Freudentränen mischen sich unter zurückhaltende, teils ängstliche Blicke, als 25 Geflüchtete aus der Ukraine in Thüngen aus dem Reisebus steigen. "Mir ham's gschafft!", sagt Gerda Hoffmann von Werntal-Reisen sichtbar stolz, als sie aus dem Bus steigt. Sie hat die Reise an die ungarisch-ukrainische Grenze organisiert. Das sei die schnellste und einfachste Möglichkeit gewesen, zu helfen, sagt Hoffmann.
Unterstützt wurde sie von der gebürtigen Ukrainerin Oksana Schall, die seit 14 Jahren in Thüngen wohnt und während der Reise vor allem als Dolmetscherin fungierte. An der Grenze sei es laut Schall nicht einfach gewesen, die Ukrainerinnen und Ukrainer zu überzeugen, in den warmen Bus einzusteigen, in dem sie rundum versorgt werden. Viele wollen nicht weit weg, sagt Schall, "weil sie immer die Hoffnung haben, dass es bald zu Ende ist, und sie zurückkönnen zu ihrem Opa, Papa oder Bruder".
Ukrainische Familie hat eine Nacht an der Tankstelle geschlafen
"Die, die mitgekommen sind, sind die, die überhaupt nicht wussten, wohin sie sollen", so Schall. Eine Familie habe sogar eine Nacht an einer Tankstelle übernachten müssen. Als der Bus losgefahren ist, sei bei vielen Ukrainerinnen und Ukrainern die Anspannung gefallen. Schall selbst hat ihre Mutter und eine Freundin mit ihrer Familie in den Bus und zu sich nach Hause geholt. Ihr Bruder ist mit seiner Familie noch in der Ukraine im Kriegsgebiet. Sie möchten mit dem Auto fliehen, aber aktuell sei die Angst zu groß.
Als Putin den Krieg begonnen hat, war Schall "enttäuscht, sauer, frustriert und traurig". Einen Tag lang habe sie geweint. "Es ist schwer, nichts zu tun", sagt sie. In Ihrem WhatsApp-Status habe sie einen Hilfsaufruf für Sachspenden geteilt. Ihre Freundinnen und Freunde haben diesen weiterverbreitet, sodass am Ende allein mit Spenden aus Thüngen ein ganzer LKW mit Hilfsgütern beladen werden konnte. Die Reise an die Grenze aber sei von den Hoffmanns initiiert worden. "Es war ihre Idee, ihre Kosten, ihre Zeit, ihre Arbeit". Neben den Spritkosten sind die Hoffmanns auch für die Verpflegung aufgekommen.
Gastfamilien warten auf die 25 Frauen und Kinder aus der Ukraine
Am 1. März 9 haben Gerda und ihr Mann Roland Hoffmann den Beschluss gefasst, in die Ukraine zu fahren. Bereits vier Tage später, am Samstag, ging es los, den Bus hatten sie zuvor mit Hilfsgütern vollgepackt, die an der Grenze ausgeladen wurden.
Als der Bus am Dienstagvormittag in Thüngen ankommt, warten schon die Gastfamilien auf die 25 Frauen und Kinder. Es sind berührende Momente, als sich Fremde die Hände schütteln, vorsichtig kennenlernen, erste Worte austauschen und in vielen Gesichtern neben der Unsicherheit ein Lächeln zu sehen ist.
Bürgermeister Lorenz Strifsky hat bereits ukrainische Flüchtlinge aufgenommen
Ohne Werntal-Reisen und den Bürgermeister hätte das nicht funktioniert, sagt Schall. "Ich war nur ein Rädchen von vielen Rädchen, die zusammen gerollt sind." Schall verweist immer wieder auf den großen Zusammenhalt in Thüngen, den es so wohl nur auf dem Dorf gebe.
Um die privaten Unterkünfte für die Geflüchteten hat sich Bürgermeister Lorenz Strifsky gekümmert. Das sei nicht immer einfach gewesen, vor allem, wenn die Menschen ihre Hunde oder Katzen dabeihaben, sagt er. Strifsky selbst hat bereits am Freitag spontan eine Familie mit einer Katze und zwei Kindern im Alter von fünf und sieben Jahren bei sich aufgenommen.
Am frühen Dienstagmorgen suchte Strifsky noch nach einer Unterkunft für zehn Leute, die mit dem Auto nach Thüngen kommen. "Wenn ich nichts finde, muss ich sie im schlimmsten Fall nach Geldersheim (Lkr. Schweinfurt) ins Ankerzentrum bringen", sagt er. Wenige Stunden später ist klar: Sie können im Schwarzen Adler unterkommen. Doch Strifsky geht davon aus, dass noch mehr Flüchtlinge aus der Ukraine nach Thüngen kommen werden, da sich die Familien und Freunde untereinander vernetzen.
Neben Geld- und Sachspenden bieten Firmen den Geflüchteten Arbeitsstellen an
"Das kann die Gesellschaft nur gemeinsam stemmen", sagt Strifsky. Er ist dankbar, dass neben Sachspenden auch rund 2500 Euro Geldspenden bei ihm eingegangen sind. Zudem hätten ihm Firmen angeboten, dass sie Flüchtlinge als Arbeitskräfte einstellen können.
Unterdessen denkt Roland Hoffmann trotz der kraftraubenden Reise bereits an die Zukunft. "Wenn es gut geht, fahren wir vielleicht nochmal an die Grenze", sagt er.