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Würzburg
Vater, Mutter, Kind - gibt es das klassische Familienbild in Kinderbüchern noch?
Wie wichtig sind neue Familienbilder in Kinder- und Jugendbüchern? Gibt es mehr Alleinerziehende, Patchwork oder queere Eltern? Das sagen zwei Würzburger Verlage.
Divers, queer, klassisch, stereotyp? Wie sehen Familien im Kinderbuch heute aus? Susanne Götz-Schneck, Gründerin des Verlags Jupitermond (links) und Mitarbeiterin Elena Trompeter geben Auskunft.
Foto: Thomas Obermeier | Divers, queer, klassisch, stereotyp? Wie sehen Familien im Kinderbuch heute aus? Susanne Götz-Schneck, Gründerin des Verlags Jupitermond (links) und Mitarbeiterin Elena Trompeter geben Auskunft.
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 21.06.2023 03:25 Uhr

Rund 9000 neue Kinder- und Jugend­bücher kommen in Deutsch­land jährlich auf den Markt. In jüngster Zeit erscheinen immer mehr Titel, in denen Figuren nicht uniform und Familien­konstel­lationen unterschiedlich sind. "Der Markt hat sich extrem entwickelt", sagt Susanne Baumann, Pressesprecherin beim Arena Verlag in Würzburg.

Alleinerziehende, Regenbogen-Eltern, Patchwork-Familien: Nimmt die Zahl der diversen Kinder­bücher zu, weil das Bewusstsein für Diversität wächst? Welche Geschichten und Figuren gibt es heute? Antworten geben Arena-Sprecherin Susanne Baumann und Susanne Götz-Schneck, die 2020 in Würzburg den Verlag Jupitermond gegründet hat.

Frage: Mama, Papa, zwei Kinder - so sah lange die klassische "Bilderbuch-Familie" aus. Welches Familienbild wird heute in Kinderbüchern gezeigt?

Susanne Baumann: Familie hat sich in ihrer Zusammensetzung verändert. Das spiegelt sich natürlich auch in Kinderbüchern wider. Und da sich auch unser Blick auf Kindheit verändert hat, werden Kinder in Bilder- und Kinderbüchern mit der Realität konfrontiert, in der sie leben. Sie werden mit ihren eigenen Erfahrungen mitgenommen: So wie du in deiner Familie lebst, so leben auch andere.

Susanne Götz-Schneck: Wir wollen in unseren Büchern die verschiedensten Protagonistinnen und Protagonisten zeigen und für alle Kinder Identifikationsfiguren bieten. Das alles soll aber nicht erzwungen wirken, sondern ganz selbstverständlich so sein.

Susanne Baumann vom Würzburger Arena Kinderbuchverlag mit neuesten Veröffentlichung zum Thema Diversität.
Foto: Benjamin Brückner | Susanne Baumann vom Würzburger Arena Kinderbuchverlag mit neuesten Veröffentlichung zum Thema Diversität.
Hat die "Bilderbuch-Familie" ausgedient?

Götz-Schneck: Nein, das glaube ich nicht. Möglichst viele Kinder sollen sich in den Geschichten wiederfinden und das bedeutet selbstverständlich, dass es neben dem "klassischen" Familienbild auch ganz viele andere Familienmodelle gibt. In einem der kommenden Teile unserer Reihe "Wunderbare Wesen" hat zum Beispiel ein Kind gleichgeschlechtliche Eltern. Das wird auf der Bildebene ersichtlich, spielt für die Geschichte aber gar keine Rolle.

Baumann: Die "Bilderbuchfamilie" war vielleicht ein vermeintliches gesellschaftliches Idealbild von Familie, eine Projektion, die auch über Bücher verbreitet wurde. Die Gesellschaft wird nun realistischer abgebildet, auch in Kinderbüchern.

Wie wichtig ist Diversität in Kinderbüchern?

Baumann: Besonders für Kinderbücher gilt: Kinder wollen sich mit den Figuren identifizieren. Da unsere Gesellschaft bunter wird, ist es wichtig, dass auch das Personal in Kinderbüchern divers abgebildet wird. Bestes Beispiel aus dem Arena Verlag ist die Reihe "Woodwalkers" von Katja Brandis. Hier findet die Mensch- und Tierwelt in ihrer Vielseitigkeit statt.

Götz-Schneck: Diversität in Kinderbüchern ist unglaublich wichtig und stellt eine der wichtigsten Merkmale unserer Bücher dar. Es gibt unheimlich gute Kinderliteratur, die nicht divers ist, wie zum Beispiel die Bücher von Astrid Lindgren oder auch J.K. Rowling. Als ihre Bücher erstmals erschienen, waren Diversität und Sichtbarkeit noch kein großes Thema. Glücklicherweise findet in unserer Gesellschaft ein Wandel statt: Jede und jeder darf so sein, wie er/sie ist. Die unterschiedlichsten Charaktere bekommen eine Stimme und ein Gesicht.

Das Mädchen im Rollstuhl, der Junge mit schwarzer Hautfarbe, der alleinerziehende Vater - warum gibt es in Bilderbücher noch relativ wenige Geschichten über sie?

Baumann: Diese Bücher gibt es, zahlreich sogar im Buchhandel. Sie werden verstärkt sichtbar in gut sortierten Büchereien – aber (noch) nicht auf Bestsellerlisten. Und sobald die Bücherkisten in Kitas entstaubt und durch neuere Titel ersetzt werden können auch da, wo sie sehr wichtig sind. Ganz besonders für die Schulbüchereien oder Kindergarten-Bibliotheken sollte die Politik ein Budget zur Verfügung stellen, mit dem der Bestand aktualisiert wird.

Götz-Schneck: In unserer "Wunderbare Wesen"-Reihe geht es um eine Schulklasse, in der ganz unterschiedliche Kinder sind: Da ist zum Beispiel Ella, die im Rollstuhl sitzt. In "Ellas Elfentanz" träumt sie davon, die tanzende Elfe im Schultheater zu spielen. Da wird nicht ihre Behinderung thematisiert, sondern es geht um Träume, Mut und Selbstvertrauen.

Verlagsgründerin Susanne Götz-Schneck (links) und Mitarbeiterin Elena Trompeter: Der Würzburger Jupitermond Verlag bringt Kinderbücher mit besonderen Themen heraus.
Foto: Patty Varasano | Verlagsgründerin Susanne Götz-Schneck (links) und Mitarbeiterin Elena Trompeter: Der Würzburger Jupitermond Verlag bringt Kinderbücher mit besonderen Themen heraus.
Auf ihrem Instagram-Account "Afrokids Germany" stellt Ndey Bassine Jammeh-Siegel Kinderbücher mit schwarzen Protagonistinnen und Protagonisten vor. Gibt es noch zu wenig?

Götz-Schneck: Auf jeden Fall. Aber ich gehe noch weiter: Es sollte nicht nur mehr schwarze Protagonistinnen und Protagonisten in Büchern geben, sondern auch mehr südamerikanische, osteuropäische, skandinavische oder asiatische. Im Prinzip die ganze Bandbreite an Menschen unserer Gesellschaft. In unserem Buch "Glitzertage" dreht sich alles um Tayo, einen schwarzen Jungen. Allerdings geht es in dem Buch nicht um das Thema People of Colour, denn nur auf diese Weise findet echte Integration statt: Die Hautfarbe des Kindes spielt keine Rolle.

Baumann: Hier gibt es großen Nachholbedarf. Derzeit sind in nahezu allen Verlagsprogrammen der Kinder- und Jugendliteratur Schwarze Stimmen und Protagonistinnen und Protagonisten sichtbar. "Off the record" von Camryn Garrett ist ein Buch, in dem die junge, couragierte Schwarze Protagonistin Josie – wie auch die Autorin selbst – erfährt, dass ihre Stimme Macht hat, die sie  einsetzen kann.

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Migration ist eines der großen Themen in Deutschland - auch auf dem Kinderbuchmarkt?

Baumann: Es gibt viele Bücher zu diesem Thema, also Geschichten, die das Leben von Kindern und ihren Familien mit Fluchterfahrung erzählen. Nicht ÜBER ein Thema oder eine Gruppe sollte geschrieben werden, sondern im besten Fall von und mit ihnen als Teil unserer Gesellschaft. Wie zum Beispiel "Geflüchtet", ein autobiografischer Roman des jungen Syrers Abdullah Al-Sayed. 2018 mit begleitendem Unterrichtsmaterial erschienen, ist er weiterhin hochaktuell.

Götz-Schneck: Das Thema Migration ist hochaktuell und wichtig, so dass wir in diesem Frühjahr mit "Ava und die Rückkehr der Farben" über ein Mädchen erzählen, das nach seiner Flucht aus der Heimat neu Fuß fassen muss. Mit Hilfe von ihren feinfühligen und empathischen Freundinnen und Freunden gelingt die Integration.

Buchtipps der Würzburger Kinderbuchverlage

Der Verlag Jupitermond wurde im Dezember 2020 von Susanne Götz-Schneck in Würzburg gegründet. Mittlerweile sind dort 20 Bilderbücher erschienen. Zum Thema Diversität empfiehlt Jupitermond diese drei Bücher: 
Vater, Mutter, Kind - gibt es das klassische Familienbild in Kinderbüchern noch?
"Wilma Wolkenkopf": Ein Kind mit Zippelzappelhänden und Sausegedanken. Ein Kind, dessen verflixtundzugenähte Socken einfach nie an die Füße wollen. Und ein Kind mit Mut, Fantasie und übersprudelndem Herzen. Mit wertvollen Tipps für Eltern von der Spiegel-Bestsellerautorin, Podcasterin, Bildungsaktivistin, Mutter und Grundschullehrerin Saskia Niechzial, auch bekannt als @liniert.kariert (22,90 Euro).
"Flauschig mauschig":  Hier wird das Thema Body Positivity behutsam und kindgerecht angesprochen. Da dieses Thema sowohl Jungs wie Mädchen betrifft, ist die Hauptfigur geschlechtsneutral. Es geht darum, alle Kinder für die Wahrnehmung des eigenen Körpers zu sensibilisieren. Die Kernbotschaft: Es gibt keinen perfekten Körper, alle sind gut, so wie sie sind. (22,90 Euro)
"Glitzertage": Morgens beim Aufstehen merkt Tayo: Heute ist ein Glitzertag! Heute kann er alles schaffen! Dieses Gefühl begleitet ihn durch den Tag und nicht nur, dass ihm wirklich fast alles gelingt, er kann auch andere damit anstecken! Die beste Entdeckung macht Tayo, als er abends im Bett liegt und spürt, dass wir dieses Glitzerlicht in uns tragen - wir alle, jeden Tag und ein Leben lang  (21 Euro).
Der Arena Verlag ist ein Kinder- und Jugendbuchverlag mit Sitz in Würzburg, gegründet 1949 von Georg Popp. Er gehört heute zur Braunschweiger Westermann-Gruppe. Buchtipps zum Thema Diversität aus dem Arena Verlag:
Vater, Mutter, Kind - gibt es das klassische Familienbild in Kinderbüchern noch?
"Ozeanis" von Anna Ruhe und Max Meinzold, für Kinder ab 8. Leevis Leben ist ein einziges Abenteuer. Mit seinen Freunden Kala und Enno nimmt er an den verbotenen Ozeanis-Wettrennen teil. Auf ihren Speed-Glydern rasen sie durch tiefe Gewässer und verworrene Höhlenlabyrinthe. Text und Bild wechseln sich ab,  ergänzen sich und befeuern sich gegenseitig in einer spannenden Geschichte. Auch für  weniger lesebegeisterte Kinder geeignet! (Gebunden 13 Euro)
"Woodwalkers": Die Bestseller-Reihe von Katja Brandis wird von den Kindern auch deshalb so geliebt, da sich hier alle in einer der handelnden Figuren wiederfinden können. Das Personal von "Woodwalkers" ist so bunt und divers, wie die Menschen und Tiere es eben sind. Zudem geht es um das Artensterben, den Schutz der Lebensräume und Tipps für den Umwelt- und Naturschutz. Den ersten Band gibt es auch in "Einfacher Sprache". (Taschenbuch, 10 Euro)
"Team Lupe": Für Kinder im Leselernalter bietet die Krimi-Reihe immer wieder neue, spannende Abenteuer zum Selber-Kombinieren. Aufgrund des diversen Personals der Detektivbande bietet die Reihe auch gutes Identifikationspotenzial. Im ersten Band ist Pauls Hündin Murmel weg. Auf dem Schulfest haben sie noch alle gesehen, am nächsten Morgen fehlt jede Spur von ihr. Dann meldet sich ein anonymer Anrufer … Ein Fall für die vier Detektive von Team Lupe. (Gebunden 8 Euro)
Quelle: Verlage/clk, Buchcover: Verlag Jupitermond, Arena Verlag
 
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  • H. S.
    Die klassische Familie ist immer noch die normale Familie und sollte nach wie vor auch als solche dargestellt werden. Alles andere sind Ausnahmen im Promillebereich. Immer mehr kommt man sich als normale Familie schon minderwertig vor. Aber das ist unsere Realität. Minderheiten egal in welchen Bereichen werden überpräsentiert und als "normal" hingestellt. Wieviel Menschen gibt es, die sich als "d" bezeichnen? In der DDR haben Kinderbücher politisch gewollt auch erzogen. Ich dachte, diese Zeiten sind vorbei. Leider weit gefehlt.
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