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Willmars
Missbrauchsopfer über Besuch der Bischöfin in Willmars: "Es wurde wieder mal über uns und nicht mit uns geredet"
Regionalbischöfin Gisela Bornowski kam zum Info-Gespräch in die Rhön, aber nicht zu den Betroffenen und nicht öffentlich. Wieso es Kritik an der Aufarbeitung gibt.
Gisela Bornowski, Regionalbischöfin des Kirchenkreises Ansbach-Würzburg, war jetzt in Willmars in der Rhön. Dort traf sie sich unter anderem mit Bürgermeister, Diakonie- und Kirchenvorstand.
Foto: Daniel Vogt, Diakonieverein Willmars, Biscan | Gisela Bornowski, Regionalbischöfin des Kirchenkreises Ansbach-Würzburg, war jetzt in Willmars in der Rhön. Dort traf sie sich unter anderem mit Bürgermeister, Diakonie- und Kirchenvorstand.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 07.02.2025 02:35 Uhr

Regionalbischöfin Gisela Bornowski hat sich auf den Weg in den nördlichsten Bereich ihres Kirchenkreises Ansbach-Würzburg gemacht – und kam nach Willmars im Landkreis Rhön-Grabfeld. Der Grund war kein schöner. Und eilig hatte sie es mit ihrem Besuch auch nicht.

Vorwürfe lange bekannt: Missbrauchsfälle im Kinderheim vor Jahren gemeldet

Vor zehn Jahren bereits hat Klaus Spyra seinen schweren sexuellen Missbrauch durch einen Diakon, der von 1969 bis 1971 das Kinderheim Nicolhaus in Willmars geleitet hatte, der bayerischen Landeskirche gemeldet. Mehrmals machte er in der Öffentlichkeit darauf aufmerksam. Doch erst seit rund zehn Monaten sorgen die Vorwürfe von ihm und weiteren Betroffenen verstärkt für Aufregung im Ort.

Die Bischöfin wusste also von Willmars. In einem Gespräch mit dieser Redaktion im November 2023 antwortete Bornowski auf die Frage, ob seit Beginn ihrer Amtszeit vor zehn Jahren viele Missbrauchsvorwürfe bekannt geworden seien:  "Erfreulicherweise nicht." Sie erläuterte kurz Vorfälle in Schweinfurt und Würzburg und nannte auch Willmars. Mit diesem Fall sei sie jedoch nicht befasst, sagte die Bischöfin. Ihr seien keine Einzelheiten bekannt.

Inzwischen ist vieles bekannt: Im April 2024 äußerten die Betroffenen Hermann Ammon und Klaus Spyra gegenüber dieser Redaktion erstmals: Auch der frühere Ortspfarrer sei ein brutaler Schläger und Missbrauchstäter gewesen. Im Herbst wurden Ammon und Spyra vom ehemaligen Willmarser Bürgermeister Gerhard Schätzlein, ein Freund des Ortspfarrers, der Lüge bezichtigt. Frauen meldeten sich daraufhin und erzählten: Eine Heimleiterin sei Mitwisserin gewesen und habe ein Verhältnis mit einem älteren Heimkind gehabt. Auch eine Person aus dem Umfeld des Heims soll Mädchen gegenüber sexuell übergriffig gewesen sein.

Klaus Spyra (links) und Hermann Ammon im Sommer 2024 in Willmars. Sie berichten von schweren körperlichen und sexuellen Missbrauch in den 1960/70er Jahren im Kinderheim in Willmars.
Foto: Daniel Biscan | Klaus Spyra (links) und Hermann Ammon im Sommer 2024 in Willmars. Sie berichten von schweren körperlichen und sexuellen Missbrauch in den 1960/70er Jahren im Kinderheim in Willmars.

Spyra und Ammon forderten vor Monaten schon, dass hochrangige Vertreter der evangelischen Landeskirche nach Willmars kommen und die Gemeinde in einer öffentlichen Veranstaltung über die Vorwürfe informieren sollten. Die schweren Anschuldigungen - vor allem die gegen den Ortspfarrer - würden die Gemeinde zerreißen.

Besuch der Regionalbischöfin vor Ort: Internes Treffen

Anfang Januar war es schließlich so weit. Regionalbischöfin Gisela Bornowski kam nach Willmars - allerdings zu einem internen Treffen mit dem Kirchen- und Diakonie-Vorstand. Die Bevölkerung und auch die Betroffenen blieben außen vor.

Begleitet wurde Bornowski unter anderem vom Bad Neustädter Dekan Karl-Uwe Rasp. Auf Nachfrage bestätigt die Sprecherin der Evangelisch Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB), Christine Büttner, dass auch Bürgermeister Reimund Voß an dem Informationsgespräch teilnahm. Kirchengemeinde und Diakonieverein Willmars hätten dieses Treffen gewünscht. Die Initiative sei von der Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der ELKB gekommen, sagt Büttner.

"Wir Betroffene haben es zwar schon seit langem gefordert, aber erst wenige Stunden vor Beginn des Treffens die Nachricht erhalten, dass die Bischöfin nach Willmars kommt", wundern sich Spyra und Ammon. "Es wurde wieder mal über uns und nicht mit uns geredet." 

Zu den Ergebnissen des Treffens sagt Kirchensprecherin Büttner: "Alle Beteiligten sind von der Notwendigkeit einer externen Aufarbeitung überzeugt. Alle Beteiligten halten die Aussagen der betroffenen Personen für glaubwürdig." Durch eine Arbeitsgruppe solle mit betroffenen Personen ein möglicher Fahrplan für einen externen Aufarbeitungsprozess erstellt werden.

"Wir stehen immer noch am Anfang."
Klaus Sypra und Hermann Ammon über die Missbrauchsaufarbeitung

Dies ist nicht neu, eine Aufarbeitung durch eine externe, unabhängige Person ist seit Monaten ein Anliegen der Betroffenen. Sie wollen nicht länger warten und fordern Aufklärung: "Wir stellen viele Fragen und erhalten keine Antworten", ärgern sich Spyra und Ammon. 

Betroffene: Aufarbeitungsgespräche eher wie "Kaffeekränzchen"

Die Aufarbeitungsgespräche der Betroffenen in Willmars mit Vertreterinnen von Diakonie und Landeskirche Bayern seit Mai seien eher "Kaffeekränzchen" gewesen, sagt Ammon. "Man trifft sich, redet und geht wieder auseinander, mehr nicht." Er misse "Gespräche auf Augenhöhe". Spyra sagt, er sei nahe dran gewesen, an den Treffen nicht mehr teilzunehmen.

Inzwischen nehmen sechs Opfer an den Gesprächen teil. Erst das vierte Treffen in diesem Januar sei strukturierter und von den Diakonie- und Landeskirchenvertreterinnen besser vorbereitet gewesen, sagt Ammon. "Wir stehen jedoch immer noch am Anfang." Geplant sei unter anderem ein Beirat, in dem auch Opfer vertreten sein sollen, und eine externe unabhängige Aufarbeitung. Die Betroffenen hoffen auf erste Ergebnisse in einem Jahr.

Warum sich Bischöfin Gisela Bornowski nicht früher mit dem Fall befasst hat? Aufgrund der föderalen Struktur der evangelischen Kirche sei der jeweilige Rechtsnachfolger der Institution, in der die Übergriffe stattgefunden haben, für die Aufarbeitung verantwortlich, antworteten im April 2024 Sprecher von Diakonie und Landeskirche. Im Fall Willmars also der Träger des Nicolhauses, der Diakonie-Verein. Auf Wunsch erhalte er Hilfe von nächsthöheren Ebenen.

 
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  • Gerhard Hörlin
    Sehr geehrte Frau Jeschke,
    vielen Dank, dass Sie an diesem Thema dranbleiben und zur Aufarbeitung der schweren Miss-brauchsvorwürfe beitragen. Für mich als Leser stellen sich die über fünfzig Jahre zurücklie-genden Ereignisse sehr komplex dar. Die wichtigen Fragen sind für mich: Wer sind die Täter? Leben diese noch? Können diese heute noch zur Verantwortung gezogen werden? Wer waren die Mitwisser, die nichts unternommen haben? Was können die heutigen Verantwortlichen der Kirche tun, um den Missbrauchsopfern zu helfen? Hierzu würde ich mir Antworten oder zumindest Antwortversuche wünschen.
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  • Ingrid Reichelt-Schölch
    Wirkt auf mich wie die wirksamen Verzögerungstaktiken vonVersicherungen bei der ein oder anderen schweren Erkrankung, schlimmer noch, falls entstanden durch ärztliche o. Pflegefehler: warten, ob der Kläger rechtzeitig stirbt oder entnervt aufgibt!

    Das soll nicht die Zuweisung von Generalverdacht sein, doch wer so etwas wie ich in Softversion gegen ein KH erleben durfte, weiß, dass gute Nerven, engagierter Anwalt, das Selbstvertrauen, mutig selbst mit vor Gericht zu erscheinen, ggf. finanzielle Ressourcen für besondere Honorare, fast unabdingbar sind.

    Den Opfern mein Mitgefühl, viel Kraft u. Erfolg - auch für die Seele!

    Unfassbar, wie leicht es den Kirchen gemacht wird, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen: notfalls kann, s. aktueller Fall der kath. Kirche, evtl. die Verjährung helfen.

    Allerdings dürfte es manchen Außenstehenden schwerfallen, das emotionale Ziel der Missbrauchten vor Gericht zu verstehen, wenn dann außer Recht bekommen keine Konsequenzen folgen. Bittere Pille!
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  • Ralph Milewski
    Wieder einmal wurde über die Betroffenen gesprochen, aber nicht mit ihnen. Dieses Muster zeigt sich nicht nur bei der Aufarbeitung von Missbrauch, sondern auch bei Menschen mit Behinderung und anderen marginalisierten Gruppen. Institutionen behalten die Deutungshoheit, während Betroffene bevormundet und fremdbestimmt bleiben. Statt echter Teilhabe und Aufarbeitung gibt es Verzögerungstaktiken, Alibi-Maßnahmen und Machterhalt durch die Verantwortlichen.
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