
Hunderte Arbeitsplätze werden in der Schweinfurter Großindustrie abgebaut, die Galeria-Kaufhof-Filiale steht leer und die Stadtgalerie hat Schwierigkeiten, neue Mieter anzuziehen. Dazu kommt die Ankündigung, dass das Krankenhaus St. Josef Ende des Jahres schließt. Welche Antworten der Schweinfurter Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) auf die vielen Fragen zur Zukunft der Stadt hat, erklärt er in einem exklusiven Gespräch mit dieser Redaktion.
Sebastian Remelé: Im ganzen Land ist viel Negatives passiert und es scheint so zu sein, dass sich die Krisen nicht mehr ablösen, sondern überlagern. Das Auffälligste ist, dass sich diese Krisen nicht mehr nur an den Rändern des Kontinents abspielen oder in der großen deutschen Politik, sondern auch ihren Niederschlag in den Städten und im Alltag der Menschen finden. Die Bürger selbst merken, dass sich ihr eigenes, privates, vielleicht auch bisher beschauliches Leben verändert hat. Ich würde im Grunde bis 2015 zurückblicken, wenn es darum geht, Krisen zu managen. Damals setzte eine für Schweinfurt völlig unbekannte Flüchtlingswelle ein, die es zu bewältigen und zu verwalten gab. Seitdem, mit einigen ruhigen Abschnitten, sind wir aus der Krisenmoderation nicht herausgekommen. Bekanntlich erreichte uns 2020 Corona, gefolgt vom Ukraine-Krieg. Alles Ereignisse, die sich bis in eine Mittelstadt wie Schweinfurt bemerkbar machen. Wir haben seither mit einer Verkettung von großen Aufgaben zu kämpfen.
Remelé: Beides. Der Funkspruch SOS zeigt ja an, dass ein Schiff sinkt und nicht mehr gerettet werden kann, wenn man das wörtlich nimmt. Das ist, finde ich, Panikmache, die uns nicht beherrschen sollte. Die Aussage, die dahintersteht, ist aber sehr ernst zu nehmen. Die Sorge, die ich mit der IG Metall teile, ist, dass der Industriestandort Deutschland mittelfristig in eine Schieflage gerät, aus der es schwer ist herauszukommen. Es zeichnet sich immer mehr ab, dass sich die deutsche Exportwirtschaft schwerer tut, gute Produkte herzustellen, die nicht nur innovativ, sondern auch konkurrenzfähig sind. Das war lange ihre Stärke. Andere Industrienationen sind nicht mehr schlechter, aber möglicherweise günstiger. Mit diesem Problem müssen sich alle großen Unternehmen auseinandersetzen. Hinzu kommen weitere Schwierigkeiten wie hohe Energiepreise, unglaubliche bürokratische Aufwände, Fachkräftemangel und Rohstoffbeschaffung.

Remelé: Diese Arbeitsplätze haben zwei wesentliche Aspekte für die Stadt. Zum einen die Gewerbesteuereinnahmen, die diese Arbeitsplätze für die Stadt generieren. Bereits 2019 begann hier der Umbruch. Das ist das Jahr, in dem die Großindustrie bereits in ungeahntem Ausmaß keine Gewerbesteuer mehr entrichten konnte. Im Grunde wurde unser Gehalt als Stadt von heute auf morgen um die Hälfte gekürzt. Das zieht sich bis jetzt, ich habe auch wenig Hoffnung für 2025. Es ist ein Bein, das man uns da wegreißt. Wir müssen uns daher jedes neue Vorhaben dreimal überlegen, ob es zukunftsweisend und somit zu rechtfertigen ist. Der andere Aspekt ist die durch diese Arbeitsplätze generierte Kaufkraft für die Stadt und das Umland. Wir reden hier von vielen Millionen Euro im Jahr, die bei Wegfall von Arbeitsplätzen der ohnehin kaufkraftschwachen Region zusätzlich fehlen würden – mit allen Auswirkungen auf den Handel, Handwerk und andere Gewerbezweige.
Remelé: Die Betriebe sagen seit Jahren das Gleiche. Sorgt für ein gutes Umfeld für unsere Beschäftigten. Günstiger Wohnraum, Kindergärten, Schulen, Freizeit- und Sport-Angebote, intakte Infrastruktur. Eine Daueraufgabe. Wir sehen jetzt einen zweiten Auftrag: Vernetzung und Zusammenführen der vorhandenen Kräfte. Damit meine ich die Großindustrie, den Mittelstand, unsere THWS. Deshalb entwickeln wir seit 2014 die Ledward Kaserne zu einem Wissens-Campus, der das am Ort vorhandene Wissen bündelt und die Atmosphäre schafft, in der sich junge Gründer begegnen und angesteckt von diesem Geist den Weg in die Selbständigkeit finden. Das ist eine Chance, aber wir brauchen einen langen Atem. Es wird nicht die schnelle Lösung auf die Fragen unserer Zeit sein, aber ein kleiner Baustein.
Remelé: Ich habe sowohl mit dem Ministerpräsidenten als auch mit dem bayerischen Wirtschaftsminister über die Situation gesprochen und gemerkt, wie sehr man Schweinfurt auf dem Schirm hat. Ich weiß auch, dass es längst Drähte zwischen den Unternehmen und der Staatskanzlei gibt. Aber mir ist klar geworden, dass selbst der Freistaat nicht wirkmächtig genug ist, um die Schlüsselfragen der Industrie zu lösen. Zum Beispiel die Energiepreise. ZF oder SKF vergleichen die einzelnen Standorte weltweit miteinander und bei diesem Leistungsvergleich fallen wir, was Strompreise, Lohnstückkosten, Umweltauflagen und Arbeitszeiten betrifft, immer negativer auf. Die Herausforderungen sind so groß, dass sie der Freistaat alleine nicht stemmen kann. Die Schlüsselfragen müssen auf Bundes- bzw. auf europäischer Ebene gelöst werden.
Wenn sich die finanzielle Situation der Städte so weiterentwickelt, werden wir über vieles nachdenken müssen, was wir heute nicht zu denken wagen. Wir werden in vieler Hinsicht Abstriche machen müssen, heute Selbstverständliches infrage stellen. Das beginnt beim Straßenausbau und endet möglicherweise bei den Freizeit- und Kulturangeboten. Wir müssen uns eventuell stärker damit befassen, was Pflichtaufgaben sind und was freiwillige Aufgaben, die wir uns leisten können und wollen. Ich hoffe, dass wir auch diese Krisen überwinden. Ich befürchte aber, dass die satten Jahre eines ausschließlich zunehmenden Wohlstandes vorbei sind.

Remelé: Unsere Firmen haben die gleichen Orientierungsschwierigkeiten, wie die Bevölkerung selbst. Bei der ausgerufenen Energie- und Mobilitätswende auf den Bau von Windradgetrieben und Elektromotoren zu setzen, drängte sich auf. Nur leider verkaufen sich gerade diese Produkte wie sauer Bier. Die Industrie muss sich auch überlegen, ob die Freisetzung von hoch qualifizierten Arbeitskräften aus einer Krisenstimmung heraus die richtige Reaktion ist. Die Bundesagentur für Arbeit hat ein sehr interessantes Programm zur Weiterbildung und Schulung der Mitarbeiter, was aber leider teilweise auch an den Mitarbeitern selbst scheitert, wenn diese das Angebot nicht annehmen.
Remelé: Bei Galeria Kaufhof bin ich optimistisch, dass ein Investor gefunden wurde, der hoffentlich bald das Gebäude erwirbt. Wir sind in sehr ernsthafte Verhandlungen. Wenn er die präsentierten Pläne umsetzt, wird es etwas Innovatives und Sinnvolles für die Innenstadt.
Remelé: Entscheidend ist, dass in diesem Jahr der Eigentumswechsel vollzogen wird. Alles andere muss man dem Investor überlassen. Aber das politische Signal in diesem Jahr würde ich als ausgesprochen hilfreich und wertvoll empfinden.
Remelé: Uns liegen Pläne vor, wie man sie umgestalten will. Der Ball liegt beim Eigentümer, denn für diese Pläne muss der Bebauungsplan geändert werden. Das wird im Stadtrat zu Recht eine Debatte auslösen. Es wäre ein Paradigmenwechsel weg vom klassischen Einzelhandel hin zu mehr medizinischen Angeboten.
Remelé: Richtig, allerdings brauchen sie in beiden Fällen einen Investor. Zunächst ist für einen Leerstand ja der Eigentümer zuständig. Wenn man sich manche Leerstände in der Innenstadt auch von innen anschaut, kann man sie nicht mal mehr als Rumpelkammer verwenden. Wir können als Stadtverwaltung nicht all diese Leerstände erwerben und sinnvoll befüllen. Das überfordert unsere Kräfte.
Remelé: Der Stadtrat hat im vergangenen Jahr vorgegeben, ein Gutachten erstellen zu lassen, wie man die Wirtschaftsförderung auf andere Füße stellt. Vor der Beschlussfassung im September ist es nicht sinnvoll auszuschreiben. Sucht man einen Amtsleiter, einen Referatsleiter, den Geschäftsführer einer GmbH oder den Leiter eines Eigenbetriebs?
Remelé: Gleich welches rechtliche Konstrukt man wählt oder wo das Amt untergebracht ist, lebt es sehr von der Persönlichkeit und Qualität der neuen Amtsleitung. Man darf aber in diese Person auch nicht die allerhöchsten Erwartungen setzen, denn auch der neue Amtsleiter wird nicht die Probleme der Großindustrie lösen. Er wird keinen Einfluss auf den Fachkräftemangel, das Kaufverhalten der Bürger oder die Energiepreise haben. Natürlich lebt das Amt von dem Auftritt des Amtsleiters, seiner Kommunikationsfähigkeit, den Netzwerktalenten und den Verbindungen nach außen. Es setzt Erfahrung und ein gewisses Charisma voraus.
Remelé: In Krisenzeiten, wenn der Wind uns hart ins Gesicht bläst, sollte der Platz des Oberbürgermeisters auf der Kommandobrücke sein, um im Bild zu bleiben. Aber natürlich bleiben die schnellen Veränderungen, großen Herausforderungen und auch persönlichen Anfeindungen nicht ohne Spuren. Hier hilft mir meine 14-jährige Erfahrung in guten wie in schweren Zeiten und ich freue mich mal zunächst, dass auch in Schweinfurt Zukunft stattfindet, wenn ich an die vielen Projekte denke, die wir gerade auf den Weg bringen, wie z.B. die Generalsanierung des Theaters, den Bau eines Kindergarten- und Schulzentrums in Bellevue, die Entsiegelung des Schelmsrasen und die Neuerrichtung des Wertstoffhofes.
Die Ursachen für die gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme Schweinfurts kann ein OB dieser Stadt, selbst wenn er weniger bürokratisch vorgehen würde, kaum oder gar nicht beseitigen. Was kann er tun gegen Krankenhausschließungen, wenn unsere Politik auf große Klinikzentren setzt? Was kann er tun gegen überhöhte Energiepreise für hiesige Unternehmen, wenn gleiche Politik preiswerte Energien durch teuere ersetzt? Was kann er tun, um den Unsinn „Elektroautos“ zu beenden? Sollte man nicht endlich einsehen, daß für Europa und noch mehr für Deutschland ein Überleben nur in Zusammenarbeit mit Rußland möglich ist? Was kann da ein kleiner OB in seiner Funktion tun?
Und dann ist man lieber im Urlaub als sich um die Rettung des Krankenhauses zu kümmern.
Die Welt geht nicht unter, auch wenn ein Bürgermeister mal 2 oder 3 Wochen Urlaub macht.
Da sieht man mal wie Antworten verdreht werden. Das hat er nicht gesagt, sondern nur das verschiedene Projekte - auch Theater - auf den Weg gebracht werden. Nur wegen St..Josef sollte kein Stillstand in Schweinfurt sein.
Dann werden Nettigheiten wie das Theater auch nichts helfen.
M. Lerm
Und hier geht's nicht um Schuldzuweisung an Herrn Remele und die Stadt, auch wenn diese in Sachen Verbund & dessen Scheitern mit Sicherheit nicht völlig unbeteiligt waren.
M. Lerm
Das sehen Kunstliebhaber - im Gegensatz - Kunstbanausen - sicherlich anders. Welche Sport- und Kultureinrichtungen darf die Stadt Schweinfurt dann fördern?
Der "Bau eines Kindergarten- und Schulzentrums in Bellevue, die Entsiegelung des Schelmsrasen und die Neuerrichtung des Wertstoffhofes." sind auch alles Nettigkeiten?
Eine Investition gegen eine andere auszuspielen bringt nichts. Irgendwann kommt dann immer was Wichtigeres, und wenn es nur eine unerwartete (Natur-)katastrophe ist. Soll man dann alles andere liegen lassen? Weitsicht sieht anders aus.
Ich bin da lieber der Kunstbanause, der ordentlich und vorallem vor Ort versorgt wird.
Viel Spaß Ihnen im Museum.
M. Lerm
Klinikbetten pro 1000 Einwohner:
Deutschland 7,8
Schweiz 4,5
Italien 3,2
USA 2,8
Dänemark 2,5
https://www.zeit.de/2023/28/krankenhausreform-medizinische-versorgung-personalmangel
Es geht hier um die REGIONALE Versorgung, also vor Ort! Wenn Sie glauben, dass ohne das Josefs alles gleich bleibt bzw besser wird, sind Sie an Naivität kaum zu übertreffen.
Aber jeder wie er meint.
Viel Erfolg!
M. Lerm
"Laut der neuen Umfrage zum Thema Kliniken, die der dpa in Berlin vorliegt, würden 94 Prozent der Menschen in Deutschland für eine geplante Operation in eine spezialisierte Klinik fahren - auch wenn sie weiter entfernt liegt. Forsa hatte im Auftrag der Techniker Krankenkasse 1405 Erwachsene befragt. Fünf Prozent würden sich für eine gut erreichbare Klinik entscheiden, auch wenn sie nicht spezialisiert ist."
https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/ringen-um-reform-umfrage-lieber-spezialisierte-als-nahe-klinik-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-240130-99-801339
Letzte Frage, dann höre ich auf, meine Zeit mit Ihnen zu verschwenden: waren Sie schon mal Patient im Krankenhaus, evtl hier in Schweinfurt, gar im St. Josef? Wenn die Abtwort auf Letzteres "Nein" lautet, haben Sie von der Qualität, die wir täglich erbringen, absolut keine Ahnung.
Und wer keine Ahnung hat, bleibt lieber mal still.
M. Lerm