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Würzburg
"Eugen Onegin" am Mainfranken Theater: Große Oper über kleine Fehlentscheidungen und ihre verheerenden Folgen
Selten erscheinen die Figuren in der Oper so menschlich, selten gehen ihre Schicksale so zu Herzen. Warum diese Inszenierung in Würzburg ein großer Wurf ist.
Am Anfang jeder tragischen Geschichte steht eine falsche Entscheidung: Onegin (Hinrich Horn) tanzt mit Olga (Marzia Marzo). Im Hintergrund leiden Tatjana (Silke Evers) und Lenski (Roberto Ortiz).
Foto: Thomas Obermeier | Am Anfang jeder tragischen Geschichte steht eine falsche Entscheidung: Onegin (Hinrich Horn) tanzt mit Olga (Marzia Marzo). Im Hintergrund leiden Tatjana (Silke Evers) und Lenski (Roberto Ortiz).
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 08.02.2024 16:58 Uhr
  • Was ist das für ein Stück? "Eugen Onegin" ist eine Oper von Peter Tschaikowski nach dem gleichnamigen Versroman von Alexander Puschkin. Die "Lyrischen Szenen in drei Akten", so die eigentliche Bezeichnung, wurden 1879 in Moskau uraufgeführt.
  • Worum geht es? Eine junge Frau verliebt sich in einen Lebemann, doch der weist sie brüsk zurück. Viele Jahre später begegnen die beiden einander wieder. Diesmal unter umgekehrten Vorzeichen...
  • Lohnt der Besuch? Dieser "Eugen Onegin" ist ein Fest. Eine tragische Liebesgeschichte, erzählt in einer zutiefst berührenden Inszenierung zu hinreißend schöner, wunderbar gespielter und gesungener Musik. Also: Ja, der Besuch lohnt unbedingt.

Während Teile des Landes diskutieren, ob russische Kunst (auch klassische) zu boykottieren sei, bringt das Mainfranken Theater Würzburg einen großartigen "Eugen Onegin" in Originalsprache auf die Bühne und setzt danach ein unmissverständliches Zeichen: Am Ende der Premiere der hochemotionalen Tschaikowski-Oper, zum Applaus eines hingerissenen Publikums, entrollt das Ensemble eine riesige Ukraine-Flagge über die gesamte Breite der Bühne.

Unmissverständliches Statement nach der Aufführung einer russischen Oper: Das Ensemble entrollt die Flagge der Ukraine.
Foto: Mathias Wiedemann | Unmissverständliches Statement nach der Aufführung einer russischen Oper: Das Ensemble entrollt die Flagge der Ukraine.

"Jetzt auch noch die russische Kultur zu boykottieren, Tschaikowski nicht aufzuführen, ist das Idiotischste, was man machen kann", hatte der Schriftsteller Navid Kermani im März postuliert. Gut, dass sich auch das Mainfranken Theater Würzburg nicht hat kirre machen lassen. Allein schon um der Erkenntnis willen, dass richtig große Oper in der Theaterfabrik Blaue Halle sehr gut funktionieren kann.

Die Regisseurin zeigt in jedem Detail ihr Gespür für die Figuren

Wenn man so brillant, sensibel und doch zupackend musiziert wie das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Enrico Calesso. Wenn man wie Volker Thiele ein Bühnenbild baut, das nicht nur der Regie den idealen Raum bietet, sondern auch Sängerinnen und Sänger akustisch optimal unterstützt. Und wenn man mit Agnessa Nefjodov eine Regisseurin hat, die mit jeder Geste und jedem Blick ihr Gespür für die innersten Regungen ihrer Figuren beweist.

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In einem sparsam möblierten schwarzen Raum spielen sich, überragt von einer Box in gleißendem Weiß, die Geschichten einer unglücklichen Liebe, einer kalten Zurückweisung, einer zerbrochenen Freundschaft, einer tödlichen Kränkung und einer viel zu späten Einsicht ab. Wobei all die tragischen Geschichten im Grunde nur eine sind: An ihrem Anfang steht immer eine falsche Entscheidung. Agnessa Nefjodov erzählt sie ganz nah an den Menschen, mit einer eigenen, voraussetzungslos verstehbaren Bilder- und Symbolsprache.

Sie hat ihm ihre Liebe gestanden, er gibt ihr einen Korb und hält seine Herablassung auch noch für menschliche Größe: Onegin (Hinrich Horn) und Tatjana (Silke Evers).
Foto: Thomas Obermeier | Sie hat ihm ihre Liebe gestanden, er gibt ihr einen Korb und hält seine Herablassung auch noch für menschliche Größe: Onegin (Hinrich Horn) und Tatjana (Silke Evers).

So ist die weiße Box gleichzeitig Rückzugsraum, Präsentierteller, Zeitkapsel und Fantasiewelt. Ein frappierend schlüssiger Einfall, um innere und äußere Regungen zu zeigen, gegeneinander aufzuwiegen, auf ihre Echtheit abzuklopfen.

Das Ensemble begeistert mit anrührendem Spiel und hinreißendem Gesang

Alle Solistinnen und Solisten feiern in dieser Inszenierung ein Rollendebüt. Und sie alle begeistern mit anrührendem Spiel und hinreißendem Gesang. Wie auch wieder einmal Chor und Extrachor, die so etwas wie die gesetzte Attraktion jeder Würzburger Operninszenierung sind (Einstudierung Sören Eckhoff).

Tödliches Ende einer Freundschaft: Onegin (Hinrich Horn, links) hat Lenskis Freundin Olga angebaggert. Nun will Lenski (Roberto Ortiz) Satisfaktion.
Foto: Thomas Obermeier | Tödliches Ende einer Freundschaft: Onegin (Hinrich Horn, links) hat Lenskis Freundin Olga angebaggert. Nun will Lenski (Roberto Ortiz) Satisfaktion.

Stellvertretend für das ganze Ensemble seien hier die vier Hauptrollen gewürdigt: Silke Evers mit wunderbar warmem Sopran als unglücklich liebende Tatjana, der die Herzen des Publikums längst zugeflogen sind, als endlich auch Onegin zur Besinnung kommt. Hinrich Horn mit fabelhaft strahlendem Bariton als ebendieser Onegin, ein charismatischer Lebemann in der Sinnkrise. Dazu Marzia Marzo als verhängnisvoll leichtsinnige Olga und Roberto Ortiz als verhängnisvoll stolzer Lenski.

Der große Wurf dieser Produktion aber ist die Regie. Selten erscheinen die Figuren in dieser hochkünstlichen Kunstform Oper so menschlich, selten gehen ihre Schicksale so zu Herzen. Zuletzt war es Markus Trabusch mit seinem "Rigoletto", nun ist es Agnessa Nefjodov, der dieses beispiellos beglückende Kunststück gelingt.

Die weiteren Aufführungen: 10., 12., 17., 26., 29. Juni; 3., 5., 14., 17., 20., 23., 24. Juli. 
Theaterfabrik Blaue Halle, Dürrbachau. Karten: www.mainfrankentheater.de, Tel. (0931) 3908-124, karten@mainfrankentheater.de

 
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