Über die Hälfte der Sitzplätze im Theater des Olympia-Morata-Gymnasiums in Schweinfurt ist besetzt. Viele der meist jugendlichen Besucherinnen und Besucher haben das Buch "Last Night at the Telegraph Club" in ihrem Schoß liegen. Der Grund, warum sie am Dienstagnachmittag noch einmal in die Schule gekommen sind, ist eine Lesung mit anschließender Signierstunde der Autorin. Dafür ist Malinda Lo extra aus den USA angereist.
Der Raum ist erfüllt von aufgeregten Stimmen. Dann betreten Friedrich Frenzel und Kerstin Quecke die Bühne, und es wird ruhig. Die beiden Englischlehrer des Olympia-Morata-Gymnasiums und der Walther-Rathenau-Schulen sind der Grund, warum die preisgekrönte Autorin hier ist. Denn gemeinsam haben sie sich mit ihren Schulen für das siebte "White Ravens Festival" für internationale Kinder- und Jugendliteratur beworben.
Im Zuge des Festivals sind Autorinnen und Autoren aus dem In- und Ausland fünf Tage lang zu Gast in Bayern und lesen aus ihren Romanen. Dabei handelt es sich um innovative und außergewöhnliche Kinder- und Jugendbücher, die bedeutende Beispiele für die kinderliterarische Kultur eines Landes sind. Malinda Los Roman "Last Night at the Telegraph Club" ist eines davon und wurde bereits mit dem National Book Award ausgezeichnet.
Die Geschichte spielt im San Francisco der 50er-Jahre und handelt davon, wie Lily Hu, Tochter chinesischer Einwanderer, ihre Homosexualität entdeckt. Die Gesellschaft, in der die 17-Jährige damals lebt, erklärt diese sexuelle Orientierung jedoch für illegal und feindet die chinesische Bevölkerung offen an. Deshalb ist Lily auf ihrem Weg zum Coming Out mit verschiedenen identitären Fragen konfrontiert.
Chinesische und queere Menschen hatten keinen Platz in der Gesellschaft
Nach einer kurzen Ankündigung der Lehrer betritt Lo die Bühne und erzählt mit viel Witz, wie sie in China geboren wurde und in den USA aufgewachsen ist und welche Irrungen und Wirrungen sie auf ihrem Weg zur Autorin durchlief. Jahrelang hätte sie den Wunsch nach diesem Beruf unterdrückt und erst wieder während ihrer Masterstudien an den Universitäten Harvard und Stanford damit begonnen, nachts und am Wochenende zu schreiben.
Dabei seien Bücher entstanden, in deren fiktiver Welt Homosexualität nie ein Problem ist. Sie selbst hätte erst mit Ende 20 den Mut gehabt, sich offiziell zu outen. "Es war schwer, zu akzeptieren, dass ich lesbisch bin. Ich fühlte mich allein und hatte Angst, meinen Eltern davon zu erzählen", berichtet Lo auf Englisch. Deshalb handelen alle ihre Bücher von queeren Mädchen, die lernen, wer sie wirklich sind.
Anschließend liest sie zwei Szenen aus ihrem Buch und nimmt das Publikum mit auf eine Reise in das San Francisco des vergangenen Jahrhunderts. Mithilfe von alten Schwarz-Weiß-Fotos erzählt sie davon, wie chinesisch-stämmige Amerikanerinnen und Amerikaner damals jederzeit in der Lage sein mussten, ihre Staatsbürgerschaft zu beweisen. Oder wie die dortige LGBTQ-Community – heute eine der größten und bekanntesten in den USA – im Untergrund leben und stets Polizeirazzien und Verhaftungen fürchten musste.
Laut Lo sei es während ihrer Recherche zu dem Buch schwer gewesen, Aufzeichnungen über queere chinesische Amerikanerinnen zu finden. Es hätte sehr lange gedauert und "Detektivarbeit" erfordert, bis sie endlich visuelle Beweise für ihre Existenz gefunden hätte. Sichtlich stolz über ihren Erfolg, präsentiert sie einige Fotos.
Das Publikum hatte viele Fragen an die Autorin
Nach Los Vortrag nutzt das Publikum aus beiden Schulen rege die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Einige Schülerinnen und Schüler baten um Tipps, wie man mit mangelnder Inspiration beim Schreiben umgeht oder einen Einblick, wie die Veröffentlichung eines Buchs abläuft. Andere haben persönliche Fragen an die Autorin.
Eine Besucherin möchte wissen, ob Lo über die aktuellen politischen Entwicklungen in den USA besorgt sei. Sie bestätigt, dass es schwierige Zeiten für die LGBTQ-Community seien, denn viele rechte Politikerinnen und Politiker würden versuchen, sie mundtot zu machen. "Mein Buch wurde in über 25 Schuldistrikten, vor allem in Texas und Florida, verboten", erzählt die Autorin. Sie sei schockiert darüber und hätte niemals gedacht, dass in einem Land, in dem die Verfassung die Meinungsfreiheit garantiert, einmal Bücher verboten werden könnten.
Einen der Schüler interessiert es, wie es für sie war, als Chinesin in den USA aufzuwachsen. "In meinem Jahrgang auf der Schule war ich, neben zwei anderen Mädchen, die einzige. Wir fühlten uns ausgeschlossen, denn wir waren immer 'die Anderen'", erzählt sie. Das sei hart gewesen und hätte sich erst auf dem College geändert, wo sie viele chinesische Studentinnen und Studenten traf.
Auf die Frage der Redaktion, welche Eindrücke sie von ihren Veranstaltungen in Deutschland mit nach Hause nehmen wird, sagt Lo: "Ich habe gemerkt, dass zwischen deutschen und amerikanischen Schülerinnen und Schülern kein großer Unterschied besteht: Sie alle sind Menschen, die glücklich sein möchten."