
Rote Luftballons kündigen seit einiger Zeit den Räumungsverkauf bei Marions Schuhladen in Karlstadt an. Doch es soll keine Geschäftsaufgabe werden, sondern ein Neuanfang. Marion Seit zieht mit ihrem Geschäft in die Hauptstraße, ins Fotostudio der Familie Müller. Inhaber Jürgen Müller und Seit sehen in diesem Umzug gegenseitige Vorteile. Und etwas ganz Neues ist das dort auch nicht: "Ich habe die Erinnerung, hier war ganz früher auch ein Schuhladen", sagt Seit.
Vor mehr als einem Jahr habe Müller sie bereits darauf angesprochen, ob sie nicht in die Hauptstraße ziehen möchte. Da habe Seit sich zunächst gedacht: "Ja cool, machst du!" Schnell verwarf die Ladenbesitzerin den Gedanken aber wieder: "Dann hat mich der Mut verlassen", gibt sie zu. Die Geschäftszahlen hätten sie zurückgehalten, das macht Seit vor allem an der Inflation fest. Seit September spüre sie jedoch, dass es wieder aufwärts gehe. Also gibt sie ihren ursprünglichen Standort in der Alten Bahnhofstraße nach fast elf Jahren auf.
Keine Sorgen wegen Personalmangels oder Online-Konkurrenz
Für die Zeit bis zum Einzug des Schuhgeschäfts hatte Müller die Fläche noch über das Stadtmarketing angeboten. Einen Pop-up-Laden hätte er sich darin vorstellen können, der mit einer Verkaufsidee das Weihnachtsgeschäft mitnimmt. Aber es gab keine einzige Rückmeldung: "Mangelndes Interesse, obwohl es in den Medien und über die sozialen Kanäle bekannt gemacht wurde", musste Müller feststellen. Allgemein glaubt er, dass aktuell die Neueröffnungen meist im Nebenerwerb laufen. Oder Leute ihre Produkte in laufenden Geschäften ausstellen, ergänzt Seit. Den Sprung in die komplette Abhängigkeit vom Einzelhandel beobachten sie derzeit nicht.
Der überall herrschende Personalmangel hat Seit nicht von der Vergrößerung abgehalten: Der Umzug in die Hauptstraße bedeutet zwar auch mehr Ladenfläche, die Seit jedoch zunächst mit einer Teilzeit-Kraft bespielen will, die bereits für sie arbeitet.
Sorgen vor der Konkurrenz des Online-Handels macht sich Seit ebenfalls keine. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf Kinderschuhen, dabei ist ihre Erfahrung: "Die Eltern wollen eine Beratung". Bei den Damenschuhen hingegen merkt sie einen Rückgang, auch Herrenschuhe will sie weiterhin nicht ins Sortiment nehmen.
Die Konkurrenz aus Würzburg sei bestimmt da, meint Seit. "Das finde ich aber auch okay", sagt sie. Im Gegenzug habe sie auch Kundschaft aus Würzburg. Die Kunden würden gezielt kommen, wenn sie etwas Spezielles kaufen möchten. "Wir sind ja keine Einkaufsstadt mehr, wo man etwas erlebt, wo man bummeln geht", sagt Müller. "Wir sind jetzt schon eine Wohnstadt mit Geschäften."
Eine Symbiose erhoffen sie sich trotzdem vom Zusammenziehen. Wer Schuhe kauft, könnte auch einen Fototermin ausmachen und umgekehrt. Schon jetzt funktioniere die Wertschöpfungskette beim Einkauf in der Altstadt, bemerken die beiden: "Kinder essen immer ein Eis nach dem Schuhkauf", weiß Seit. Und wer Bewerbungsfotos mache, kaufe sich vorab in der Stadt etwa ein Hemd, hat Müller bereits erlebt.
Seit: "In Karlstadt ist noch nicht der Ofen aus"
Für die Hauptstraße wünscht er sich mehr Begrünung und eine Spielecke. Das Ziel: Die Geschwindigkeit reduzieren, mit der Familien durch Karlstadt laufen. Dabei seien die Leerstände ein Problem: "Wenn ein Kunde mehr als zehn Meter ohne ein Geschäft läuft, dann hört man auf zu laufen", sagt Müller.
Seit und Müller hoffen, dass die Stimmung unter den Einzelhändlern positiv bleibe und ihr Umzug auch ein Zeichen setzt. "Dass der ein oder andere sieht: Hier ist noch nicht der Ofen aus", sagt Seit. Für die Zukunft müsse Müller zufolge jedoch auf jeden Fall etwas passieren in der Stadt; er denkt an eine Art Leuchtturmprojekt, das Menschen in die Stadt ziehe. "Etwas Verrücktes. Eine Seilbahn auf die Karlburg und eine Sommerrodelbahn auf der anderen Seite runter", wirft er als Beispiel in den Raum.
Für das Fotostudio sind Laden-Öffnungszeiten mittlerweile zu aufwendig, erzählt Müller. Die Kunden kämen gezielt für Fotos, manchmal frühmorgens oder spätabends. Trotzdem bleibe das Ladengeschäft neben der Studiofotografie erhalten, allerdings laufe alles nur noch über Termine.
Das Fotostudio hat durchgehend geöffnet, schon nach Weihnachten soll jedoch der Ausstellungsraum unten geschlossen sein. Der Eingang zum Fotostudio findet sich dann an der Seite des Gebäudes; über den Haupteingang wird es in den Schuhladen gehen. Seit plant ein, dass ihr Geschäft während der abschließenden Umzugsphase für etwa zwei Wochen geschlossen bleibt, bevor sie den neuen Laden in der Hauptstraße eröffnet.