf eigene Kosten einige Exemplare drucken lassen. Moritz will andere aufklären, ihre Fragen beantworten, Vorurteile ausräumen. Sein Ziel: die Akzeptanz in der Gesellschaft verbessern. „Wir sollten die Leute leben lassen, wie sie sind.“
Gerade macht der Seligenstädter seinen Realschulabschluss, danach will er aufs Gymnasium wechseln. Sein Berufswunsch: Psychiater oder Psychotherapeut. Anderen zu helfen sei seine persönliche Berufung, sagt Moritz. Bereits jetzt ist er auf Fachtagungen unterwegs und erzählt seine Geschichte. Er will Ansprechpartner in schwierigen Situationen sein.
Für ihn selbst seien seine Eltern der „Fels in der Brandung“. An sie könne er sich immer wenden, ohne die Unterstützung seiner Eltern sei er heute nicht an dem Punkt, an dem er ist. Moritz‘ Tipp an andere: „Halte durch und ziehe durch, es ist hart, aber es gibt ein Licht am Ende des Tunnels. Suche dir eine Therapie und werde dir bewusst, was du willst. Das trans sein kann man sich nicht aussuchen. Die eigene Identität ist ein tiefes inneres Gefühl der eigenen Geschlechtszugehörigkeit.“
Wer Fragen hat oder sich für sein Buch interessiert, kann sich direkt an den 17-Jährigen wenden: moritz.krumpholz@gmx.net
Respekt auch an Ihre Eltern.
Als Hetero tangierte mich das Thema nicht mal peripher.
Wie sie aber offen mit der Sache umgehen find ich toll.
In einer Zeit in der Altersgenossen sich im Netz nur hinter lächerlichen Pseudonymen verstecken, und in dieser Anonymität andere Menschen schlecht machen, ist das was sie machen, mehr wie bemerkenswert.
Alles Gute für Ihren weiteren Lebensweg.
Gruß,
Aurelian Völker (der Autor)
weil sie beim einkaufen ne Maske tragen müssen...
Viel Glück und Erfolg auf allen weiteren Wegen und Operationen.