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Lebenhan
"Von mir war nichts mehr übrig": Landwirt Christoph Rothhaupt aus Bad Neustadt über seinen Weg aus der Depression
Ein Milchviehhalter aus Bad Neustadt geriet nach dem Tod seines Vaters in eine Abwärtsspirale. Jetzt schildert der Landwirt, was ihm half – um anderen zu helfen.
Christoph Rothhaupt, Landwirt aus Bad Neustadt, ist an Depression erkrankt und hat sich Hilfe gesucht. Jetzt geht er an die Öffentlichkeit, um anderen betroffenen Bauern zu helfen.
Foto: Christoph Weiss | Christoph Rothhaupt, Landwirt aus Bad Neustadt, ist an Depression erkrankt und hat sich Hilfe gesucht. Jetzt geht er an die Öffentlichkeit, um anderen betroffenen Bauern zu helfen.
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:46 Uhr

Ich bin in ein Hamsterrad hineingeraten. Ich hab nur noch funktioniert", sagt Christoph Rothhaupt.  "Ich hatte körperliche und seelische Schmerzen, kein Selbstwertgefühl. Mir war irgendwann alles egal." Lange habe er nicht wahrhaben wollen, dass irgendetwas mit ihm nicht stimme, meint der frühere Milchbauer aus Lebenhan, einem Ortsteil von Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld). Im letzten Moment habe er die Reißleine gezogen.

"Es wusste niemand, was ich hatte oder wie es mir ging. Man wusste nur: Der Rothhaupt hört mit den Kühen auf", sagt Rothhaupt. Es sei die schwerste Entscheidung seines Lebens gewesen. Gleichzeitig aber auch die beste. Nach dem Tod seines Vaters habe er sich so sehr selbst unter Druck gesetzt, dass er in eine Abwärtsspirale geraten sei. Sie endete in Depressionen - und der Landwirt merkte irgendwann, dass es so nicht mehr weitergehen konnte.

Depression, immer noch ein Tabuthema

Rund acht Prozent aller Deutschen erkranken jedes Jahr an Depressionen – darunter viele Landwirte und Landwirtinnen. Gesprochen wird allerdings kaum darüber. Dabei sei ein Gespräch meist das Erste, was Betroffenen hilft, sagt Rothhaupt: "Es ist wichtig, Probleme anzusprechen und mit falschen Tabus zu brechen." 

Der 39-Jährige lebt mit seiner Frau und zwei kleinen Söhnen noch immer am elterlichen Hof in Lebenhan. Milchkühe gibt es dort nicht mehr, dafür stehen sechs Mutterkühe auf einer Weide in der Nähe. Ganz ohne Kühe leben - das wollte Rothhaupt nicht: "Ich mag die Viecher einfach zu gern." Heute hat er einen Halbtagsjob und betreibt Bioackerbau im Nebenerwerb.  Seine Krankheit hat Christoph Rothhaupt öffentlich gemacht, bei Veranstaltungen und im Fernsehen klärt er über das Thema Depression auf. 

"Ich musste einfach immer funktionieren."
Christoph Rothhaupt, Landwirt aus Lebenhan 

Seine Erkrankung begann 2015. "Ich habe meine Arbeit kaum mehr fertig bekommen", erinnert sich Rothhaupt. Sieben Jahre lang war der Vater krank gewesen, immer wieder in der Klinik. "Am schlimmsten war das ständige Hoffen und Bangen." Den Milchviehbetrieb mit knapp 100 Kühen musste der Sohn immer wieder alleine aufrechterhalten: "Ich musste einfach immer funktionieren", sagt er. "Von mir war nichts mehr übrig. Ich war nur noch eine Hülle." Seine Arbeit habe er zunehmend als unbefriedigend und wenig erfolgreich wahrgenommen, sagt der 39-Jährige im Rückblick. "Die Arbeit im Stall sieht einfach niemand, dass man auch Samstag, Sonntag, manchmal sogar nachts raus muss."

Heute ist der Stall in Lebenhan, einem Ortsteil von Bad Neustadt, leer. Milchkühe hält Christoph Rothhaupt keine mehr. 
Foto: Christoph Weiss | Heute ist der Stall in Lebenhan, einem Ortsteil von Bad Neustadt, leer. Milchkühe hält Christoph Rothhaupt keine mehr. 

Nach der dritten Herzoperation wachte sein Vater nicht mehr auf. Die Belastungen am Hof zusammen mit dem frühen Tod des Seniors hätten ihn schließlich krank gemacht, sagt Rothhaupt. "Meine Frau hat irgendwann gesagt, so geht es nicht weiter. Du musst jetzt etwas machen."

Seelische Hochs und Tiefs kennt fast jede und jeder. Viele tauschen sich darüber mit dem Lebenspartner oder Freunden aus und finden so wieder zu einem inneren Gleichgewicht. Wenn eine psychische Krise über Wochen andauert, ist es sinnvoll einen Arzt oder einen Psychotherapeuten aufzusuchen.

Offizielle Zahlen gibt es nicht. Aber einer aktuellen Studie mit 3800 Befragten zufolge sind in Deutschland vier bis fünf Mal so viele Landwirtinnen und Landwirte von Burnout betroffen wie Angehörige der Bevölkerung insgesamt. Mehr als doppelt so viele Landwirtinnen und Landwirte sind an Angst erkrankt. Und die Rate für Depression liegt unter ihnen der Erhebung nach dreimal höher als in der Allgemeinbevölkerung.

Finanzielle Sorgen und Anfeindungen plagten den Landwirt

"Die viele Arbeit und die Trauer um meinen Vater haben mich runtergezogen", sagt der frühere Milchbauer. "Ich wusste nicht, wie das alles weitergehen soll." Existenzängste plagten ihn, und Anfeindungen von außen. "Du bist ein Tierquäler, du betreibst Massentierhaltung, deinen Tieren geht es nicht gut" - solche Sätze habe er immer wieder gehört, sagt Rothhaupt. "Dabei haben wir alles für die Tiere gemacht. Ich hab mich für die Tiere fast aufgegeben." 

Auf Anraten seiner Frau wandte sich Rothhaupt schließlich an die Ländliche Familienberatung der Diözese Würzburg. Gleich am nächsten Tag nahmen sich die Mitarbeiter dort Zeit. "Ich hab dort alle meine Probleme und meine Angstzustände angesprochen", sagt der 39-Jährige. "Ich konnte wirklich alles sagen, was mir auf dem Herzen lag." Schon nach dem ersten Gespräch sei schnell klar geworden, dass die Tierhaltung ihn besonders belastet hatte. "Könnten Sie sich vorstellen, die Kühe aufzugeben?", habe ihn die Beraterin gefragt.

Die Idee zu einem Neuanfang war da. Mit einem Berater vom Bauernverband entwickelte Rothhaupt ein neues Betriebskonzept. "Es war sehr traurig, als die Kühe abgeholt wurden. Das ist so, wie wenn man ein Familienmitglied verliert", sagt Rothhaupt. Die letzte Kuh, die den Stall verließ, sei eine "ganz verschmuste" gewesen. "Sie wegzugeben, tat besonders  weh."

Hohes Arbeitspensum, Unsicherheit, Agrarpolitik, Zukunftssorgen: Ursachen für Depressionen 

Anzeichen von Überlastung, Hoffnungslosigkeit, Zukunftssorgen und auch Symptome von Depression würden unter Landwirten und Landwirtinnen zunehmen, sagt Wolfgang Scharl, Leiter der Ländlichen Familienberatung der Diözese Würzburg. Ursachen seien das sehr hohe Maß an Arbeit, aber auch Zukunftsunsicherheit und agrarpolitische Entscheidungen. Gleichzeitig sinke das Ansehen der Landwirtschaft in der Gesellschaft: "Landwirte haben  oft das Gefühl, sie werden zum Sündenbock für alles gemacht, ihre Arbeit wird nicht anerkannt und wertgeschätzt", sagt Scharl.

Die Ländliche Familienberatung ermutigt Betroffene, bei Anzeichen von  Depression medizinische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch Christoph Rothhaupt half eine Kombination aus Gesprächstherapie und psychologischer Behandlung: "Das wichtigste für mich war, über meine Probleme zu sprechen", sagt er. Mittlerweile gehe er zwei- bis dreimal im Monat zur Therapie, in akuten Phasen würden ihm Medikamente helfen.

Er spüre noch immer Belastungen und Zukunftsängste - durch die Arbeit, die Corona-Pandemie, die große Dürre. Doch besonders seine Kinder und seine Frau gäben ihm Kraft, sagt Christoph Rothhaupt. Und: "Letztendlich bin ich dankbar für meine Depressionen, denn sie habe mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin." 

Online-Veranstaltung "Stress am Hof"

"Stress am Hof – wenn alles zu viel wird" ist das Thema einer Online-Veranstaltung der Ländlichen Familienberatung Würzburg und des Verbands für landwirtschaftliche Fachbildung am Donnerstag, 10. November, von 19.30 bis 20.30 Uhr. Dabei werden Anzeichen der Überlastung angesprochen, Wege aus der Krise aufgezeigt und Hilfs- und Beratungsangebote vorgestellt. 
Christoph Rothhaupt und eine betroffene Landwirtin werden dann über ihre Erfahrungen, die erlebten Vorboten des Zusammenbruchs und Auswege aus der Krisensituation berichten. Auch eine Psychiaterin mit Milchvieh-Vollerwerbsbetrieb wird dabei sein.
Anmeldung: Per Mail an info@lfb-wuerzburg.de Die Teilnahme ist anonym und kostenfrei. Für sofortige Hilfe können sich Betroffene an die Ländliche Familienberatung der Diözese Würzburg wenden, Tel. (0931) 386 63 725.
clk
 
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  • DietrichRita
    Großen Respekt für Ihre Offenheit. Sehr Mutig.Leider war eine Depression zulange ein Tabuthema. Ihnen und der ganzen Familie für die Zukunft alles Glück der Welt.
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  • kafrumbi
    Die lange Krankheit, des Vaters, war schon eine psychische Herausforderung... sich dann auch von den Tieren zu trennen... das ist noch mal eine ganz andere emotionale Geschichte.... ich wünsche Herrn Rothhaupt und seiner Familie für die Zukunft alles Glück der Welt!
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  • Arcus
    Mutig Herr Rothhaupt. Wir brauchen mehr solcher Menschen, die Probleme ansprechen und angehen.
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  • Reinshagen153@t-online.de
    Eine Panikattacke löste bei mir starke Depressionen aus. 9 Jahre lang ging ich durch die Hölle. Gesprächstherapie und psychologische Behandlung halfen nicht. In einer universitätsnahen Gesprächstherapie in WÜ erzählte schließlich eine junge Frau, dass sie kürzlich persönliche Erfahrungen mit Gott machte, die ihr innere Ruhe gegeben hätten. Das machte mich neugierig und ich erlebte die christliche Wiedergeburt und später die Geistestaufe, die mir nicht geholfen hat, sondern durch die ich geheilt wurde. Es war ein Wunder, da ich ein aussichtsloser Fall war und die Depression wie Krebs mein ganzes Wesen durchdrungen hatte.
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  • Eos123456
    Zitat: Und: "Letztendlich bin ich dankbar für meine Depressionen, denn sie habe mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin."

    Genau das ist der Punkt. Paradoxerweise zerstört ein Bad im Drachenblut der Depression manche Menschen nicht, sondern macht sie stärker "wissender" und unangreifbarer.

    Ähnlich wie der Held aus der Nibelungensage Siegfried, ist man ein anderer, wenn man den Drachen getötet hat, auch wenn eine winzige, verletzliche Stelle immer bleibt.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Nibelungen_(Hebbel)
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  • deweka
    Mal wieder ein unpassender Vergleich.

    Eine Depression ist eine Krankheit die Schmerzen verursacht und sich lange hinziehen kann.

    Von Siegfried ist nicht überliefert dass das Bad länger gedauert oder Schmerzen verursacht hat.
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  • Eos123456
    Ach ja - und es ist ein Kinderspiel und in 10 Minuten erledigt, einen Drachen zu töten?

    Bevor man im Blut des Drachen baden kann, muss man ihn erst mal überwinden.

    Komplexe Sachverhalte muss man immer vom Anfang bis zum Ende denken.
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  • deweka
    Es ist auch nicht überliefert wie lange der Kampf genau gedauert hat.
    Wahrscheinlich nicht so lange wie sich Depressionen hinziehen können.

    Für wen ist denn dieser Sachverhalt nun zu komplex?
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  • Eos123456
    Ich werde versuchen Ihnen zukünftig in leichter Sprache deutlich zu machen was eine Metapher ist. Mir selbst hat eine tiefgründige intellektuelle Beschäftigung mit Bildern, Archetypen und Metaphern sehr geholfen meine eigene Depression zu überwinden und gestärkt aus ihr hervorzugehen.

    Aber gut, jeder Mensch muss auf seinen eigenen Voraussetzungen aufbauen und ein Universalrezept für alle gibt es nicht.
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  • deweka
    Ich komme eigentlich mit der deutschen Sprache recht gut zurecht.

    Somit ist mir auch bekannt dass eine Metapher eine Übertragung, also ein Vergleich ist.

    Und nur dadurch dass Sie ein Fremdwort dafür verwenden wird der Vergleich auch nicht besser.

    Schön dass es Ihnen trotzdem geholfen hat.
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  • Eos123456
    Mir ist jetzt mittlerweile auch klargeworden, dass ich bei Ihren überragenden Fachkenntnissen und Ihrer tiefgreifenden metatextuellen Kompetenz nicht mithalten kann. Daher möchte ich mich nicht weiter zum Sachverhalt äußern.
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  • deweka
    Das war jetzt eigentlich nur Schulwissen aus dem Deutschunterricht.
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  • ra.kellermann@gmx.de
    ich glaube Sie sprengen hier das Niveau...wäre eher was für die Süddeutsche oder so.. zwinkern
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  • Albatros
    Wenn wir uns gegenüber selbst ehrlich sind, dann waren die meisten von uns alle schon einmal an einem Punkt, wo wir nicht mehr wussten wie es weiter gehen soll. Ob dies nun Ängste, Zwänge oder andere Erscheinungen, es ist eine Krankheit wie jede Andere. Heute sind wir schon deutlich mehr in der Lage offen über solche Situationen zu sprechen, vor 30 Jahren war dies ein Tabuthema. Wenn man heute einen Termin bei einem Psychologen haben möchte ist es gut möglich, dass sie nach 3 - 4 Monaten einen solchen bekommen. Das zeigt letztlich, wie überfüllt die Praxen sind und wie viele Menschen psychische Probleme haben.
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  • frosch86
    Und am Ende hat es ihn doch dahin gerafft.

    Ich bin Angehörige eines Betroffenen, seit über 10 Jahren begleite ich die betreffende Person. Es kann stärker machen, wenn aber die Depression wieder zuschlägt, ist davon rein gar nichts übrig. Dann ist es ein viertes Baby, welches rundum Betreuung braucht, was enorm viel Energie benötigt. Selbst ein Spaziergang wird zum Supergau.

    Das ist ein enorm breites Spektrum, was bei jedem anders ist.

    Mit Siegfried hat das für mich nichts zu tun.
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  • HoPlo164
    Sehr guter Artikel und Respekt, Herr Rothhaupt!

    Davor, das öffentlich zu machen, dass Sie dieses zu viel krank gemacht hat und wie Sie sich professionelle Hilfe gesucht haben.

    Habe großen Respekt davor, was vor allem die kleineren Landwirte und Familienbetriebe leisten, oft auch noch neben anderen Jobs und Verpflichtungen. Eher ein Wunder, dass das noch welche schaffen und so durchhalten. Glaube da ist oft viel Familientradition und Idealismus dabei.

    Für Gesellschaft, Verbraucher und Politik muss man sich fragen bzw. halte ich (sorry, wahrscheinlich gerade jetzt nicht bei allen populär) warum auch konventionelle regionale landwirtschaftliche Produkte oft unangemessen gering vergütet werden und - scheint unter dem Hintergrund einer Mischung aus Superlobby der Agrarindustrie und Bürokratie ein Dschungel an Regularien entstanden zu sein, der kleineren Betrieben zusätzlich das Überleben erschwert und Großbetriebe EU-weit z. T. mit Fördergeldern überschüttet werden.
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