
Das Abschiedsgespräch beginnt nicht etwa deshalb leicht verzögert, weil sich die Operndiva verspätet hätte. Im Gegenteil. Als der Reporter zur verabredeten Zeit einen Tisch im vereinbarten Kaffee ansteuert, sitzt Silke Evers längst im Außenbereich und arbeitet mit dickem Terminbuch und Smartphone organisatorische Fragen ab.
Außerdem: Silke Evers ist zwar Opernsängerin, aber Diva höchstens dann, wenn eine Rolle es von ihr fordert. Etwa die der Hanna Glawari in "Die lustige Witwe" von Franz Lehár, ihre letzte Partie auf der Bühne der Blauen Halle des Mainfranken Theaters.

Seit April ist die Sopranistin Professorin für Gesang an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar. Offiziell beginnt das Wintersemester erst im Oktober, aber Silke Evers gibt schon vorher Unterricht, den sie gerade koordiniert: "Ich will nicht, dass die Pause so lang wird, dass wir dann wieder von vorn anfangen müssen", sagt sie und setzt eine letzte Textnachricht ab, bevor das Interview beginnt.
21 Jahre war die in Bonn geborene Sopranistin Ensemblemitglied in Würzburg
21 Jahre war die in Bonn geborene Sopranistin Ensemblemitglied in Würzburg. Sie hat Kolleginnen und Kollegen, Intendanten und Generalmusikdirektoren kommen und gehen sehen, politische Diskussionen, Sanierungsstau und Bauverzögerungen miterlebt.

"Die Zeit war nicht so turbulent, wie es von außen erscheinen könnte", sagt sie. "Wenn alles immer gleich bliebe, würde es außerdem schnell eintönig werden. Ich finde neue Leute, neue Situationen immer spannend." Vielleicht ist es dieser Pragmatismus, aus dem sie die Mischung aus Tatendrang und Zufriedenheit bezieht, die sie ausstrahlt: "Ich versuche immer, das Beste draus zu machen."
Musiktheater in Würzburg ist so sehr mit Silke Evers in den großen Rollen verbunden, von Pamina ("Zauberflöte") über Mimi ("La Bohème") bis Tatjana ("Eugen Onegin"), dass es vielen ihrer Fans schwerfallen wird, sich eine Saison ohne sie vorzustellen. Aus einem Ensemble mit vielen Talenten ragte sie stets als berückend wandelbare Künstlerin heraus, die mit großer Präsenz und wunderbar warmer Stimme verlässlich für besonders berührende, dramatische oder auch komische Momente stand. Dazu kamen viele Liederabende, Oratorien und Konzerte.

Für einige Stunden jemand ganz anderes werden - auch dank Maske und Kostüm -, nicht zuletzt das liebt sie an der Oper. "Einmal hat mich meine Mutter nur an meinen Beinen erkannt", erzählt sie. Über ihre Darstellung der Frau des Matrosen im zu Coronazeiten entstandenen Film "Der arme Matrose" schrieb der Kritiker: "Besonders Silke Evers findet augenblicklich ihre Beziehung zur Kamera – die Sehnsucht ihrer Figur nach Glamour, ihre Verschlagenheit und vielleicht doch auch echte Liebe sind wirklich großes Kino."
An den großen Häusern hat sie die familiäre Atmosphäre in Würzburg vermisst
In Würzburg konnte sie unglaublich viel ausprobieren, auch Rollen außerhalb ihres eigentlichen Fachs. "Das wäre an einem der großen Häuser sicher nicht so möglich gewesen", sagt sie, und es klingt durchaus nicht wie eine Ausflucht. Sie hat während eines einjährigen Ausflugs in die Freiberuflichkeit mit großem Erfolg an der Berliner Staatsoper und bei den Salzburger Festspielen gesungen, das hochklassige Umfeld zwar genossen, aber auch die familiäre Atmosphäre in Würzburg vermisst. "Die anderen Solisten haben immer aufgezählt, wo sie sonst noch singen. Das ist nicht so meine Art. Ich bin kein Ellbogenmensch."

Sie brauche ein Zentrum, einen Stützpunkt, sagt Silke Evers. In Würzburg hat sie ihn am Theater und in der Familie mit Ehemann Tobias Osthoff, Geiger im Philharmonischen Orchester, und dem inzwischen 16-jährigen Sohn Gabriel gefunden.
"Ich bin so dankbar, dass ich so lange diesen Beruf ausüben konnte", sagt sie. Der Bühnen-Phantomschmerz werde vermutlich erst später kommen, jetzt sei ja ohnehin noch Pause, außerdem sei gerade so viel zu tun, dass sie gar nicht dazukomme. Auf der großen Opernbühne wird Silke Evers in der nächsten Zeit nicht zu erleben sein, auch wenn es schon erste Kontakte für Gastspiele gibt. Dafür nimmt sie dieser Tage in Weimar ein Album mit Liedern von Walther von Goethe auf, dem Enkel Johann Wolfgangs. Im Dezember dann singt sie wieder beim Festival Neues Lied in Würzburg.
Den Unterricht geht sie an wie ihre Rollen in der Oper
Unterrichtet hat sie schon immer, nun wird sie hauptberuflich den Nachwuchs für die große Bühne ausbilden. "Ich gehe das an, wie meine Rollen: Was bringt ein Schüler, eine Schülerin mit, was kann ich dazu geben?" Das hat viel mit Geduld und Einfühlungsvermögen zu tun, vor allem bei Fällen, in denen die große Stimme nicht offensichtlich ist. "Da geht es dann darum, Entwicklungen zuzulassen und zu fördern, bis - hoffentlich - irgendwann der Knoten platzt."
Apropos Rollen: "Ich habe nichts gegen verrückte Ideen der Regie, wenn sie durchdacht sind und von Text und Musik gedeckt sind." Auf die Frage, ob sie schonmal in einer Inszenierung singen und spielen musste, die ihr gar nicht einleuchtete, antwortet Silke Evers mit einem ebenso entschiedenen wie diplomatischen "Joa!"
Höchste Zeit, dass das Mainfranken-Theater wieder auf größere Beine kommt und damit interessantere Perspektiven bieten kann.