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Würzburg
So geht Operette heute: "Die lustige Witwe" am Würzburger Mainfranken Theater ist ein cleverer und anrührender Spaß
Regisseur Tristan Braun persifliert liebevoll das Genre, ohne es zu verraten, und macht aus der leicht wirren Handlung der Erfolgsoperette ein fast surreales Farbenspiel.
Jede Menge Glanz, Glitzer und Glamour: Silke Evers (oben) wird als Hanna Glawari vom Ensemble auf Händen getragen.
Foto: Thomas Obermeier | Jede Menge Glanz, Glitzer und Glamour: Silke Evers (oben) wird als Hanna Glawari vom Ensemble auf Händen getragen.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 28.12.2023 02:51 Uhr
  • Was ist das für ein Stück? "Die lustige Witwe" von Franz Lehár, uraufgeführt 1905, ist bis heute eine der erfolgreichsten Operetten überhaupt. Tolle Melodien, rauschende Kostüme und ganz viel Gefühl.
  • Worum geht's? Eine durchgeknallte Partygesellschaft umgarnt die millionenschwere Witwe Hanna Glawari. Die einen, um den Staatshaushalt zu retten, die anderen aus persönlicher Gier. Reichlich Stoff für Glamour, Intrigen und Liebeswirren.
  • Wie ist es umgesetzt? Wunderbar! Regisseur Tristan Braun persifliert liebevoll das Genre, ohne es zu verraten, macht aus der leicht wirren Handlung ein fast surreales Farbenspiel und die Liebesgeschichte zur wirklich anrührenden Herzensangelegenheit.

So geht Operette heute. Tristan Braun hat für das Würzburger Mainfranken Theater Lehárs "Die lustige Witwe" inszeniert, und dabei gelingen ihm gleich mehrere Kunststücke. Er stürzt sich mit Lust ins Genre, liefert jede Menge Glanz, Glitzer und Glamour (Bühne Christian Blechschmidt, Kostüme Heike Seidler) und ist doch meilenweit entfernt, eine platte Ausstattungsrevue auf die Bühne der Blauen Halle zu stellen.

Er persifliert liebevoll die Naturgesetze der Operette, bricht und verfremdet zielsicher alle Passagen, die ins Zopfige führen könnten, und fügt sich doch quasi augenzwinkernd in die vorgeschriebene Tür-auf-Tür-zu-Dynamik. Er überzeichnet die Figuren und gibt ihnen doch echtes Profil. Kurz: Alles da, was eine Operette braucht, nur eben anders.

Von Edelstatisterie bis Fernsehballett: Die Tanzcompagnie - hier mit Daniel Fiolka als Danilo - ist einer der Trümpfe dieser 'Lustigen Witwe'.
Foto: Thomas Obermeier | Von Edelstatisterie bis Fernsehballett: Die Tanzcompagnie - hier mit Daniel Fiolka als Danilo - ist einer der Trümpfe dieser "Lustigen Witwe".

Es braucht ein wenig, bis die Sache in Gang kommt, es wird viel geredet, bevor die ersten der unzähligen wunderbaren Melodien erklingen. Aber dann dreht sich das Karussell der Intrigen, der Täuschungen und Betrüge, der falschen und echten Liebesschwüre immer schneller. Dank sorgfältiger Zeichnung der wichtigsten Figuren, durchdachter Lenkung von Solisten und Chor und nicht zuletzt der vielschichtigen Choreografien von Mariana Souza gibt es ständig was zu staunen, zu lachen und mitzufühlen.

Silke Evers, zur Abwechslung mal brünett, ist eine grandiose Hanna Glawari

Dank elektronischer Verstärkung des Gesangs (Ton Volker Ulfig) kann Gábor Hontvári am Dirigentenpult das Philharmonische Orchester richtig schwelgen lassen, die Klänge aus dem Graben sind süffig und warm. Sängerinnen und Sänger wiederum nutzen die kleinen Mikrophone, Mikroports genannt, um ganz entspannt Spiel und Stimme zu verbinden. Das klingt in den gesprochenen Dialogen anfangs stellenweise noch ein wenig hölzern, fügt sich dann aber immer besser zu einer runden Sache zusammen.

Irgendwo zwischen Travestie und Chanson: Barbara Schöller ist als Strippenzieher Njegus in ihrem Element.
Foto: Thomas Obermeier | Irgendwo zwischen Travestie und Chanson: Barbara Schöller ist als Strippenzieher Njegus in ihrem Element.

Silke Evers, zur Abwechslung mal brünett, ist eine grandiose Hanna Glawari - sängerisch makellos, mit berückend feinen Spitzentönen. Ihre Figur ragt souverän aus dem Gewusel der Möchtegern-Profiteure heraus. Nur in den Momenten sentimentaler Schwäche, wenn man so will, lässt sie unter der Macherinnen-Fassade der Glawari ein paar Risse durchschimmern. Meisterhaft. 

Die Inszenierung greift an vielen Stellen treffsicher in den Text ein

Leo Hyunho Kim, der sich mit Daniel Fiolka als Danilo abwechselt, spaziert gekonnt auf der Grenze zwischen Lebemann, Tollpatsch und dann doch Ehrenmann. Sein klarer, voller Bariton hat bei Bedarf tenoralen Glanz und lässt Vorfreude auf sein Debüt als Don Giovanni (ab 4. Februar) aufkommen. 

Roberto Ortiz umgarnt als Rosillon mit draufgängerischem Timbre und nicht ganz stubenreinen Michael-Jackson-Moves die durchtriebene Valencienne von Milena Arsovska, Mathew Habib und David Hieronimi sorgen als Brioche und Cascada für komische Einsprengsel, Gustavo Müller und Paul Henrik Schulte mimen als Zeta und Finanzminister die eher tumben Staatsintriganten. 

Nie ist ein Klohäuschen inniger besungen worden: Roberto Ortiz und Milena Arsovska.
Foto: Thomas Obermeier | Nie ist ein Klohäuschen inniger besungen worden: Roberto Ortiz und Milena Arsovska.

Barbara Schöller schließlich steuert als charismatischer Strippenzieher Njegus einen Hauch dämonischer Ironie bei - schauspielerisch wie sängerisch ganz in ihrem Element, irgendwo zwischen Travestie und Chanson. Dazu ein wie immer lustvoll mitspielender Chor (Sören Eckhoff) und die fabelhafte Tanzcompagnie, die auf kleinstem Raum die ganze Bandbreite von Edelstatisterie bis Fernsehballett zeigt. Herrlich, die rotierende Aureole aus weißen Puschelfedern um den singenden Danilo - Hollywood anno 1955 lässt grüßen.

Die Inszenierung greift an vielen Stellen treffsicher modernisierend in den Text ein, das geht vom "Chill mal!" bis zum Hauptgag im zweiten Akt, wo aus dem Pavillon fürs Stelldichein ein Klohäuschen wird. Was im ersten Moment wie ein billiger Lacher wirken könnte, entpuppt sich schnell als vielfach ausschlachtbare Pointenquelle. Eins scheint jedenfalls sicher: Nie ist eine Bedürfnisanstalt inniger besungen worden.

Weitere Vorstellungen: 23., 25., 31. Dezember; 10., 20. Januar. Karten: Tel. (0931)  3908-124, karten@mainfrankentheater.de

 
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  • Sigrid Kösel
    Nette Operette, wenn man mal verstanden hat, dass es hier um eine Persiflage geht. Warum nicht.
    Aber einmal mehr ärgerlich: Die Mikrophone. Gute Sänger brauchen das nicht, schlechte Sänger wollen wir nicht.
    Liegt es nur an der katastrophalen Akustik der Halle?
    Tatsache ist: die Stimmen klingen alle gleich, gleich laut, keine Dynamik durch Bewegung. Vielleicht versucht man es das nächste Mal mit Playback – schöne Grüsse von Milli Vanilli. Oder gleich mit KI-Stimmen?
    Insgesamt: Eine Schande. Ein solches Theater wollen wir nicht, ob Provinztheater oder Staatstheater.
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