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HAMMELBURG
„Ich habe Hass in mir gehabt“
Arnold Samuels und Arthur Stühler, zwei Hammelburger Juden, stellten sich den Fragen der Gymnasiasten.
1935, hinter der Synagoge in der Hammelburger Dalbergstraße: jüdische Kinder und Jugendliche, darunter der damals zwölfjährige Arnold Samuels (Mitte) und der gleichaltrige Alfred Stühler (rechts).
Foto: Geschichtsverein | 1935, hinter der Synagoge in der Hammelburger Dalbergstraße: jüdische Kinder und Jugendliche, darunter der damals zwölfjährige Arnold Samuels (Mitte) und der gleichaltrige Alfred Stühler (rechts).
Von unserem Redaktionsmitglied Roland Pleier
 |  aktualisiert: 13.05.2013 17:49 Uhr

Wie war das für Sie, als amerikanischer Soldat gegen Deutsche zu kämpfen? Was wussten die Amerikaner? Hat Sie die Grausamkeit zweifeln lassen an Ihrem Glauben?

Drei Dutzend Fragen richteten die Hammelburger Gymnasiasten an Arnold Samuels und Alfred Stühler. Und wäre da nicht der Gong nach der zweiten nachmittäglichen Unterrichtsstunde gewesen, es wären noch viel mehr gekommen. Wann hat man schon mal zwei Hammelburger Juden zu Gast, die in jungen Jahren emigrierten und nun, reif an Jahren, den Schülern in ihrer Heimatstadt Rede und Antwort standen.

„Wie war das damals?“ Das wollten die Elftklässler wissen, bei denen der Nationalsozialismus demnächst auf dem Stundenplan steht.

Samuels war zehn Jahre alt, als Hitler an die Macht kam. 13 war er, als Wachen vor dem Getreidegeschäft seines Vaters standen mit dem Plakat: „Kauft nicht bei Juden!“ Über Hamburg emigrierte die Familie in die USA. Samuels wurde amerikanischer Soldat.

Stühler, ebenfalls 1923 geboren, bemerkte Hitlers Politik daran, dass die Klassenkameraden in Jungvolk-Uniformen schlüpften, im Gleichschritt zum Turnplatz geführt wurden und anti-jüdische Lieder sangen. Juden durften die Gehsteige nicht mehr benutzen. „Das war deprimierend.“ Seine Familie floh nach der Pogromnacht 1938 nach Palästina und lebt seit 1954 in Wien.

Geschichtslehrerin Claudia Albrecht-Schübel moderierte die Fragestunden. Nachfolgend sinngemäß eine Auswahl von Fragen der Schüler mit den zum Teil gestrafften Antworten von Samuels und Stühler.

Können Sie sich eine Rückkehr nach Hammelburg vorstellen?

Samuels: Nee! Aber ich komme oft zu Besuch.

Warum sind Sie amerikanischer Soldat geworden?

Samuels: Ich sagte mir: ,Ich bin jetzt in Amerika. Amerika hat Krieg und ich muss helfen.'

Wie war das, im Krieg vielleicht sogar gegen Freunde zu kämpfen?

Samuels: Krieg ist Krieg. Da tust du, was du tun musst: kämpfen! Genauso wie die Deutschen in der Wehrmacht.

Hatten Sie deutsche Freunde?

Samuels: Viele waren nicht auf Hitlers Seite. Nicht jeder Deutsche war ein Nazi. Die meisten waren Junge, die Arbeit wollten. Die Älteren mussten mitmachen – aber im Herzen waren sie keine Nazis.

Was wussten die Amerikaner? War das ein Krieg aus Hass?

Samuels: Ich war dabei, als das Konzentrationslager Dachau erlöst wurde. Das war das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Noch heute kommen mir die Tränen. Ich hab Bilder vor Augen mit offenen Gräbern voller Leichen – 10 000 hier, 10 000 da, . . . Man kann sich keinen Begriff machen. Ich hätte nie (!) gedacht, dass Deutsche so etwas machen.
Stühler (zum Thema Hass): „Nach allem, was passiert ist, hat keiner eine Freude gehabt. Wenn ich ehrlich bin – ich habe Hass in mir gehabt.

Wie haben Sie die Befreiung der Häftlinge in Dachau verarbeitet?

Samuels: Wir waren so jung, wir hatten so viel zu tun, dass wir uns mit solchen Fragen nicht beschäftigt haben. Wir wussten, was vorgegangen ist, aber nicht, wie schrecklich es war.

Hat Sie die Grausamkeit zweifeln lassen an Ihrem Glauben?

Stühler: Wer im jüdischen Glauben geboren ist, wird ihn nicht ändern.

Warum ist es damals so weit gekommen?

Stühler: Das wurde nie in Frage gestellt. Das hat sich niemand getraut.

Haben die Kriegsverbrecher die richtige Strafe bekommen?

Samuels: Ja, die großen sind in Nürnberg erhängt worden. Aber die Angehörigen der Totenkopf-SS sind vor deutsche Gerichte gestellt worden. Da sind viele durchgekommen.

Empfinden Sie ein Unwohlsein, wenn Sie heute in Hammelburg sind?

Stühler: Nachts, beim Einschlafen, fühle ich mich zurückversetzt in die Zeiten damals, und denke drüber nach, wie es einmal war. In Österreich ist es weitgehend verflossen.

Wer hat den Judenhass verbreitet in Hammelburg?

Stühler: Es waren die Vereinigungen und die Lehrer. (Zusammen mit Samuels benennt Stühler vier ehemalige Lehrer, von denen einer bei Hitlers SA und ein zweiter bei der SS war).
Samuels: Den Jungs hat die Hitlerjugend den Hass gelehrt.

Hat je ein Hammelburger Ihnen gegenüber Reue gezeigt?

Stühler: Reue? Nein, Nein. Das Gespräch wird im Allgemeinen gemieden.

Wie erleben Sie denn heute die deutsche Jugend?

Stühler: Ganz fantastisch, wirklich. Die Jugend heute ist ganz anders. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jemandem böse sein könnte.

Kann man stolz darauf sein, Deutscher zu sein?

Stühler: Ich könnte es nicht sagen. Ich habe die deutsche Staatsbürgerschaft damals sofort abgelegt und die palästinensische angenommen. Innerlich bin ich heute israelischer Staatsbürger.
Samuels: Für mich ist diese neue Generation ein neues Volk. Ich sehe das mit viel Freude. Passt nur auf, dass dies nicht wieder passiert!

 
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