
Allein das erste Corona-Pandemie-Jahr hat laut der Weltgesundheitsorganisation weltweit zu einem Anstieg von Depressionen und Angststörung um 25 Prozent geführt. Diese Zahl nennt Guido Loy, Chefarzt in der Psychosomatischen Klinik Bad Neustadt. "In Zeiten, in denen die psychischen Belastungen und damit auch die psychosomatischen Erkrankungen zunehmen, haben es Paarbeziehungen schwer", betont er. Das merke man derzeit auch in der Psychosomatischen Klinik. Therapeutengeleitete Paargespräche erführen eine erhöhte Nachfrage.
Dr. Dagmar Stelz, Ärztliche Direktorin der Psychosomatischen Klinik, bestätigt diese Entwicklung. Die psychischen Erkrankungen seien seit Corona und seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine gravierender geworden. Menschen hätten ihre Existenzgrundlage verloren oder müssten um sie fürchten. Die langanhaltenden Sorgen und der stete Druck belasten sie. Angst und Depression könnten entstehen.
Belastung durch Homeoffice, Kinderbetreuung und fehlende Rückzugsmöglichkeiten
"Auch Beziehungen sind dadurch unter Druck geraten", fährt die Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie fort. In der Krisensituation und unter dem anhaltenden Stress hätten sich viele Menschen sozial zurückgezogen und seien auch in ihrer Beziehung in eine Einsamkeit geraten. Homeoffice, Kinderbetreuung, beengte Wohnverhältnisse und mangelnde Rückzugsmöglichkeiten seien in der Pandemie hohe Belastungsfaktoren für eine Beziehung gewesen.
Die Spirale des Schweigens als Gift der Beziehung
"Chronischer Stress führt zu einer größeren Empfindsamkeit - auch in der Beziehung", ergänzt Guido Loy. Die Kommunikation verändere sich. Sie reduziere sich auf Absprachen, kurze Gespräche oder Streitigkeiten und Schweigen. Je mehr sich ein Partner schweigsam zurückziehe, umso mehr neige der andere zu Kritik und Anklage. Und je häufiger der eine sich kritisiert und angeklagt fühle, umso mehr ziehe er sich wiederum zurück. "Ein Teufelskreis beginnt", sagt der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
Aus Rechtfertigung werde Schuldzuweisung, statt Ermutigung folge Demütigung, statt Austausch folge Verweigerung, statt Veränderung folge Erstarrung, statt Aufbau folge Zerstörung und statt Selbstachtung entstehe Selbstaufgabe. Dieser Krisendynamik gelte es entgegenzuwirken.
Eine Partnerschaft kann vor Krankheit schützen
So wie Partnerschaftskonflikte in Krankheiten hineinführen können, so könnten auch Liebe und eine enge intime Partnerschaft das Risiko, psychisch krank zu werden, deutlich verringern, führt Guido Loy aus. "Die Liebe ist eine heilsame und schützende Kraft." Eine stabile und liebevolle Partnerschaft erfülle das Bedürfnis nach Sicherheit, Geborgenheit und Nähe, gebe das Gefühl der Zugehörigkeit, wirke Einsamkeit entgegen und erlaube den Aufbau einer gemeinsamen Identität und das Gefühl gemeinsamen Erfolgs. In einer guten Beziehung würden die Partner besser gegenseitig auf sich achten und helfen, wenn etwas nicht in Ordnung ist, meint der Chefarzt.
"Paartherapeutische Intensivgruppe" an der Psychosomatischen Klinik
Die Paar- und Sexualtherapie bildet einen fachlichen Schwerpunkt von Guido Loy. Die neben den Paargesprächen regelmäßig stattfindende "paartherapeutische Intensivgruppe", die aktuell wegen Corona pausiert, wurde im Wesentlichen von ihm aus der Taufe gehoben.

"Paargespräche sind an Kliniken üblich, Gruppentherapien für Paare gibt es bislang jedoch eher selten", erklärt Guido Loy. Man habe bei Gruppentherapien aber gute Erfahrungen gemacht und diese deshalb auf Paare ausgedehnt. "Paare lernen von anderen Paaren oder erfahren, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind", weiß der Fachmann.
Für dieses therapeutische Angebot, das nur einen Baustein im Therapieangebot der Psychosomatischen Klinik bildet, können Patientinnen und Patienten ihre Partner einladen. Es richtet sich an Paare, die durch die psychosomatische Erkrankung des Einen belastet sind, an Paare in Beziehungskrisen oder Paare, die ihre Dialogfähigkeit stärken möchten.
In den Gesprächen gehe es nicht darum, zu bewerten, so Dagmar Stelz. Die beiden Partner würden schildern, was sie sich wünschen, was ihnen fehlt, was sie verletzt und kränkt und worüber sie in ihrer Beziehung nicht reden können. Durch die Therapie soll die Kommunikation des Paares verbessert, Konflikthaftes benannt und Klärungsansätze erarbeitet werden. "Es ist ein schönes Erlebnis, wenn die Partner miteinander ins Gespräch kommen und entdecken, was verloren gegangen ist, und was sie zusammengebracht hat. Dann geht eine Tür auf", sagt Stelz.
Stärkend für eine Beziehung sei es, miteinander etwas durchzustehen, erläutert Loy. Wichtig sei natürlich auch körperliche Berührung. "Ohne Berührung wird der Mensch krank." Ferner sei es gut, sich über schöne Erinnerungen auszutauschen. Das löse positive Gefühle aus, ebenso wie positive Zuwendung, darunter Lob und Anerkennung.
Wenn Probleme in einer Beziehung entstehen, sei es wichtig, miteinander zu reden, raten die beiden Mediziner. Die Kommunikation stehe im Vordergrund. Über Konflikte und Kränkungen sollte man sich konstruktiv auseinandersetzen. Ansonsten folge ein Sich-Zurückziehen. Und daraus wieder herauszukommen, sei schwer, betont Dagmar Stelz.
Die Stärke einer Beziehung zeigt sich in Belastungszeiten
"Wie stabil eine Partnerschaft ist, zeigt sich in Belastungszeiten", meint die Ärztin. Ob man sich nach wie vor gut aufgehoben und verstanden fühle. Gleichsam halte es Paare zusammen, wenn sie gemerkt haben, dass sie sich in Krisensituationen gut aufeinander verlassen konnten. Generell sei ein herausragender Bestandteil einer guten Beziehung "ein aktives Wollen".
Wie äußern sich Erfolge in einer Therapie? "Die Menschen werden lebendiger, gehen Kontakte ein, planen für die Zukunft. Sie werden aktiver und schmieden Pläne", sagt dazu Dagmar Stelz. "Sie ziehen sich nicht mehr zurück und sind in der Lage, sich wieder zu freuen. Sie hören Vögel und sehen Blumen." Paare würden gemeinsam planen, etwa eine Reise oder ein Hobby. "Sie tauschen sich über Dinge aus, die verloren gegangen sind."
Stelz spricht von einem "Werkzeugkoffer", den man in der Therapie erhalte. "Am Ende der Therapie hat sich der Patient Werkzeuge erarbeitet, wie er zu Hause mit verschiedenen Problemen oder Beziehungssituationen besser umgehen soll und wie er schließlich im Alltag wieder zurechtkommen kann", so Stelz