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Würzburg
Alle in Höchstform: Warum man "Hoffmanns Erzählungen" am Mainfranken Theater Würzburg gesehen haben muss
Skurrile, makabre und bestürzende Abenteuer in der Blauen Halle: Die neue Produktion besinnt sich mangels Bühnentechnik sehr erfolgreich auf alte Theatertugenden.
Akiho Tsujii liefert als ferngesteuerte Automatenfrau Olympia ein sängerisches wie komödiantisches Meisterstück.
Foto: Fabian Gebert | Akiho Tsujii liefert als ferngesteuerte Automatenfrau Olympia ein sängerisches wie komödiantisches Meisterstück.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:51 Uhr
  • Was ist das für ein Stück? Eigentlich gibt es die fertige Oper "Hoffmanns Erzählungen" nicht. Der Komponist Jacques Offenbach (1819-1880) hinterließ viel zu viel Material für nur ein Stück. Dramaturgie und Regie müssen deshalb immer eine Auswahl treffen. Am Mainfranken Theater sind kurzweilige knappe drei Stunden draus geworden.
  • Worum geht es? Den Kern bilden drei Erzählungen von E. T. A. Hoffmann. Hauptfigur in der Oper ist der Dichter Hoffmann selbst. Auf der Suche nach Liebe begegnet er nacheinander drei Frauen. Aber jede dieser Begegnungen endet im Desaster.
  • Lohnt der Besuch? Ja, unbedingt. Musikalisch wie szenisch. Regisseurin Nicole Claudia Weber setzt in Ermangelung technischer Möglichkeiten sehr effektvoll bewährte Theatertricks ein. Ensemble und Orchester sind in Hochform.

Das grundsätzliche Problem mit "Hoffmanns Erzählungen" ist, dass nie ganz klar wird, worum es eigentlich geht. Da ist der tollpatschige Dichter Hoffmann, der von einer Beziehung in die nächste stolpert. Der sich jedes Mal aufs Neue unsterblich verliebt und jedes Mal dramatisch scheitert. Eine Frau entpuppt sich als Automat, eine stirbt, und die dritte betrügt ihn um seine Seele. Darüber wird er auch noch zum Doppelmörder.

Eine verheerende Bilanz also. Dabei wäre seine wahre Liebe immer in nächster Nähe: Seine Muse, die sich als sein Freund Nicklausse verkleidet hat und ihn durch alle skurrilen, makabren, bestürzenden Abenteuer begleitet. Und dann auch noch den zentralen Satz sagt: "Groß ist man durch die Liebe, doch größer noch durch Leid."

Ohne Leid keine Kunst: der zentrale Glaubenssatz der Romantik

Klar, das ist der zentrale Glaubenssatz der Romantik, der im Grunde unser Kunstverständnis bis heute prägt. Ohne Leid keine Kunst. Leid hat Hoffmann ja nun genug erfahren und verursacht. Und doch: So richtig tröstlich kommt der Satz nicht rüber in Nicole Claudia Webers Inszenierung von Jacques Offenbachs Oper für das Mainfranken Theater in der Theaterfabrik Blaue Halle (in französischer Sprache mit deutschen Seitentiteln).

Noch eine gescheiterte Liebe: Hoffmann (Mickael Spadaccini in der Orchesterhauptprobe, in der Premiere sang Uwe Stickert) und Antonia (Silke Evers).
Foto: Fabian Gebert | Noch eine gescheiterte Liebe: Hoffmann (Mickael Spadaccini in der Orchesterhauptprobe, in der Premiere sang Uwe Stickert) und Antonia (Silke Evers).

Und das ist gut so. Das Motto "Per aspera ad astra" (etwa: Durch Mühsal zu den Sternen) mag zwar für Armeen oder Burschenschaften taugen, für das Leben als solches – und als Bilanz einer knapp dreistündigen Oper – erscheint es dann doch ein wenig dünn.

Echte Figuren, wunderbar wandelbare Bühne und magisches Licht

Deshalb setzt Nicole Claudia Weber auf den Zauber echter Figuren. Im wunderbar wandelbaren Bühnenbild von Aída Leonor Guardia (auch Kostüme) und im magischen Licht von Mariella von Vequel-Westernach agiert ein Ensemble in Höchstform in Komplizenschaft mit einem wie immer begeistert und begeisternd mitspielenden Chor (Einstudierung Sören Eckhoff) und dem bestens vorbereiteten Orchester unter der Leitung von Gábor Hontvári. Webers Ansatz: Hoffmanns Abenteuer sind ein Alptraum – allerdings einer mit offenem Ausgang.

Uwe Stickert als Gast singt mit sehr hellem Timbre, sicherer Höhe und natürlicher Körpersprache den ebenso leidenschaftlichen wie unbedarften Hoffmann. Kosma Ranuer darf als sein diabolischer Widersacher chargieren, was das Zeug hält. Mathew Habib irrlichtert mit sicherem Timing in diversen Faktotumsfunktionen durchs Geschehen.

Die Muse (Marzia Marzo) steigt vom Sockel.
Foto: Silvia Gralla | Die Muse (Marzia Marzo) steigt vom Sockel.

Ex-Ensemblemitglied Marzia Marzo, inzwischen freischaffend, ist mit herzerwärmendem Mezzo eine agile und doch anrührend hilflose Muse. Akiho Tsujii liefert als ferngesteuerte Automatenfrau Olympia ein komödiantisches Meisterstück. Silke Evers fliegen als sterbender Antonia die Herzen zu, und Barbara Schöller lässt als skrupellos korrupte Giulietta nicht nur Hoffmann erschaudern.

Überhaupt, die Frauenfiguren: Ungeachtet all der männlichen Kraftmeiereien sind es die Frauen, die am Ende in Erinnerung bleiben. Denn Hoffmann ist im Grunde lediglich Gast in einer weitaus interessanteren Welt als der seinen. Da ist es nur schlüssig, dass er als einziger kein Kostüm, sondern neutrales Schwarz trägt.

Langanhaltender Applaus, Jubel, viele Bravi fürs Ensemble und ausdrücklich auch für Orchester und Dirigent.

Die weiteren Vorstellungen: 6., 9., 16., 18., 26. Oktober, 13. November, 4. Dezember, 6. Januar. Karten: Theaterkasse im Falkenhaus (Di.-Sa. 10-15 Uhr), Tel. (0931)  3908-124, karten@mainfrankentheater.de

 
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