Ich bin in ein Hamsterrad hineingeraten. Ich hab nur noch funktioniert", sagt Christoph Rothhaupt. "Ich hatte körperliche und seelische Schmerzen, kein Selbstwertgefühl. Mir war irgendwann alles egal." Lange habe er nicht wahrhaben wollen, dass irgendetwas mit ihm nicht stimme, meint der frühere Milchbauer aus Lebenhan, einem Ortsteil von Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld). Im letzten Moment habe er die Reißleine gezogen.
"Es wusste niemand, was ich hatte oder wie es mir ging. Man wusste nur: Der Rothhaupt hört mit den Kühen auf", sagt Rothhaupt. Es sei die schwerste Entscheidung seines Lebens gewesen. Gleichzeitig aber auch die beste. Nach dem Tod seines Vaters habe er sich so sehr selbst unter Druck gesetzt, dass er in eine Abwärtsspirale geraten sei. Sie endete in Depressionen - und der Landwirt merkte irgendwann, dass es so nicht mehr weitergehen konnte.
Depression, immer noch ein Tabuthema
Rund acht Prozent aller Deutschen erkranken jedes Jahr an Depressionen – darunter viele Landwirte und Landwirtinnen. Gesprochen wird allerdings kaum darüber. Dabei sei ein Gespräch meist das Erste, was Betroffenen hilft, sagt Rothhaupt: "Es ist wichtig, Probleme anzusprechen und mit falschen Tabus zu brechen."
Der 39-Jährige lebt mit seiner Frau und zwei kleinen Söhnen noch immer am elterlichen Hof in Lebenhan. Milchkühe gibt es dort nicht mehr, dafür stehen sechs Mutterkühe auf einer Weide in der Nähe. Ganz ohne Kühe leben - das wollte Rothhaupt nicht: "Ich mag die Viecher einfach zu gern." Heute hat er einen Halbtagsjob und betreibt Bioackerbau im Nebenerwerb. Seine Krankheit hat Christoph Rothhaupt öffentlich gemacht, bei Veranstaltungen und im Fernsehen klärt er über das Thema Depression auf.
Seine Erkrankung begann 2015. "Ich habe meine Arbeit kaum mehr fertig bekommen", erinnert sich Rothhaupt. Sieben Jahre lang war der Vater krank gewesen, immer wieder in der Klinik. "Am schlimmsten war das ständige Hoffen und Bangen." Den Milchviehbetrieb mit knapp 100 Kühen musste der Sohn immer wieder alleine aufrechterhalten: "Ich musste einfach immer funktionieren", sagt er. "Von mir war nichts mehr übrig. Ich war nur noch eine Hülle." Seine Arbeit habe er zunehmend als unbefriedigend und wenig erfolgreich wahrgenommen, sagt der 39-Jährige im Rückblick. "Die Arbeit im Stall sieht einfach niemand, dass man auch Samstag, Sonntag, manchmal sogar nachts raus muss."
Nach der dritten Herzoperation wachte sein Vater nicht mehr auf. Die Belastungen am Hof zusammen mit dem frühen Tod des Seniors hätten ihn schließlich krank gemacht, sagt Rothhaupt. "Meine Frau hat irgendwann gesagt, so geht es nicht weiter. Du musst jetzt etwas machen."
Seelische Hochs und Tiefs kennt fast jede und jeder. Viele tauschen sich darüber mit dem Lebenspartner oder Freunden aus und finden so wieder zu einem inneren Gleichgewicht. Wenn eine psychische Krise über Wochen andauert, ist es sinnvoll einen Arzt oder einen Psychotherapeuten aufzusuchen.
Offizielle Zahlen gibt es nicht. Aber einer aktuellen Studie mit 3800 Befragten zufolge sind in Deutschland vier bis fünf Mal so viele Landwirtinnen und Landwirte von Burnout betroffen wie Angehörige der Bevölkerung insgesamt. Mehr als doppelt so viele Landwirtinnen und Landwirte sind an Angst erkrankt. Und die Rate für Depression liegt unter ihnen der Erhebung nach dreimal höher als in der Allgemeinbevölkerung.
Finanzielle Sorgen und Anfeindungen plagten den Landwirt
"Die viele Arbeit und die Trauer um meinen Vater haben mich runtergezogen", sagt der frühere Milchbauer. "Ich wusste nicht, wie das alles weitergehen soll." Existenzängste plagten ihn, und Anfeindungen von außen. "Du bist ein Tierquäler, du betreibst Massentierhaltung, deinen Tieren geht es nicht gut" - solche Sätze habe er immer wieder gehört, sagt Rothhaupt. "Dabei haben wir alles für die Tiere gemacht. Ich hab mich für die Tiere fast aufgegeben."
Auf Anraten seiner Frau wandte sich Rothhaupt schließlich an die Ländliche Familienberatung der Diözese Würzburg. Gleich am nächsten Tag nahmen sich die Mitarbeiter dort Zeit. "Ich hab dort alle meine Probleme und meine Angstzustände angesprochen", sagt der 39-Jährige. "Ich konnte wirklich alles sagen, was mir auf dem Herzen lag." Schon nach dem ersten Gespräch sei schnell klar geworden, dass die Tierhaltung ihn besonders belastet hatte. "Könnten Sie sich vorstellen, die Kühe aufzugeben?", habe ihn die Beraterin gefragt.
Die Idee zu einem Neuanfang war da. Mit einem Berater vom Bauernverband entwickelte Rothhaupt ein neues Betriebskonzept. "Es war sehr traurig, als die Kühe abgeholt wurden. Das ist so, wie wenn man ein Familienmitglied verliert", sagt Rothhaupt. Die letzte Kuh, die den Stall verließ, sei eine "ganz verschmuste" gewesen. "Sie wegzugeben, tat besonders weh."
Hohes Arbeitspensum, Unsicherheit, Agrarpolitik, Zukunftssorgen: Ursachen für Depressionen
Anzeichen von Überlastung, Hoffnungslosigkeit, Zukunftssorgen und auch Symptome von Depression würden unter Landwirten und Landwirtinnen zunehmen, sagt Wolfgang Scharl, Leiter der Ländlichen Familienberatung der Diözese Würzburg. Ursachen seien das sehr hohe Maß an Arbeit, aber auch Zukunftsunsicherheit und agrarpolitische Entscheidungen. Gleichzeitig sinke das Ansehen der Landwirtschaft in der Gesellschaft: "Landwirte haben oft das Gefühl, sie werden zum Sündenbock für alles gemacht, ihre Arbeit wird nicht anerkannt und wertgeschätzt", sagt Scharl.
Die Ländliche Familienberatung ermutigt Betroffene, bei Anzeichen von Depression medizinische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch Christoph Rothhaupt half eine Kombination aus Gesprächstherapie und psychologischer Behandlung: "Das wichtigste für mich war, über meine Probleme zu sprechen", sagt er. Mittlerweile gehe er zwei- bis dreimal im Monat zur Therapie, in akuten Phasen würden ihm Medikamente helfen.
Er spüre noch immer Belastungen und Zukunftsängste - durch die Arbeit, die Corona-Pandemie, die große Dürre. Doch besonders seine Kinder und seine Frau gäben ihm Kraft, sagt Christoph Rothhaupt. Und: "Letztendlich bin ich dankbar für meine Depressionen, denn sie habe mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin."
Genau das ist der Punkt. Paradoxerweise zerstört ein Bad im Drachenblut der Depression manche Menschen nicht, sondern macht sie stärker "wissender" und unangreifbarer.
Ähnlich wie der Held aus der Nibelungensage Siegfried, ist man ein anderer, wenn man den Drachen getötet hat, auch wenn eine winzige, verletzliche Stelle immer bleibt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Nibelungen_(Hebbel)
Eine Depression ist eine Krankheit die Schmerzen verursacht und sich lange hinziehen kann.
Von Siegfried ist nicht überliefert dass das Bad länger gedauert oder Schmerzen verursacht hat.
Bevor man im Blut des Drachen baden kann, muss man ihn erst mal überwinden.
Komplexe Sachverhalte muss man immer vom Anfang bis zum Ende denken.
Wahrscheinlich nicht so lange wie sich Depressionen hinziehen können.
Für wen ist denn dieser Sachverhalt nun zu komplex?
Aber gut, jeder Mensch muss auf seinen eigenen Voraussetzungen aufbauen und ein Universalrezept für alle gibt es nicht.
Somit ist mir auch bekannt dass eine Metapher eine Übertragung, also ein Vergleich ist.
Und nur dadurch dass Sie ein Fremdwort dafür verwenden wird der Vergleich auch nicht besser.
Schön dass es Ihnen trotzdem geholfen hat.
Ich bin Angehörige eines Betroffenen, seit über 10 Jahren begleite ich die betreffende Person. Es kann stärker machen, wenn aber die Depression wieder zuschlägt, ist davon rein gar nichts übrig. Dann ist es ein viertes Baby, welches rundum Betreuung braucht, was enorm viel Energie benötigt. Selbst ein Spaziergang wird zum Supergau.
Das ist ein enorm breites Spektrum, was bei jedem anders ist.
Mit Siegfried hat das für mich nichts zu tun.
Davor, das öffentlich zu machen, dass Sie dieses zu viel krank gemacht hat und wie Sie sich professionelle Hilfe gesucht haben.
Habe großen Respekt davor, was vor allem die kleineren Landwirte und Familienbetriebe leisten, oft auch noch neben anderen Jobs und Verpflichtungen. Eher ein Wunder, dass das noch welche schaffen und so durchhalten. Glaube da ist oft viel Familientradition und Idealismus dabei.
Für Gesellschaft, Verbraucher und Politik muss man sich fragen bzw. halte ich (sorry, wahrscheinlich gerade jetzt nicht bei allen populär) warum auch konventionelle regionale landwirtschaftliche Produkte oft unangemessen gering vergütet werden und - scheint unter dem Hintergrund einer Mischung aus Superlobby der Agrarindustrie und Bürokratie ein Dschungel an Regularien entstanden zu sein, der kleineren Betrieben zusätzlich das Überleben erschwert und Großbetriebe EU-weit z. T. mit Fördergeldern überschüttet werden.