zurück
Haßfurt
Tessa Ganserer: "Ich finde CSDs im ländlichen Raum mindestens genauso wichtig wie in Großstädten"
Queere Menschen ziehen oft weg vom Land oder trauen sich nicht, sich zu outen. Woran das liegt und was man dagegen tun kann, erklärt die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer.
Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer beim ersten Christopher Street Day (CSD) in Haßfurt: Die Grünen-Politikerin wurde in einem männlichen Körper geboren, outete sich aber schon vor Jahren als Frau.
Foto: Lukas Reinhardt | Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer beim ersten Christopher Street Day (CSD) in Haßfurt: Die Grünen-Politikerin wurde in einem männlichen Körper geboren, outete sich aber schon vor Jahren als Frau.
Peter Schmieder
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:54 Uhr

Etwa 300 Menschen sind am Samstag beim ersten Christopher Street Day (CSD) in Haßfurt (Lkr. Haßberge) durch die Straßen gezogen, um für die Rechte und gegen Ausgrenzung und Diskriminierung von Homosexuellen, Transgender-Personen, Inter-, Bi- und Asexuellen aufmerksam zu machen. Unter ihnen war auch Grünen-Bundesabgeordnete Tessa Ganserer.

Die 45-Jährige stammt aus Niederbayern, als Abgeordnete vertritt sie heute den Wahlkreis Nürnberg-Nord. Von 2013 bis 2021 war sie Mitglied des Bayerischen Landtags, 2021 wurde Ganserer in den Bundestag gewählt. Für Aufmerksamkeit sorgte 2018 ihr Coming-Out als Transfrau. Damit wurde sie zur ersten Abgeordneten in Deutschland, die ihre Transidentität öffentlich machte. Im Interview spricht Tessa Ganserer unter anderem über die Situation von queeren Menschen im ländlichen Raum und darüber, was sie politisch bewegen möchte.

Frage: Haben es queere Menschen im ländlichen Raum schwerer? Besteht hier ein größerer Nachholbedarf, was Sichtbarkeit und Akzeptanz angeht, als beispielsweise in Städten wie Würzburg oder Nürnberg?

Tessa Ganserer: Fehlende Akzeptanz, Diskriminierung und Hasskriminalität gibt es natürlich in Großstädten genauso, nur gibt es halt dort auch eine aktive LSBTIQ-Community (Hinweis der Redaktion: die Abkürzung steht für lesbisch, schwul, bisexuell, trans, inter und queer), die sich für die Rechte von queeren Menschen stark macht. Ich habe zu meiner Zeit im Bayerischen Landtag als queer-politische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion eine Studie in Auftrag gegeben zu den Diskriminierungserfahrungen von queeren Menschen in Bayern. Bei der Online-Befragung kam raus, dass bei über 900 vollständig ausgefüllten Fragebögen zwei Drittel der Menschen angegeben haben, dass sie im ländlichen Raum oder in einer Kleinstadt geboren und aufgewachsen sind. Aber zum Zeitpunkt der Befragung haben zwei Drittel der queeren Menschen in Großstädten mit über 100.000 Einwohnern gelebt. Als Grund, warum sie ihrer Heimat den Rücken gekehrt haben, war auf Platz 1 der Ausbildungs- und Arbeitsplatz, aber gleich auf Platz 2 die eigene Queernes, das fehlende Gesehen- und Ernstgenommen-Werden in ihrer Heimat. Das finde ich schon höchst bedauerlich, dass Menschen, die eigentlich gerne dort gelebt haben, wegziehen, weil sie sich dort nicht ernstgenommen, nicht gesehen, nicht willkommen fühlen.

Erleben queere Menschen auf dem Land mehr Diskriminierung? Oder ziehen sie schon aus Angst vor möglicher Diskriminierung weg?

Ganserer: Es war etwas überraschend, dass queere Menschen in Großstädten tendenziell häufiger von Diskriminierung berichtet haben. Allerdings haben die, die im ländlichen Raum gelebt haben, deutlich häufiger angegeben, dass sie nicht geoutet sind, aus Angst vor Diskriminierung. Und dort, wo queere Menschen im ländlichen Raum Diskriminierung erfahren haben, war sie auch deutlich heftiger.

Kann also ein CSD in einer kleineren Stadt auch dazu beitragen, diese Probleme zu lösen?

Ganserer: Gegenfrage: Warum gibt es in jedem Dorf einen Fußballverein, obwohl bei Weitem nicht alle Menschen Fußball spielen? Warum gibt es in jedem Dorf ein Dorffest? Weil Menschen das Bedürfnis danach haben und Gemeinschaft erleben wollen. Deswegen finde ich auch CSDs oder Aktionstage, die auf die Belange und Probleme von queeren Menschen aufmerksam machen, im ländlichen Raum mindestens genauso wichtig wie in Großstädten.

Als Bundestagsabgeordnete haben Sie Möglichkeiten, einerseits Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, andererseits auch selbst die Politik mitzugestalten. Wie wollen Sie diese Möglichkeiten nutzen, was wollen Sie für die LSBTIQ-Community erreichen?

Ganserer: Die neue Bundesregierung ist angetreten, für ein gutes gesellschaftliches Miteinander einzustehen und für gleiche Rechte im Gesetz zu sorgen. Auch nach der Ehe für alle kann von Gleichheit vor dem Gesetz noch lange keine Rede sein. Es ist ein Unding, dass bei lesbischen Paaren die Mitmutter das gemeinsame Kind adoptieren muss, während in heterosexuellen Ehen der Ehemann ohne Vaterschaftstest automatisch als Vater anerkannt wird. Das ist eine eindeutige Ungleichbehandlung. Nach 16 Jahren des gesellschaftspolitischen Stillstands ist es an der Zeit, dass wir per Mehrheitsbeschluss für gleiches Recht sorgen und nicht darauf warten, dass Betroffene ihre Rechte einklagen. Da haben wir noch eine Reihe von Aufgaben: Wir haben nach wie vor die Regelungen bei der Blutspende, die Männer, die Sex mit Männern haben, diskriminieren. Wir haben dieses entwürdigende sogenannte Transsexuellengesetz, das von Anfang an Unrecht war und heute noch Menschen in ein entwürdigendes Gerichtsverfahren zwingt, damit der Staat sie als der Mensch akzeptiert, der sie sind. Da haben wir auf gesetzgeberische Weise noch sehr viel zu tun. Wir können aber Akzeptanz natürlich nicht per Bundestagsbeschluss herbeiführen.

Wie kann man die Akzeptanz sonst fördern?

Ganserer: Für Akzeptanz braucht es eine klare Haltung. Da ist natürlich die Politik gefordert. Akzeptanz muss man vorleben, fördern und einfordern. Da ist es schon mal ein wichtiges Signal, dass die neue Bundesregierung mit Sven Lehmann erstmals einen Queer-Beauftragten einberufen hat, um diese Akzeptanz deutlich zu signalisieren. Wir werden dazu auch einen nationalen Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt erarbeiten. Denn für diese Akzeptanzarbeit, die eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, braucht es natürlich personelle und finanzielle Ressourcen. Und dort wo fehlende Akzeptanz in Benachteiligung oder sogar Hasskriminalität umschlägt, da müssen wir als Staat schützend an der Seite der Betroffenen stehen. Deshalb werden wir das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz reformieren. Das betrifft ja nicht nur queere Menschen, sondern auch Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen, die wegen einer Behinderung benachteiligt werden. Hasskriminalität, online wie offline, muss konsequent bekämpft werden.

Glauben Sie, dass Sie als Mitglied der Community politisch mehr für queere Menschen erreichen können als es nichtbetroffenen Unterstützern möglich wäre?

Ganserer: Ich finde wichtig, dass Angehörige von marginalisierten Gruppen über ihre Erfahrungen reden, aber es kann nicht allein die Aufgabe von Menschen sein, die Benachteiligung erfahren, sich gegen Diskriminierung, Benachteiligung und Hasskriminalität zu wehren. Für ein gutes, gesellschaftliches Miteinander sind alle Demokrat:innen gefordert, es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich alle stellen müssen.

Wie stellen Sie sich die ideale Welt vor, in der Sie gerne leben würden?

Ganserer: Eine ideale Welt wäre eine, in der wir alle Artikel 1 der Erklärung der allgemeinen Menschenrechte "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren" wirklich zum Leitsatz für unser Handeln und unser zwischenmenschliches Miteinander machen und kein Mensch aufgrund von Gruppenbezogenen Merkmalen benachteiligt, abgewertet oder ausgegrenzt wird.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Haßfurt
Peter Schmieder
Bayerischer Landtag
Deutscher Bundestag
Ehegatten
Großstädte
Hasskriminalität
Ländlicher Raum
Queeres Leben
Stadt Hofheim
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • G. W.
    Idealer wäre natürlich eine Welt, in der kein Mensch mehr irgendetwas über seine Identität geheim halten müsste, aus Angst vor Ausgrenzung, Diskriminierungen oder Ablehnung!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • R. L.
    Es ist leider so, dass jeder nur seine eigenen Probleme wichtig nimmt. das die Welt und die Menschen derzeit größere Probleme hat, wird von diesen Leuten nicht wahrgenommen.
    Murmeltier hat das treffend auf den Punkt gebracht.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • S. T.
    Eine ideale Welt wäre für mich , wenn ich gar nicht wissen müsste, wer queer ist und wer sich wie und in welcher Haut wohl oder unwohl fühlt. Jede*r soll so leben können wie er/sie will und vieles davon ist m.E. totale Privatsache , vieles mir auch zu intim. Mir kommts auf den Menschen an und nicht was er im Pass stehen hat oder sonst wo am Körper hat oder nicht hat.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • C. K.
    Exakt!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten