Um 18.10 Uhr wird aus Federico Longhi Rigoletto. Weiße Glatze auf, viel weiße Schminke ins Gesicht. 20 Minuten benötigt Jaroslav Drazil-Knoll, der stellvertretende Chefmaskenbildner, dann ist aus dem italienischen Sänger mit dem Bariton von berückender Schönheit der verspottete, skrupellose Außenseiter vom Hofe des Herzogs von Mantua geworden.
Eine schwarz-weiß schöne, clowneske Verunstaltung. Man plaudert ein bisschen zwischen Puderdöschen, Schminktöpfen und falschem Haar. Jaroslav Drazil-Knoll trägt auf, Federico Longhi summt und räuspert sich warm. Zwei Spiegel weiter verwandelt sich Akiho Tsujii bei Maskenbildnerin Natalia Krylova gerade in Rigolettos Tochter Gilda. Die Sopranistin erzählt von ihrem Debüt als Musetta in „La Bohème“ am New National Theatre Tokyo, die sie gerade absolvierte – in hohen Stöckelschuhen auf schiefer Ebene mit steiler Neigung. „Ich hatte Angst“, lacht die zarte Japanerin, die eine gute Stunde später mit Präsenz und Intensität scheinbar mühelos in höchsten Höhen singen wird.
Nervös vor dem Auftritt im „Rigoletto“, dem umjubelten Erfolgsstück dieser Spielzeit am Mainfranken Theater? Akiho Tsujii, jetzt schon Gilda, zwinkert und lächelt nur herzlich ein freundliches Nein.
Ein Dutzend Mal stand Verdis berühmte Oper mit der komplexen Partitur jetzt schon auf dem Spielplan, zuletzt am Weihnachtstag. Ein paar Wochen sind seitdem vergangen. Und irgendwie scheinen sich hinter den Kulissen alle zu freuen, dass am Hofe des liebestollen, Herzogs von Mantua wieder gefeiert und gespottet, intrigiert und Mörderisches geplant wird.
Zwei Stunden, bevor der Erste Kapellmeister Gábor Hontvári im Orchestergraben den Dirigentenstab hebt, rollt Ankleiderin Carmen Hopf zwei dicht behangene Kleiderstangen aus der Kostümkammer Richtung Künstlergarderoben und verteilt sorgsam Hemden, Hosen, Schuhe. Sechs Kolleginnen gibt es am Haus, die für das Einkleiden und die Umzüge zuständig sind und auch mal zu Nadel und Faden greifen, wenn während der Vorstellung eine Naht oder ein Kragen platzt.
Bei „Rigoletto“ sind sie zu dritt im Einsatz: Herrenchor, Damenchor, Solisten. Carmen Hopf hängt für Igor Tsarkov, Kosma Ranuer und David Hieronimi die Jackets an die Spinds. „Bei Evita ist das schon anders, da sind wir alle im Einsatz.“ Michaela Heinrich, die die blütenweißen Hemden des Chores verteilt, bestätigt es lachend: „Bei Evita ist es Wahnsinn, toujours Umzüge. Das ist Stress.“
Am Vormittag hat sie noch an der Maschine zwei Outfits umgeändert, weil zwei Sänger krank sind und zwei Herren vom Extrachor einspringen. Jetzt richtet sie auf der Bühne, direkt hinter den Kulissen, noch griffbereit zwei Outfits. Jene, die Taiyu Uchiyama, der Graf von Ceprano, und Herbert Brand, der Gerichtsdiener, nach der Pause in Windeseile brauchen. Michaela Heinrich knöpft die Hemden zu. Schnell noch der Schlips: „Krawatten binden gehört auch dazu, sonst kann man den Job nicht machen. Ich liebe meine Männer!“
Inzwischen ist's Viertel vor sieben, 45 Minuten noch bis zum Vorstellungsbeginn. Im schmalen, hohen Probensaal singen sich begleitet von Chordirektor Anton Tremmel am Flügel, die Männer ein. „Sie müssen nicht flüstern, aber auch nicht powern“, mahnt der Chordirektor an einer feinen Stelle und haut selber kraftvoll in die Tasten.
„Zitti, zitti, zitti, zitti, cheti, cheti, cheti, cheti“, singen sitzend die 17 Herren. „So soll's sein!“, singt Tremmel. „Und cheti ohne Luft bitte.“ Dann singen die Herren noch den Wind und das Unwetter, das sie im düsteren dritten Akt vom dritten Stock über dem Orchester aus geben.
Aus dem kleinen Lautsprecher neben der Tür des Probenraums kommt knarzend und knackend eine freundliche Stimme: „Es ist 19 Uhr. 19 Uhr. Das ist das erste Zeichen.“ Am winzigen Inspizientenpult direkt hinter dem Vorhang hat Sabine Niebling Platz genommen. „Bühnenmeister bitte zur Bühne für die Feuerwehr.“
Kleine Monitore, Dutzende Knöpfe und Schalter und die Partitur voller Notizen und Markierungen vor sich, wird Sabine Niebling fortan die gesamte Vorstellung koordinieren und mit ihren sekundengenauen Ansagen für den reibungslosen Ablauf hinter den Kulissen sorgen. „Ein ordentlicher Job, da muss man ein paar Nerven haben“, sagt Bühnenmeister Ronald Rudroff im Vorbeigehen mit anerkennendem Nicken.
Auch Britta Grigull hat sich eben bei der Inspizientin gemeldet. Die Marketing- und Kommunikationsleiterin des Theaters hat an diesem Abend Direktionsdienst und ist Ansprechpartnerin und Zuständige für alle Zwischen- und Notfälle: „Wenn im Publikum jemand umkippt, wenn eine Ansage gemacht werden muss, wenn die Bühnentechnik klemmen würde . . .“, sagt Britta Grigull, die Frau mit dem Handy, und schaut planmäßig an der Theaterkasse vorbei.
Apropos Bühnentechnik. „Das Stück ist nicht ganz so wilde“, sagt kurz vor den ersten Takten Ronald Rudroff. Sein Team hat am Mittag schon auf der Drehbühne Stühle und Tische gerückt, Wände festgeschraubt und die Milchglas-Schiebetüren des Herzogspalasts aufgestellt, hinter denen gleich die Hofschranzen Dauerparty machen. Beim Übergang zum dritten Akt werden die Bühnentechniker gefordert sein. Da müssen sie den Palast eben mal schnell zur Spelunke von Auftragsmörder Sparafucile umbauen. „Das Ziel: Unter zwei Minuten bleiben“, sagt der Bühnenmeister. Die Musiker im Orchestergraben werden dann ein bisschen herumstimmen, damit das Publikum im Saaldunkel nicht nervös wird.
„Der Einlass läuft“ – die Inspizientin drückt Knöpfe und hält Kontakt nach draußen. Sechs Minuten vor Beginn wird sie den ersten Gong ertönen lassen. „Technik bitte Schnürboden besetzen für Aktion eins.“ Der dritte Gong ertönt. „Das Foyer ist leer – okay, dann bis gleich.“ Rigoletto ist summend bereit. Susanne Niebling dreht sich kurz suchend um. „Wo ist der Hontvári? Gábor, Du darfst!“
Momente später erscheint der Erste Kapellmeister auf ihrem Monitor. 19.31 Uhr. Und die Inspizientin sagt: „Go!“