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Schweinfurt
Ausstellung zu Missbrauch und Gewalt in St. Johannis in Schweinfurt: Warum mehr Menschen hinschauen sollen
Künstler Norbert Kleinlein hat eine Botschaft: Reden ist Gold. Hinschauen tut weh, hilft aber  Opfern von Missbrauch und Gewalt. Dafür kämpft er mit seinen Mitteln. 
Bei der Ausstellung von Norbert Kleinlein in St. Johannis 'Nein zu Missbrauch und Gewalt' von links: Gisela Bruckmann, Norbert Kleinlein und Dekan Oliver Bruckmann.
Foto: Susanne Wiedemann | Bei der Ausstellung von Norbert Kleinlein in St. Johannis "Nein zu Missbrauch und Gewalt" von links: Gisela Bruckmann, Norbert Kleinlein und Dekan Oliver Bruckmann.
Susanne Wiedemann
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:49 Uhr

Schweigen ist Gold. Nein, sagt Norbert Kleinlein. Reden ist Gold. Hinschauen kann wehtun, aber wegschauen ist kein Zeichen von Menschlichkeit. Damit bringt der Schweinfurter Künstler zum Abschluss seiner zweiwöchigen Ausstellung "Nein zu Missbrauch und Gewalt" in St. Johannis auf den Punkt, worum es ihm bei diesem Thema geht. Kleinlein will etwas bewegen, mit seinen ebenso empathischen wie schonungslosen Zeichnungen. Er will das Leid zeigen, die Verletzungen der Opfer. Und damit auch auffordern, nicht wegzuschauen.  

Nicht wegschauen. Das ist auch für Dekan Oliver Bruckmann der Kern der Ausstellung, die er nach St. Johannis geholt hat. Tief bewegt haben ihn die Arbeiten Kleinleins, die er vor einiger Zeit in seinem Atelier gesehen hat, sagt er beim Gespräch in der Kirche, ein Teil des Rahmenprogramms, mit Norbert Kleinlein. Kunst kann auf etwas aufmerksam machen, ist seine Überzeugung. Und zwar so, dass man nicht wegschauen kann, bei diesem existenziell wichtigen und notwendigem Thema . "Es sei denn, man ist gefühllos."

Pfarrerin Gisela Bruckmann moderiert das Gespräch zum Abschluss der Ausstellung. Sie fragt Kleinlein, ob Kunst politisch oder gesellschaftlich etwas bewegen kann. "Ich hoffe. Sonst würde ich so ein Thema nicht bearbeiten", sagt Kleinlein. "Es geht nicht um schöne Bilder. Es geht um das Thema."

Für Betroffene ist es oft nicht einfach, zu erzählen, was passiert ist

Kleinlein erzählt von einem Freund, der mit über 70 immer noch traumatisiert ist, von dem, was ihm als Jugendlicher angetan wurde. Und davon, dass ihm seine Mutter damals nicht geglaubt hat. "Über 60 Jahre ist das her und er hat das nicht verarbeitet." Wie schwer es für Betroffene und Opfer ist, sich zu melden, sich zu äußern, auch darum geht es bei diesem letzten Ausstellungsabend. "Manche Frau denkt sich, hätte ich doch keine Anzeige erstattet", sagt eine Zuhörerin bei der Diskussion nach dem Gespräch zwischen Künstler Kleinlein und Aussteller Bruckmann. Opfer müssten bei Polizei und Justiz viel durchmachen. Da widerspricht niemand.

"Jeder Vorfall ist zu viel. Leben werden zerstört"
Regionalbischöfin Gisela Bornowski

"Jeder Vorfall ist zu viel. Leben werden zerstört", formuliert es zuvor Regionalbischöfin Gisela Bornowski, Missbrauchsbeauftragte des Landeskirchenrates, die im Rahmenprogramm zum Thema Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern spricht. Auch sie geht darauf ein, wie schwer es oft für Betroffene ist, zu sagen, dass ihnen Gewalt angetan wurde, jemand seine Macht ihnen gegenüber missbraucht hat. Opfer stehen oft als Nestbeschmutzer da, gerade, wenn der Täter eine Respektsperson ist. "Ich schäme mich für die Kirche, dass sie Menschen so etwas antut."

Evangelische Kirche setzt auf ein Präventionskonzept und Schulungen

Regionalbischöfin Gisela Bornowski in der Ausstellung von Norbert Kleinlein in St. Johannis mit dem Titel 'Nein zu Missbrauch und Gewalt'.
Foto: Susanne Wiedemann | Regionalbischöfin Gisela Bornowski in der Ausstellung von Norbert Kleinlein in St. Johannis mit dem Titel "Nein zu Missbrauch und Gewalt".

Die Verletzungen würden nie verheilen, Traumatisierungen kämen immer wieder hoch. Deswegen gäbe es ein Präventionskonzept, das in allen Einrichtungen, allen Kirchengemeinden  sensibilisieren soll, aufmerksam zu sein, genau hinzuschauen, auf Zeichen zu achten, dass etwas nicht stimmt. Dazu gehören Risikoanalysen, Schulungen für alle, egal ob hauptamtlich oder ehrenamtlich, und Schutzprogramme. "Auch der letzte Winkel des Gemeindehauses muss ein sicherer Ort sein." Es gibt eine Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt. Man will Betroffene unterstützen, ihnen geschützte Räume bieten. "Wir wollen wissen, was passiert ist, und daraus lernen."  

Als Gisela Bornowski spricht, sitzen im Publikum die Eltern eines Mädchens, das traumatisiert ist von Grenzüberschreitungen/Übergriffen eines Kirchenmitarbeiters. Lange habe es gedauert, einen Therapieplatz zu finden, erzählen sie. Die Unterstützungsmöglichkeiten, die es jetzt gibt, hätte sie damals gerne in Anspruch genommen. "Das hätte uns sehr geholfen", sagt die Mutter. "Sie sind auf einem guten Weg", sagt der Vater. Was er und seine Frau sich noch gewünscht hätten: Dass auch nach der juristischen Aufarbeitung jemand von der Kirche Kontakt aufnimmt, fragt, wie es dem Mädchen geht. Oder sich erkundigt, ob man noch Hilfe brauche. Gisela Bornowski will das in das Konzept mit aufnehmen. 

Wie ist die Ausstellung angekommen? Wer sich damit auseinandergesetzt hat, hat sicher einiges zum Nachdenken mitgenommen. Überbordend war der Besuch allerdings nicht, sagen Gisela und Oliver Bruckmann. Es gab wohl auch Kirchenbesucher, die sich gescheut haben, in Richtung Turmkapelle zu gehen und sich die Zeichnungen anzuschauen.

Eine Besucherin erzählt, dass sie kunstinteressierte Bekannte nicht zu einem Besuch bewegen konnte. Hinschauen scheint eben nicht einfach zu sein. Umso wichtiger, dass jemand wie Norbert Kleinlein dranbleibt, Blicke zu lenken. Hinschauen ist existenziell, sagt Oliver Bruckmann: "Jeder betroffene Mensch ist einer zu viel." Sexualisierte Gewalt sieht er überall da, wo es Machtgefüge gibt. Also überall. Es gibt also genug zum Hinschauen. 

 
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