Von bitterer Aktualität geprägt war die städtische Gedenkstunde zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht auf dem Platz vor der ehemaligen Synagoge in Hammelburg. Bürgermeister Armin Warmuth erinnerte vor der Kranzniederlegung an die "Nacht der Schande", bei der Nationalsozialisten 1938 auch in Hammelburg eine Spur der Verwüstung hinterließen.
Rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Mit ihrem Gedenken daran setzten nach Schätzungen der Veranstalter rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Signal gegen Antisemitismus. Das waren etwas mehr als in den Vorjahren. Ergreifender Höhepunkt war die Verlesung der Namen aller 42 Hammelburger Opfer des Holocausts. Zum Gedenken an sie wurden Kerze entzündet.
Quälende Fragen warf Warmuth in seiner Ansprache auf. "Was jeder einzelne von uns in der damaligen Situation wohl gemacht hätte?", fragt er selbstkritisch in die Runde. Mit Blick auf unseren Rechtstaat mache es besonders betroffen, dass jüdische Bürgerinnen und Bürger wieder um ihre Sicherheit fürchten müssen und von der Hamas auf unseren Straßen blanker Judenhass propagiert werde.
Zerstörungen am Gedenkort Deportationen in Würzburg
Erschütternd sei, dass die extreme Rechte im "Windschatten der Terrorverherrlichung" ihre Angriffe fortsetze. So unterlägen auch am Gedenkort Deportationen in Würzburg die Erinnerungsstücke aus Hammelburg blinder Zerstörungswut.
Betroffen mache zudem, dass im Internet antijüdische Verschwörungsmythen Verbreitung finden und im Landtag Abgeordnete vertreten sind, gegen die wegen des Verdachts der Volksverhetzung ermittelt wird.
Bürgermeister Armin Warmuth: "Ducken wir uns weg?"
"Wie und wo stehen wir bei all dem? Machen wir unseren Mund auf? Stehen wir auf – auch öffentlich – um Hass, Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit entgegenzutreten oder ducken auch wir uns weg und lassen das alles unkommentiert und ohne Gegenwehr geschehen?", wandte sich Warmuth an die Zuhörerinnen und Zuhörer.
Nahe ging auch die musikalische Gestaltung durch die Gesangsgruppe Sing'n Swing mit Liedern auch in hebräischer Sprache. Zu dem gesungenen Appell für mehr Zusammenhalt stimmten auch die Gäste zu dem Refrain ein: "Einsam bist du klein, aber gemeinsam werden wir Anwalt des Lebendigen sein", klang über den Platz.
Emotional fiel auch der abschließende Appell des Bürgermeisters aus: "Bleiben wir alle wachsam! Passen wir aufeinander auf. Und alle gemeinsam auf unser Land!"
Bewegende Zeitzeugenberichte
Mit bewegenden Zeitzeugenberichten führte Warmuth vor Augen, was der Rechtsextremismus schon für Leid über Hammelburg gebracht hat: "Es ist unsere Pflicht, alles zu tun, um eine Wiederholung der grauenhaften Geschehnisse zu verhindern", sprach Warmuth der Stadt ins Gewissen.
Warnender kann das Beispiel von 1938 nicht sein: Die Ausschreitungen um die Pogromnacht löschten das gesamte öffentliche jüdische Leben in Hammelburg aus. "Die Barbarei in Hammelburg begann am 10. November 1938 morgens gegen 10 Uhr", beklagte Warmuth rückblickend.
Der Mob tobte damals auch in Untererthal und Westheim
Verstärkt durch auswärtige SA-Gruppen hausten die der NSDAP nahestehenden Gruppen wie die Vandalen. Die Türen zu den jüdischen Wohnungen wurden eingetreten, das Mobiliar umgeworfen und Geschäfte verwüstet. "Die Nachbarschaft war mit Drohungen eingeschüchtert worden und hatte deshalb nur hinter den Gardinen dem bösen Treiben zugesehen", so Warmuth.
Am nächsten Tag verwüsteten wohl die gleichen Horden die Hammelburger Synagoge, warfen die Kultgegenstände zum Verbrennen in den Hof und schlugen die Gesetzestafeln mit den zehn Geboten von der Wand. Ähnlich tobte sich die braune Kolonne in Untererthal und Westheim aus. Bis 1933 hatte es dort überall blühende jüdische Gemeinden gegeben.
"Ein Zeichen der Entschuldigung"
Pastoralreferent Markus Waite bezeichnete die Mitgestaltung dieser Feier auch "als Zeichen dafür, dass wir um Entschuldigung bitten. Die christlichen Kirchen haben damals zu viel geschwiegen", folgerte Waite, der die Veranstaltung maßgeblich koordiniert hatte.
Mit Blick auf die Lage in Israel blickte Pfarrer Robert Augustin auf biblische Zeiten zurück, als Juden und Palästinenser offenbar friedlich zusammenlebten. Statt der Weisheit von einst würden Muslime weltweit beim Wunsch der Hamas nach der Vernichtung Israels emotional mitgerissen.
Biblische Hoffnung auf Frieden
"Um ein Zeichen zu setzen, dass solcher Hass in unser Stadt nicht geduldet wird", sei die Gedenkveranstaltung noch wichtiger als in den Vorjahren, so Augustin. Zumal es eine biblische Weissagung gebe, nach der Palästinenser und Juden wie Verwandte zusammen und die Ankunft von Jesu als Friedensfürst angekündigt wird, versuchte sich Augustin in Zuversicht.