Abschiedsvorstellung. Kürzlich stand Akiho Tsujii zum letzten Mal als Lucia di Lammermoor auf der Bühne der Blauen Halle. "Ich habe gedacht, das gibt nur ein kurzes 'Tschüss', aber dann bin ich doch emotional geworden", erzählt die Sopranistin tags darauf. "Sechs Jahre - so lange war ich bisher noch an keinem Haus." Sie wird als Lucia wiederkehren - aber als Gast, nicht mehr als Ensemblemitglied des Mainfranken Theaters. Akiho Tsujii, geboren 1986 im japanischen Osaka, geht nach Chemnitz.
Die Opernfans werden sie vermissen - Akiho Tsujii hat sich in erstaunlich vielen prominenten Rollen, viele davon Debüts, zum Publikumsliebling gesungen: als Gilda in "Rigoletto", Madame Mao in "Nixon in China", Musetta in "La Bohème", Zerbinetta in "Ariadne auf Naxos", Gretel in "Hänsel und Gretel" oder Pamina in der "Zauberflöte". "Ich durfte hier alles", sagt sie und strahlt, "ich konnte als Charakter in Würzburg auf der Bühne leben, von ernst bis komisch - einfach alles."
Ihre Lieblingsrolle? Die der Automatenfrau Olympia in "Hoffmanns Erzählungen". Das hat sie selbst überrascht: "Ich mochte diesen Zustand - die Zuschauer lachten, und ich durfte als Puppe keine Miene verziehen." Auch die Gilda an der Seite von Federico Longhi als Rigoletto hat sie geliebt: "Ich war megafroh mit einem italienischen Vater."
Wenn ihr eine Rolle schwerer fiel als andere, merkte man das nie. Etwa die Zerbinetta, eine Partie die über die Grenzen ihres Fachs, des lyrischen (Koloratur-)Soprans hinausgeht. "Auch die Lucia ist schwer", sagt sie. "Aber ich habe trotzdem jede Rolle genossen."
Für Chemnitz packt sie erstmal nur ein paar Winterklamotten ein
Auch abseits der Bühne wird es kein endgültiger Abschied aus Würzburg sein: Akiho Tsujiis Partner, der Tenor Roberto Ortiz, bleibt am Mainfranken Theater. "Wir behalten die Wohnung, und ich werde für Chemnitz erstmal nur ein paar Winterklamotten einpacken", sagt die Sängerin. In Chemnitz wird sie unter anderem als Micaëla in "Carmen" debütieren und außerdem wieder als Gretel und als Gilda auf der Bühne stehen.
Die Theater Chemnitz bestehen aus fünf Sparten, darunter die traditionsreiche Robert-Schumann-Philharmonie und das große Musiktheaterensemble, das ein wunderschönes historisches, saniertes Opernhaus mit über 700 Plätzen zur Verfügung hat. Akiho Tsujii lässt also Baustellen und Behelfsspielstätten hinter sich.
In der "Zauberflöte" sang sie zuletzt an der Seite von Hinrich Horn - ihre Figuren Pamina und Papageno haben etliche Szenen zusammen und sind die eigentlichen Helden des Stücks. Der Bariton war fast vier Spielzeiten am Mainfranken Theater. Sein Debut Ende Januar 2020 stand schon im Zeichen der Pandemie: "Der goldene Drache" von Péter Eötvös konnte noch über die Bühne geben, aber dann, am 16. März, wurde der Katastrophenfall für Bayern ausgerufen – alle Kultureinrichtungen wurden geschlossen.
Für den "Eugen Onegin" hat Hinrich Horn zwei Jahre Russisch gelernt
Im Laufe der Jahre kamen aber doch einige tragende Partien zusammen, neben dem Papageno die des Enrico in "Lucia di Lammermoor" und vor allem die Titelpartie in Tschaikowskis "Eugen Onegin". Für diese Rolle hat er zwei Jahre Russisch gelernt, erzählt Hinrich Horn. "Ich habe in Lissabon mit dem russischen Bariton Sergei Leiferkus gearbeitet. Seine Frau hat mir Russisch-Tipps gegeben, das war total abgefahren."
Horns Abschied hat familiäre Gründe: Die Familie lebt in Leipzig. Der ursprüngliche Plan, ein Haus in Würzburg zu kaufen, zerschlug sich während der Pandemie. Während der Lockdowns konnte der Bariton viel mit seiner Frau Verena Everding und den beiden Kindern zusammen sein, doch seit wieder normal gespielt wird, ist das Pendeln zur Last geworden: "Das ist Raubbau an mir selbst."
Außerdem hat Verena Everding, ebenfalls Sängerin, inzwischen eine Stelle beim Leipziger Tournee-Theater Musical mobil bekommen. Die Zeichen standen also auf Familienzusammenführung. Als ihm die Staatsoperette Dresden eine Festanstellung anbot, sagte Horn zu. Er wird also weiterhin pendeln. "Aber das ist viel machbarer als das, was ich jetzt gerade tue."
Hinrich Horns nächster Arbeitgeber versteht sich als Spezialist für die "unterhaltenden Seiten des Musiktheaters". Das bedeutet nicht, dass der Bariton dort nur noch Operette singen wird. Auf dem Spielplan stehen auch Musicals wie "Sweeney Todd" oder Opern wie "La Bohème".
Die Pandemie überstanden beide wirtschaftlich gut - aber nicht ohne Sorgen
Außerdem wird ihm die geringere Zahl an Vorstellungen erlauben, seiner eigentlichen Leidenschaft nachzugehen: "Ich hatte vor, nur Oratorium und Konzert zu singen. Darum bin ich Sänger geworden." Doch dann ergänzt er: "Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich liebe das Spiel am Theater - da sind so viele Fasern von mir beteiligt, da finde ich so viel in mir, was ich einfach sein muss."
Durch die Pandemie sind beide dank Festanstellung und Kurzarbeit wirtschaftlich ganz gut gekommen. Aber nicht ohne Sorgen: "Ich hatte Angst, ob unser Beruf erhalten bleibt. Ob uns die Menschen noch brauchen würden", sagt Akiho Tsujii. "Wir Künstler wissen, dass Kunst immer gebraucht wird, gerade in schweren Zeiten. Aber so denken nicht alle."