
Schlecker, Ihr Platz, Kupsch, Edeka, Arztpraxen: "Es sind viele Frequenzbringer weg", sagt Achim Haas vom Juweliergeschäft Blickwinkel über die Karlstadter Innenstadt. Die kommen auch nicht zurück, dem ist er sich bewusst. Seit 2004 ist er Einzelhändler in Karlstadt. Haas will auf keinen Fall jammern – er will anpacken und die Innenstadt lebendig halten.
Die Realität vor seinem Laden ist anders als noch vor 20 Jahren: "Man geht aus der Tür raus, guckt nach links, guckt nach rechts: Es gibt Tage, da sieht man niemanden. Das war früher definitiv nicht der Fall", sagt er. Gerade die Bahnlinie, verbunden mit der kommunalpolitisch vieldiskutierten Bahnunterführung, trenne die Menschen aus der Siedlung von der Altstadt: "Ich höre oft: Ich bin seit drei Monaten mal wieder in der Stadt", berichtet er aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis. Für die Einkäufe werde aus der Siedlung heraus das Auto genutzt, die Innenstadt hätten viele "nicht mehr auf dem Schirm".
Als größte Herausforderung sieht Haas dabei den Online-Handel an. Carolin Müller vom Stadtmarketing pflichtet ihm bei: Mit der Effizienz, Geschwindigkeit und Auswahl online lässt sich nicht konkurrieren. Warum will sich Haas diesem Druck weiterhin entgegenstellen? Und warum erst Katja Heußlein, die im September 2024 in der Langgasse den Laden LunaLou für Baby- und Kindermode eröffnet hat?
Die Altstadt als Ort der Begegnung
"Es macht mir immer noch Spaß", sagt Haas und man kann ihm abkaufen, dass ihm Karlstadt wichtig ist. "Du bist irgendwie Teil von einer Gemeinschaft", erklärt er. Manche Kundinnen und Kunden kenne er seit Jahren, zuerst als Kinder, später für die Eheringe. Er kannte die Großeltern, und später stehen die Enkel wieder bei ihm im Landen. "Sie sagen: Das ist von der Oma Erika, das hab ich damals gekriegt, da würde ich jetzt gerne etwas daraus machen lassen."
Für Heußlein ist es wichtig, sich von der Qualität der Produkte vor Ort überzeugen zu können. Selbst Fünffach-Mama weiß sie: "Ich weiß, ich bezahle mehr, aber wenn ich es einmal in den Trockner haue, ist es noch genau wie vorher." Die Nachhaltigkeit der Produkte, dass man "länger etwas davon hat", will sie mit ihrem Laden weiterhin greifbar machen.
Für Müller hat die Altstadt auch eine gesellschaftliche Bedeutung. "Ich habe lange in den USA und in Mexiko gelebt und ich habe gesehen, wie es ist, wenn es keine Innenstädte gibt", sagt sie. Was es mit einer Gesellschaft macht, wenn sich unterschiedliche Einkommens- und Gesellschaftsschichten nicht mehr mischen. "Es zerfetzt sie, da gibt es gar kein anderes Wort dafür", sagt sie. Die Innenstadt ist für sie zentral für dieses "Durchmischen".
Kreativ-Konzepte füllen die leerstehenden Geschäftsräume
Wie geht es also weiter für die Altstadt? Reines Termingeschäft wie etwa im Fotostudio Müller käme für Heußleins Modegeschäft nicht infrage. Sich gegenseitig mehr zu unterstützen – weil in vielen Bereichen mangels eines gleichartigen Geschäfts sowieso die Konkurrenz wegfällt – könnte ein Ausweg sein. Müller weiß, dass einige Händler das bereits in den Sozialen Medien tun, Beiträge anderer teilen etwa. Aber das klappt auch noch ganz klassisch im echten Leben. Kinderkleidung könnte ja zu den Kinderschuhen aus Marions Schuhladen passen. "Da haben wir letztens auf der Straße schon einmal kurz geredet", sagt Heußlein.
Malen, Musik, Backen, Yoga – viele kreative Konzepte waren zuletzt unter den Neueröffnungen in der Altstadt, zählt Carolin Müller auf. "Ja, der Einzelhandel wird weniger, das werden wir auch nicht aufhalten, aber wir haben mit diesen ganzen Angeboten eine ganz interessante neue Keimzelle. Und ich kann nur hoffen, dass da mehr kommt", sagt sie.
Die weiteren Vorschläge von Müller, Haas und Heußlein sind keine unbekannten Themen. Mehr Grün, mehr Weihnachtsdeko abseits der Hauptachsen, weniger Leerstand. Bei letzterem Punkt halten die drei nicht an der Idee fest, auf Biegen und Brechen wieder Handel in die Geschäfte zu bringen. Auch Umnutzungen für Wohnraum oder Büros können sie sich vorstellen.
Wichtig ist es Haas zu betonen, dass die Nachfrage das Angebot bestimmt. "Man hat es damit in der Hand. Wenn man es nicht nachfragt, müssen wir es irgendwann aus dem Sortiment nehmen", sagt er in Bezug auf die Verlagerung Richtung Onlinehandel. Das will er ohne Vorwurf loswerden und kompensiert die Situation durch Angebote wie Events oder durch Spezialisierung auf den Werkstattbetrieb. Loswerden will er es trotzdem in diesem Gespräch und fügt an: "Wir sind gewillt, uns dem zu stellen."