Die Umweltausschusssitzung vor den Osterferien war eine der Sitzungen, an die man sich noch länger erinnern wird. Wegen einer durchaus bemerkenswert ehrlichen Diskussion darüber, ob und wie die Stadt Schweinfurt die selbst gesteckten Klimaschutzziele überhaupt erreichen kann. Vor einem halben Jahr erklärte Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) in einer Sondersitzung zum Thema Klimaschutz in Schweinfurt, man wolle bis 2035 klimaneutral sein. Im Frühjahr 2022 aber ist bereits klar: Dieses Ziel ist nicht erreichbar. Wie geht es nun weiter in Sachen Klimaschutz in Schweinfurt?
Welche Ziele haben sich Stadtverwaltung, Stadtrat und Stadtwerke gegeben?
Am 25. Oktober 2021 beschloss der Stadtrat auf Vorschlag der Verwaltung, sich das Ziel zu setzen, dass die Stadt bis 2035 klimaneutral sein soll, die Verwaltung selbst sogar bis 2030. Diese Ziele sind deutlich ambitionierter als die des Bundes und auch als die des Freistaates Bayern, der bis 2040 Klimaneutralität erreichen will.
Im Oktober erklärte Umweltreferent Jan von Lackum: "Der Klimawandel ist Fakt und wir müssen uns darauf einstellen, die Stadt dafür fit zu machen. Die Stadt muss als Vorbild vorangehen und wird das auch tun." Klimaneutralität bis 2035 bedeutet, dass in Schweinfurt innerhalb der nächsten 14 Jahre der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase wie CO2 auf Null reduziert wird. Mit Hilfe des seit 2014 bestehenden Klimaschutzkonzepts und verschiedenen neuen Maßnahmen plante die Stadt damals, das ambitionierte Ziel zu erreichen.
Was ist das Ergebnis der Studie zur Klimaneutralität der Stadt Schweinfurt?
Ein sehr ernüchterndes. Die Bamberger Firma EVF-Energievision Franken GmbH hat eine ausführliche Restbudgetanalyse und Transformationsrechnung gemacht, die es im Oktober 2021 nicht gab. Das Ergebnis: "Klimaneutralität ist weit entfernt." Prämisse war die Klimaneutralität bis 2035 im Stadtgebiet und die Einhaltung des 1,75-Grad-Ziels.
Rechnerisch dürfte die Stadt noch 4,3 Millionen Tonnen CO2 verbrauchen, was gemessen am derzeitigen Ausstoß von Industrie, Gewerbe und Bürgern in allen Sektoren von 930.000 Tonnen klimaschädlichem Kohlendioxid pro Jahr bedeuten würde, man müsste deutlich früher als 2035 klimaneutral sein.
Die derzeitigen Einsparungen der Stadt an CO2 pro Jahr mit rund 7,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr sind viel zu wenig, es braucht deutlich größere Sprünge, "einen kompletten Umbau der Energieversorgung vor Ort", so Jana Kraus von EVF. Nur wenn pro Jahr mindestens 25 Prozent der Emissionen des Vorjahres eingespart werden, sei das Ziel 2035 halbwegs realistisch.
Wie hoch ist der Strombedarf, wenn man konsequent ökologisch handelt?
Die Studie beleuchtet ausführlich die Bereiche Wärmeerzeugung, Stromerzeugung und Mobilität. Hier liegen auch nach weltweiter Expertenmeinung die größten Potenziale in Sachen Klimaschutz. Aber es zeigt sich auch das Problem für Schweinfurt, denn bei den Prämissen der Berechnung – unter anderem die vollständige Umstellung auf E-Mobilität, grünen Wasserstoff als Energieträger oder den Ausbau erneuerbarer Energien – ist man abhängig von Bund und Ländern und hat als Kommune keinen Einfluss.
EVF-Experte Ralf Deuerling sagt klar: "Die Zukunft der Energieversorgung ist elektrisch." Detailliert aufgelistet wird der derzeitige Bedarf an Erdgas, Heizöl, Kohle und Strom und wo es in welchen Bereichen Einsparpotenziale gibt und was nötig sein wird. Das Institut geht von einer Verdreifachung der benötigten Strommenge aus, die natürlich erneuerbar erzeugt werden muss.
Wie viele Photovoltaik-Anlagen und wie viele Windräder würde Schweinfurt brauchen?
Unter der Voraussetzung, dass Klimaneutralität für Schweinfurt inklusive der Industriebetriebe bedeutet, man erzeugt den benötigten Strom durch regenerative Energieträger selbst, benötigt die Stadt nach Berechnungen von EVF 368 Hektar neue Freiflächen-Photovoltaikanlagen und 110 neue Windkraftanlagen mit einer Nennleistung von jeweils 3,5 Megawatt. Auf dem Gebiet der Stadt Schweinfurt, der mit 35 Quadratkilometern flächenmäßig kleinsten kreisfreien Stadt Bayerns, ist das nicht möglich.
Warum sieht Umweltreferent Jan von Lackum vor allem den Bund in der Pflicht?
Dass die Analyse für die Stadt nichts Gutes verheißt, war Umweltreferent Jan von Lackum klar. Er verweist aber auch darauf, dass gerade den Kommunen die Hände gebunden sind und sie abhängig sind, dass diese Aufgabe gesamtgesellschaftlich insbesondere vom Bund und den Ländern gelöst wird. "Es ist schlicht nicht realistisch, dass es bis 2035 zu hundert Prozent E-Mobilität gibt und ein Wasserstoffnetz", so von Lackum.
Die Stadt selbst könne nur Rahmenbedingungen schaffen, sie könne aber aufgrund ihrer Größe nicht in die Energieerzeugung einsteigen, so von Lackum. Neben der Industrie gehe es vor allem um die privaten Haushalte: "Wir müssen es schaffen, die 70 oder 80 Jahre alte Person, die alleine in ihrem Haus in Schweinfurt lebt, davon zu überzeugen, am Gebäude energetisch etwas zu tun."
Von Lackum hält trotz der EVF-Daten das grundsätzliche Ziel der Klimaneutralität ganz und gar nicht für falsch, man müsse die beschlossenen Maßnahmen verstärken und die Bevölkerung stärker einbinden.
Welche Schwierigkeiten gibt es mit den Stadtrandgemeinden?
Das Thema grüne Energieerzeugung durch Freiflächen-Photovoltaik und Windkraft ist ein sehr heikles. Oberbürgermeister Sebastian Remelé hatte bereits im Oktober sehr offen darüber gesprochen, dass die Stadt bei den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern rund um Schweinfurt auf taube Ohren stößt, wenn es darum geht, den Stadtwerken für neue Projekte Flächen zu bieten. Das bestätigt auch der Umweltreferent: "Die Nachbargemeinden zeigten keinerlei Interesse, einen Beitrag zu leisten und Photovoltaik-Anlagen für die Stadt zu bieten." Die Betonung lag ausdrücklich auf "keinerlei".
Sehen die Schweinfurter Grünen genauso schwarz wie die Verwaltung?
Nein, denn aus Sicht von Fraktionssprecher Reginhard von Hirschhausen müsse man den Industrieverbrauch aus der städtischen Rechnung herausnehmen, auch "weil die Industrie sich bereits selbst ehrgeizige Ziele gesetzt hat." Unter anderem gilt bei SKF, dass alle Werke weltweit bis 2030 klimaneutral sein sollen.
Von Hirschhausen fordert, den Blick auf den städtischen Verbrauch und Maßnahmen in der Region zu richten. Da gehe es um Photovoltaik auf den Dächern in der Stadt oder entlang der Autobahnen, elektrische Busse, Ausbau des Fahrrad-Netzes, Umstellung des Erdgasnetzes auf Wasserstoff und vieles mehr: "Wir, die wir hier sitzen, wissen seit Jahren, was zu tun ist, aber wir haben zu viele Bedenken und sind zu langsam", betonte von Hirschhausen. Wenn das, was im Klimaschutzkonzept an Maßnahmen festgeschrieben sei, konsequenter verfolgt werde, "sind wir auf dem richtigen Pfad."
Was fordern die anderen Parteien und Gruppierungen jetzt von der Stadtverwaltung?
Ähnlich wie die Grünen, deutlich mehr Aktivität der Stadt in den Bereichen, in denen sie etwas bewirken kann, aber auch "realistische Einsparziele", wie es Johannes Petersen (SPD) formulierte. Er forderte auch, dem Thema Klimaschutz in allen Beschlüssen des Stadtrates noch mehr Priorität einzuräumen.
Ulrike Schneider (Zukunft./ödp) sah vor allem die Stadtwerke in der Pflicht bei den Themen Contracting für Photovoltaik-Anlagen, Elektrobusse, Fernwärme oder auch die Zusammensetzung des selbst verkauften Stroms. Den Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zitierend, bemerkte Schneider: "Wir dümpeln in Sachen Klimaschutz vor uns hin." Das könne man sich schon lange nicht mehr leisten, die Stadt könne viel mehr tun, zum Beispiel bei ihren eigenen Liegenschaften.
Rüdiger Köhler (CSU) betonte, man müsse in Sachen Klimaschutz vorwärts kommen, mit "realistisch definierten Zielen", die umsetzbar seien. Noch mehr Engagement von den Stadtwerken forderte Adi Schön (Freie Wähler), insbesondere beim Thema Windkraftanlagen. Die Stadt besitze 1700 Hektar Waldfläche und es gebe den Brönnhof als Standort.
Wie will die Stadt weiter vorgehen und was machen die Stadtwerke?
Von Seiten der Stadtverwaltung werden zum einen verschiedene Förderprogramme für die Bürger angeboten, vom Einbau einer Zisterne über Dachbegrünung bis zur finanziellen Unterstützung beim Kauf von Photovoltaikanlagen. Außerdem überprüft man alle eigenen Liegenschaften und baut dort, wo es geht, eigene PV-Anlagen auf die Dächer.
Die Stadtwerke agieren laut Geschäftsführer Thomas Kästner im Dreiklang Umweltschutz, Ökonomie und Versorgungssicherheit. Das umweltfreundliche Fernwärmenetz werde verstärkt ausgebaut, im Hafen wolle man einen Wasserstoff-Hub bauen. Die Ladeinfrastruktur für Elektroautos werde kontinuierlich erweitert, die eigenen Servicefahrzeuge sollen bald alle elektrisch sein. In Sachen ÖPNV ist geplant, bei entsprechender Förderung in den nächsten Jahren komplett auf Elektrobusse umzusteigen.
Schwierig, so Kästner, sei der Ausbau von Photovoltaik-Anlagen und Windkraft: Zum einen, weil man keine eigenen Flächen habe, zum anderen wegen jahrelanger Genehmigungsprozesse und gesetzlicher Vorgaben.
E-Busse könnten schon längst fahren und Grün auf Stadtgebäuden sprießen etc. aber es werden alte, gesunde Bäume gefällt um eine Sparkasse zu bauen - das ist Fakt - die Stadt hat kein Interesse an Umweltschutz, sieht sich nicht in der Pflicht.
Hab ich jetzt Probleme mit dem Textverständnis?!
70 bis 80jährige MitbürgerInnen sollen es jetzt reissen, was von der Stadt jahrzehntelang verschlafen wurde?!
Regenerative Energieerzeugung in SW.
Nur leere Worthülsen in Hochglanzbroschüren während des Wahlkampfes.
Ähnlich katastrophal sieht es mit der Verkehrspolitik in SW aus.
Hier wurde für Millionen Steuergelder ein "Geisterparkhaus" in der Mainberger Strasse gebaut.
Für die Instandhaltung der Fussquerung über den Hauptbahnhof zu den Großbetrieben war kein Geld da.
Die Hiobsbotschaften reihen sich in SW wie eine Perlenkette.
Schuld sind die 70 bis 80jährigen.
Ich hab's immer gesagt!
Klimaneutralität ist schön und gut, das ist aber kein Thema was die Stadt per Verordnungen lösen kann. Die Angebote und Förderungen sind da, nun müssen sie angenommen werden! Sicherlich könnte man hier auch mehr seitens der Stadt tun allerdings sollte geschaut werden ob die vorhandenen sinnvollen Angebote überhaupt Anklang finden.
Zitat: "Schwierig, so Kästner, sei der Ausbau von Photovoltaik-Anlagen und Windkraft: Zum einen, weil man keine eigenen Flächen habe, zum anderen wegen jahrelanger Genehmigungsprozesse und gesetzlicher Vorgaben."
...super wenn in dem Fall die behördennahen Stadtwerke merken, dass es oft an den Kollegen scheitert (Stichwort Genehmigungsprozesse und gesetzliche Vorgaben).