Wer"Hänsel und Gretel" von Engelbert Humperdinck, uraufgeführt in Weimar 1893, heute auf die Bühne bringt, der kann kaum nur mit Knusperhäuschen-Putzigkeit hausieren gehen. Das tut auch Sigrid Herzog in ihrer Neuinszenierung nicht, die jetzt im fast ausverkauften Mainfranken Theater Premiere feierte. Die Regisseurin nutzt den Stoff für ein temporeiches, buntes Musikstück, inszeniert vor einem poppigen Bühnenbild (von Julia Katharina Berndt), einer überaus witzigen Knusperhexe (Mathew Habib) und grandios aufeinander abgestimmten Hauptfiguren Hänsel (Marzia Marzo) und Gretel (Akiho Tsujii).
Oper mit bekannten Volksliedern
Mit ruhigen, wohligen Klängen spielt das Orchester unter Leitung der Ersten Kapellmeisterin und stellvertretenden Chefdirigentin Marie Jacquot die rund achteinhalb Minuten dauernde Ouvertüre noch vor geschlossenem Vorhang. Es dominieren Hörner, Trompeten, Posaunen, aber auch Flöten und Oboen. Doch in den fröhlichen Bläsersätzen schwingt schon etwas Unheimliches mit. Die Wohnung von Hänsel und Gretel erinnert an eine aufklappbare Puppenstube, im Regal stehen frisch polierte Töpfe, drei Besen hängen an der Wand. Dort vertreiben sich die Kinder singend und tanzend die Zeit: "Brüderchen, komm tanz mit mir" ist nur eine bekannte Melodie aus der Oper, die später zum Volkslied wurde, genau wie "Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh".
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Hänsel (Marzia Marzo) und Gretel (Akiho Tsujii) finden von Anfang an gesanglich zu einem überzeugenden Neben- und Miteinander, wobei ihre Stimmen perfekt harmonieren. Dann kommt Tempo in das Stück: Müde und erschöpft kehrt die Mutter (Barbara Schöller) nach Hause. In ihrem Jähzorn über die beiden Faulpelze greift sie wütend zum Besen und stößt sie den Milchtopf vom Tisch. Außer sich vor Wut jagt sie Hänsel und Gretel in den Wald. Die eher schrillen Töne der Mezzosopranistin Schöller passen perfekt zum Fortgang und der Dramatik der Geschichte.
Wenn sich der Besenbinder in Rage singt
Wie wohl tut dann der angenehm tief gesungen Part des Vaters und Besenbinders (Bariton Kosma Ranuer), der zwar angetrunken nach Hause kommt, dafür aber eine ganze Tasche voller Lebensmittel mitbringt. Als er von dem Vorgefallenen hört, schlägt seine gute Laune in Besorgnis um. Was, wenn die Kinder sich im Wald verlaufen und der Knusperhexe in die Hände geraten? In Rage gesungen öffnet er die Gefriertruhe, die rot leuchtet - wie ein Backofen!
Der Vorhang fällt und für die Zuchauer wird darauf eine Achterbahnfahrt projiziert. Es fühlt sich so an, als säße man tatsächlich selbst im Fahrgeschäft. Sehr flott und unglaublich präzise spielt das Orchester dazu. Die Achterbahn endet im zweiten Bühnenbild, dem Knusperhäuschen der Hexe, einem überdimensional großen Kopf mit weit aufgerissenem Mund. "Ich fürchte mich. O wär ich nur zuhaus, der Wald sieht so gespenstisch aus", singt Gretel. Da erscheint das Sandmännchen (Misun Kim), das spektakulär aus dem Boden der Bühne nach oben fährt. Der Kopf leuchtet und erinnert ein wenig an eine Trockenhaube aus den 1970er Jahren. Bevor sich Hänsel und Gretel niederlegen, beten sie ihren „Abendsegen“. Dieses als Duett gesungene Wiegenlied berührt zutiefst.
Sorgt für Stimmung: Mathew Habib als Knusperhexe
Es folgt ein bunter poppiger "Hungertraum", voller Kuchen, Torten und Zuckerwerk. Doch als die Kinder die Leckereien naschen wollen, hat endlich die Hexe, grandios gesungen von Mathew Habib, ihren Auftritt. Als Knusperhexe agiert der Tenor bedrohlich, zum Teil aber auch sehr witzig. Allein die Kostüme der Hexe sind sehenswert: Zuerst mit knallgelber Perücke, Petticoat artigem Kleid mit Schürze und hochhackigen lila Schuhen und später dunkelhaarig mit Pagenkopf à la Mireille Mathieu und engem lila Glanzkleid – so wirbelt die Hexe über die Bühne. Das ist musikalisch wirklich ein Fest! Auch wenn sie zum Schluss im überdimensional großen Backofen endet.
Macht "Hänsel und Gretel" auch Kindern Lust auf Oper? Das Mainfranken Theater schreibt, das Stück sei für junge Besucher ab sechs Jahren geeignet. Bei der Premiere war nur jeder zehnte Zuschauer ein Kind oder Jugendlicher, was vermutlich an der späten Uhrzeit (Beginn, 19.30 Uhr) gelegen haben könnte. Sicher zieht der Kinderchor, der zum Schluss einen wunderbaren Auftritt hat, noch einige jünger Zuschauer ins Theater. Die als Lebkuchen-Männchen verkleideten Sänger sind nicht nur niedlich anzusehen, sondern schaffen auch eine Nähe zur jüngeren Zielgruppe.
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Üppig, bunt und lebendig ist dieses Märchenspiel auf der Bühne: ein einziger großer Rausch aus Licht, kleinen Tricks und wunderbarer Musik und Gesang. Nach knapp zwei Stunden mit einer Pause gibt es viel Applaus für alle Mitwirkenden, natürlich auch für das spielfreudige Orchester.
"Hänsel und Gretel" läuft ab 29. September, 15 Uhr, wieder am Mainfranken Theater. Weitere Vorstellungen, wenn nicht anders angegeben 19.30 Uhr: 3., 31. Oktober; 9., 17. November (15 Uhr); 14., 19., 29. Dezember (17 Uhr); 11. Januar, 5. Februar. Karten: Tel. (09 31) 39 08-124 oder karten@mainfrankentheater.de